Ausdruck kultureller Identität

Grün die Heimat, ferne Nebel: Die klassische persische Kunstmusik, wie sie vom Dastan-Ensemble gespielt wird, ist ein lebendiges Erbe für Iraner in aller Welt. Von Alessandro Topa

Grün die Heimat, ferne Nebel: Die klassische persische Kunstmusik, wie sie vom Dastan-Ensemble gespielt wird, ist ein lebendiges Erbe für Iraner in aller Welt. Von Alessandro Topa

Dastan-Ensemble; Foto: M. Kalhor
Klangvirtuosen: Das sechsköpfige Dastan-Ensemble ist ein Hüter klassischer persischer Musik und besticht durch die meisterhafte Beherrschung seiner Musikinstrumente.

​​ Es ist nicht überliefert, was Safi al-Din dem Hülegü Khan im Spätwinter 1258 in Bagdad vorspielte, während dessen Truppen die Kulturmetropole der islamischen Welt fachgerecht in Schutt und Asche legten. Dem gelehrten Oud-Virtuosen scheint die Repertoireauswahl immerhin gelungen zu sein, überlebte er doch sowohl den Massenmord an seinen Mitbürgern als auch das Konzert unbeschadet.

Wählte der große Musiktheoretiker Tonalität und Aufbau seines Vortrags mit Bedacht und Voraussicht? Womöglich auf Grundlage des von ihm im Kitab al-Adwar („Buch der Modi“) systematisierten Skalen-Systems mit 17 Intervallen? Oder verließ sich der Verfeinerer der Theorien der Philosophen al-Farabi und Ibn Sina ganz auf die Expertise, die er als Praktiker am Hofe des letzten abbasidischen Kalifen erworben hatte, also ganz darauf, in einer freien Improvisation der geringsten Regung des Enkels des Dschingis Khan vorausschauend die richtige Bedeutung und Auflösung zu geben?

Harfistin - Sassanidisches Mosaik aus Bishapur, Louvre; Quelle: Wikipedia
"Eine Mischung aus improvisierender Hermeneutik des Augenblicks und akribisch ritualisierter Selbstverzehrung" charakterisiert die persische Musik auch heute noch, sagt Alessandro Topa.

​​ Es sei dahin gestellt, ob Safi al-Din tatsächlich einzig durch den legendären Zauber seines Spiels die Gunst des Gründers der Ilkhaniden-Dynastie für sich gewinnen konnte. Fest steht, dass Safi bald schon am Hofe Hülegüs musizieren und forschen durfte; des Weiteren, dass eine Mischung aus improvisierender Hermeneutik des Augenblicks und akribisch ritualisierter Selbstverzehrung noch heute das ist, was persischer Kunstmusik jene ganz charakteristische Innenspannung mondänen Über-die-Welt-Hinaus-Seins verleiht.

„Wohin soll ich fliehen, wenn ich mich von der Schlinge Deiner Liebe befreie?“, fragt in diesem Sinne der Sänger Homajoun Shajerian in dem betörenden „Bou-ye Eshgh“ (Duft der Liebe), das metrisch frei ein Gedicht des Shirazers Sa’adi (1184 - 1291) vertont.

Musik als Meditation

Die nach allen Regeln der Kunst elegant auskomponierte Overtüre „Asheghaneh“ (Liebeslied) sowie der stufenlos-berauschende Verdichtungsprozess, den das sechsköpfige Dastan Ensemble mit „Bou-ye Eshgh“ im Anschluss vollzieht, bestätigen gleich zu Beginn dessen Ruf, auf höchstem Niveau der Pflege und Aktualisierung der Erbes der persischen Kunstmusik verpflichtet zu sein.

In Meditationen wie dem inbrünstigen „Eshgh-e Pak“ (reine Liebe) zeigt sich die persische Kunstmusik als integraler Bestandteil der islamischen Mystik, mithin als spirituelle Übung, in der die Praxis des Musizierens als Öffnung auf Gott hin verstanden ist.

Es gehört zu den Paradoxien der iranischen Geschichte, dass eine Kunstgattung, die nach der Islamisierung über mehr als ein Jahrtausend hinweg zumeist nur in der höfischen Kultur tradiert werden konnte, ausgerechnet durch die antimonarchistische Revolution von 1979 eine massenmedial gestützte Renaissance erleben konnte.

​​ Dank dieser Popularisierung des Elitären zählen selbst noch im Zeitalter des Hip Hop Maestri (ostad-ha) wie Hossein Alizadeh, Mohamed-Reza Shajarian oder Shahram Nazeri zu den generationsübergreifend bewunderten Fixsternen einer Musiktradition, in der Iraner im In- und Ausland einen Ausdruck kultureller Identität finden.

Fremde Ohren dagegen werden von einer Musiksprache angerührt, deren Klangmaterien sich auf so verblüffende Weise in der Zeit zu dehnen, wölben, und stauchen scheinen wie die sie erzeugenden Klangkörper im Raum. In diesem Sinne überzeugt der Konzertmitschnitt dieses reichen Albums, das wie Lyrik genossen und belauscht sein will, nicht zuletzt auch durch eine klangliche Raffinesse, die ihre ganz eigene Balance und Anmutung hat.

Im Verborgenen

Die iranische Kunstmusik zeigt schon von ihrem Instrumentarium her, dass ihre Aufführungspraxis historisch auf Privaträume, kleinere Säle und Gärten eingeschränkt war. Klassische Instrumente wie die zitherartige Santur oder die Flöte Nay scheinen dazu gemacht, um in der Verborgenheit ins musikalische Gespräch zu treten und verbotenen Lüsten der Seele frönen zu können. Selbiges gilt auch von den Lauteninstrumenten Tar, Setar und Barbat (einem Vorläufer des arabischen Oud), die den sanft flirrenden Sound des Dastan Ensembles prägen.

Darstellung einer Santurspielerin im Hasht-Behesht-Palast zu Isfahan in Iran, 1669; Quelle: Wikipedia
Die iranischen Musikinstrumente waren auf kleine Räume ausgelegt, wo sie im Verborgenen in das musikalische Gespräch mit dem Zuhörer traten und diesen in meditative Welten entführten.

​​ Einzig die in Sufi-Ritualen omnipräsente Rahmentrommel Daff kann dank Metallringen und gehörigem Durchmesser recht deutlich auf sich aufmerksam machen, zumal wenn mehrere Instrumente unisono die Ketten des Willens sprengen. In Gestalt von Behnam Samani und dem umtriebigen Pejman Hadadi spielen im Dastan Ensemble zwei der – klanglich und technisch – versiertesten iranischen Perkussionisten. Mit Dammam, Tombak und anderen Trommeln spinnen sie ein farbenprächtiges Band aus Rhythmen, Impulsen, Verzierungen und melodischen Mikromotiven, das selbst solch komplexe Stücke wie das zwanzigminütige „Khorshid-e Arezoo“ („Sonne der Hoffnung“) mühelos umspannt.

Es ist eine zutiefst beglückende, zuweilen auch – durch die steilen Gebirgspfade, die sie bezwingt – verstörende Wanderung durch Seelenlandschaften und Motivwälder der persischen Kunstmusik, die das Dastan-Ensemble in seinen zwei einstündigen Suiten in den Modi dashti respektive esfahan präsentiert.

Auf dieser Wanderung besticht immer wieder die ästhetische Disziplin, mit der berstende emotionale Intensität in stetem Fluss gehalten, gefiltert und als uneinlösbares Glücksversprechen in die Waagschale des Lebens zurückgelegt wird.

In einem Gedicht von Siavash Kasraei wird zuletzt die Heimat („Vatan“) zum Gegenstand dieses poetologischen Verfahrens: „O Vaterland / du meine Heimat / bleib ewig grün du / da ich wie ein ausgewanderter Vogel / aus der Höhe deines lauteren Gartens / in die vernebelte Ferne fliege / bleib du ewig grün / du Vaterland.“

Alessandro Topa

© Qantara.de 2010

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

Homayoun Shajarian & Dastan Ensemble, Mayeh-ye Dashti / Mayeh-ye Isfahan, Celestial Harmonies 14298-2 (Naxos).

Qantara.de

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