Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Ein Großteil der pakistanischen Öffentlichkeit sieht in Präsident Musharraf einen Handlanger der Amerikaner - was vermutlich damit zusammenhängt, dass er mit jedem Bündnispartner kooperiert, der seine Herrschaft nicht in Frage stellt, meint Atilla Iftikhar.

Pervez Musharraf; Foto: dpa
Viele Pakistaner alguben inzwischen, dass Musharraf bereit sei, sogar pakistanische Staatsbürger für die Finanzhilfen aus den USA zu opfern

​​Im Herbst letzten Jahres erschien die Autobiographie des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf unter dem Titel "In the Line of Fire" ("In der Schusslinie").

In der Urdu-Übersetzung, die den Titel "Pakistan zuerst" trägt, fehlen einige in der englischen Version noch vorhandene Abschnitte, zum Beispiel über die Auslieferung Terrorverdächtiger an die USA gegen finanzielle Zuwendungen — und ohne dass man ihnen einen Prozess gemacht hätte.

Diese Auslassung leuchtet ein, sehen doch die meisten pakistanischen Leser die Aushändigung von Terrorverdächtigen, darunter viele pakistanische Staatsbürger, und deren anschließende Verwahrung im Gefangenenlager von Guantanamo nicht nur als ungerechte, sondern vor allem auch als nicht verfassungskonforme Handlung an.

Und so bemerkten Beobachter in Pakistan dazu auch, dass alle in Pakistan verhafteten Terrorverdächtigen einen fairen Prozess in ihren jeweiligen Ländern verdienten und dass ihnen die zur Last gelegten Verbrechen bewiesen werden müssten, bevor sie den Vereinigten Staaten übergeben werden könnten.

Außergerichtliche Festnahmen und Tötungen

Es wurde berichtet, dass Pakistan zwischen Januar 2002 und August 2005 3,6 Milliarden Dollar für den Kampf gegen den Terrorismus erhielt. Für die Jahre 2006 und 2007 wird die Zahlung weiterer etwa 900 Millionen Dollar erwartet.

​​Vor diesem Hintergrund werden wohl immer mehr Pakistaner in den Abmachungen zwischen Musharraf und George W. Bush eine Gefahr für die Menschenrechtslage in ihrem Land sehen; auch außergerichtliche Festnahmen und Tötungen werden für möglich gehalten.

Musharraf seinerseits behauptet, dass sich die pakistanische Wirtschaft aufgrund seiner verantwortungsbewussten Politik der "good governance" erhole. Unabhängige Experten sehen allerdings eher den politischen Schmusekurs des Präsidenten mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen als Grund für diesen Trend an.

Die Tötung von 83 Menschen in einem religiösen Seminargebäude im Bajaur-Gebiet (ein Stammesgebiet unter Bundesverwaltung) an der pakistanisch-afghanischen Grenze durch pakistanische Hubschrauber im Oktober 2006 führte zu einigem Aufruhr in der Öffentlichkeit.

Die Regierung schottete die Region ab, für Journalisten wie für internationale Hilfsorganisationen ist sie seither unzugänglich.

Die meisten Pakistaner sind überzeugt, dass es sich bei den Opfern des Hubschrauberangriffs ausnahmslos um unschuldige Studenten handelt — und auch, dass sie Opfer amerikanischer Flugzeuge waren, die über die afghanische Grenze in den pakistanischen Luftraum eingedrungen seien.

Musharraf stritt die Anschuldigungen rundherum ab und erklärte, dass es sich bei den Studenten keineswegs um Unschuldige gehandelt habe. Der Luftangriff sei eine notwendige Maßnahme im Kampf gegen den Terrorismus gewesen.

Nahezu alle unabhängigen Sicherheits- und Terrorismusexperten in Pakistan gehen fest davon aus, dass der Militärschlag von den USA initiiert wurde, um Bushs Entschlossenheit zu demonstrieren, die Terroristen überall zu treffen, und sei es auf pakistanischem Territorium.

Deshalb kann es nicht überraschen, dass viele Pakistaner inzwischen auch glauben, dass Musharraf bereit sei, sogar pakistanische Staatsbürger für die Finanzhilfen aus den USA zu opfern.

Unheilige Allianz mit der Korruption

Als einige einflussreiche Politiker aus der früheren Muslimliga und aus der Pakistan People’s Party von Musharraf umgarnt wurden, weil er sie für die Bildung seiner Regierung brauchte, waren nicht wenige Kommentatoren skeptisch.

Nawaz Sharif; Foto: AP
Ehemaliger pakistanischer Premierminister Nawaz Sharif

​​Schließlich waren einige dieser Politiker kaum weniger korrupt als die geschassten Premiers Nawaz Sharif und Benazir Bhutto.

Und doch hat Musharraf in seinen Erinnerungen nur Lob für diese hochrangigen Politiker. Vielleicht deshalb, weil sie seine Missachtung der Verfassung stillschweigend dulden? Vieles spricht dafür.

Es ist alarmierend, dass viele der von Musharraf derart mit Lob bedachten Politiker mit Steuerhinterziehungen in Verbindung gebracht werden, aber auch mit mafiösen Banden, die sich durch illegale Landnahmen bereichern, sowie Erpressern und gar Mördern.

Das könnte zumindest auch erklären, warum 2006 die Kriminalitätsrate in der Provinz Punjab, folgt man der dortigen Polizeistatistik, um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angestiegen ist. Doch wie dem auch sei, es ist nicht zu übersehen, dass Musharraf keineswegs so hart gegen die Korruption vorgeht, wie er es immer wieder betont.

Die Hauptursache für den Anstieg der Kriminalität dürfte im Problem der illegalen Landnahmen und den Erpressungen nach Geiselnahmen liegen. Nach neuen Zahlen von Transparency International Pakistan ist die Korruption jedoch deutlich auf dem Vormarsch.

Verzweifelte Suche nach Verbündeten

Auch wenn nur wenige Bürger Musharraf selbst für korrupt halten, so sagen doch 67 Prozent der Pakistaner, dass seine Regierungszeit zwischen 2002 und 2006 von Korruption geprägt gewesen war, weil er des eigenen Machterhalts wegen bereit sei, auch korrupte Politiker in die Regierungsgeschäfte einzubinden.

Benazir Bhutto; Foto: AP
Benazir Bhutto, von 1988 bis 1990 und von 1993 bis 1996 Regierungschefin von Pakistan

​​Verglichen mit den 32 Prozent, die noch 2002 dieser Meinung waren, ist also ein geradezu dramatischer Imageverlust zu verzeichnen. Die Erklärung hierfür ist sicher in dem Umstand zu sehen, dass Musharraf bereit ist, mit nahezu jedem erdenklichen Bündnispartner zusammenzuarbeiten, solange dieser seine Herrschaft nicht in Frage stellt; vorherige Bestechlichkeitsvorwürfe gegen die betreffende Person spielen hierbei keine Rolle.

Einige prominente Politiker der früheren Muslimliga und der PPP-Patriots (Dissidenten der Pakistan People’s Party, D.K.) haben sich gar nur deshalb Musharraf angeschlossen, um vor laufenden und zu erwartenden Strafverfahren sicher zu sein.

Vertrauen und Harmonie empfindlich gestört

Auch die Integration der verschiedenen pakistanischen Provinzen ist ein Bereich, deren Rahmenbedingungen sich unter der Regierung Musharraf entscheidend verschlechtert haben, und dies in noch stärkerem Maße in den letzten Monaten.

Die Situation in Belutschistan, der im Südwesten des Landes an der Grenze zu Afghanistan gelegenen Provinz wächst sich zu einem mehr als nur schwelenden Bürgerkrieg aus, der sich gar noch intensiviert hat durch die Tötung des Stammesführers Anwar Bugti durch pakistanische Sicherheitskräfte Ende August 2006.

Auch wenn viele unabhängige Experten Bugtis Rolle in Belutschistan kritisch gegenüberstanden, hielten ebenso viele den Luftangriff, bei dem er ums Leben kam, für ungerechtfertigt.

Die Regierung Musharraf wählte in Belutschistan den Weg der militärischen Gewalt, einer Gewalt, die bisher weder zu einer kurz-, noch zu einer langfristigen Verbesserung der Sicherheitslage geführt hat; so fürchtet man nun, dass die Angriffe in der strategisch wichtigen Nordwestprovinz die Stabilität in einer weiteren kritischen Region gefährden könnten.

Das Kernproblem liegt darin, dass Musharraf fast ausschließlich auf militärische Mittel setzt, um den Herausforderungen zu begegnen, denen sich Pakistan im Inneren gegenübersieht.

Welche Argumente auch immer für die Politik Musharrafs in Belutschistan und der Nordwestprovinz vorgebracht werden, an der Realität ist nicht zu rütteln: sie führt zu mehr Spannungen und Konflikten zwischen der Zentralmacht in Islamabad und den Provinzzentren Quetta und Peschawar.

Atilla Iftikhar

© Qantara.de 2007

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