Malaysias Regierung verliert Zweidrittelmehrheit

Bei der jüngsten Parlamentswahl in Malaysia hat die Regierungskoalition "Barisan Nasional" eine schwere Niederlage einstecken müssen. Die Opposition profitierte vor allem vom Frust der Minderheiten und der notorischen Korruption. Einzelheiten von Oliver Meiler

Generalsekretär Lim Guan Eng der Oppositionspartei DAP; Foto: AP
Die Oppsition in Malaysia hat allen Grund zum Feiern: Seit fast 40 Jahren ist die Zweidrittelmehrheit der Regierung zum ersten Mal gebrochen.

​​Singapur - Es gibt Wahlsiege, selbst komfortable, die einer schmachvollen Schlappen gleichkommen. In Malaysia hat das erfolgsverwöhnte Regierungsbündnis Barisan Nasional (Nationale Front), das ohne Unterbrechung seit der Unabhängigkeit 1957 an der Macht ist, die Parlamentswahlen vom letzten Samstag (8.3.) zwar gewonnen und wird auch künftig die Regierung stellen.

Doch verlor die Koalition überraschend deutlich und erst zum zweiten Mal nach 1969 ihre Zweidrittelmehrheit, die ihr erlaubte, fast uneingeschränkt zu walten. Die Sieger stehen also wie Verlierer da.

"The Star", eine regierungsnahe Zeitung, titelte am letzten Sonntag auf der ersten Seite: "Politischer Tsunami" - ein Begriff, der in Südostasien üblicherweise mit der naheliegenden Zurückhaltung gebraucht wird. Andere Blätter schrieben von "Schock" und "Revolution" - Zeitenwende ist wohl der Begriff, der das Wahlergebnis am besten charakterisiert.

Die Nationale Front brachte es trotz ihrer Macht über die Medien und trotz ihrer schier unerschöpflichen finanziellen Mittel nur auf 139 der 222 Parlamentssitze. Das sind 59 weniger als bei den Wahlen vor vier Jahren. Zudem regiert sie künftig nur noch in acht der dreizehn Bundesstaaten, während es bisher zwölf gewesen waren. Einige ihrer prominentesten Persönlichkeiten und Minister büßten ihr Mandat ein.

Mit Anti-Establishment-Kurs zum Erfolg

Für die Opposition - eine lose Koalition aus drei ideologisch unterschiedlichen bis widersprüchlichen Parteien - zahlte sich der Anti-Establishment-Kurs aus. Solch hohe Sitzgewinne hatte sie sich selbst in ihrer kühnsten Prognose nicht ausgerechnet.

Es kam ihr entgegen, dass der Frust in den großen Minderheiten im Vielvölkerstaat zuletzt deutlich gestiegen war: Die Chinesen, die ein Viertel der Bevölkerung ausmachen und die Inder, etwa zehn Prozent der Malaysier, fühlen sich von der malaiischen Mehrheit, die 55 Prozent stellt, systematisch benachteiligt durch deren politische Vorherrschaft. Zudem beklagen sie rassistische Diskriminierungen.

Zudem profitierte die Opposition davon, dass einige neue Skandale den malaysischen Machtzirkel in noch trüberem Licht erscheinen ließen, der für Korruption traditionell überaus anfällig ist.

Der Ärger darüber vereint die drei Volksgruppen ebenso wie der Groll über Preiserhöhungen für Lebensmittel und Energie, die es in den vergangen Monaten gegeben hatte. Premierminister Abdullah Badawi, bei Amtsantritt 2003 wegen seiner sanften Art noch als "Mr. Nice Guy" bekannt, wird nun auch - lautmalerisch verwandt - "Mr. Price Hike" gerufen, was "Mr. Preiserhöhung" bedeutet.

Wechsel an der Führungsspitze

Premierminister Abdullah Ahmad Badawi und der stellvertretende Ministerpräsident Najib Razak; Foto: AP
Wird Najib Razak (links) den Posten des Premierministers Badawi (rechts) übernehmen? Badawi dementiert bislang jegliche Rücktrittsgerüchte.

​​Für den 68-jährigen Badawi, Sohn eines muslimischen Geistlichen von der Insel Penang, ist das schlechte Wahlergebnis seiner Koalition auch ein persönliches Debakel. Zurücktreten will er nicht, doch lange wird es sich wahrscheinlich nicht mehr an der Macht halten können.

Er stand in seiner Partei, der nationalistischen United Malays National Organisation (UMNO), die das Regierungsbündnis dominiert, schon vor der Wahl in der Kritik. Man hält ihm vor, er wirke lethargisch und wankelmütig, zudem sei er unfähig, Reformen entschlossen genug anzupacken.

Am heftigsten kritisiert ihn sein illustrer Vorgänger Mahathir Mohamad. Er hatte von 1981 bis 2003 autokratisch über Malaysia geherrscht und das Land in zu einem modernen südostasiatischen Tigerstaat geformt, der beachtliche wirtschaftliche Erfolge erzielt.

Mahathir war einst Badawis Mentor. Nun attackiert er ihn bei jeder Gelegenheit und dringt auf einen schnellen Wechsel an der Partei- und Regierungsspitze. Badawis Vize, Verteidigungsminister Najib Razak, soll übernehmen. Sein politisches Naturell gleicht jenem Mahathirs. Najib werden Führungsqualitäten nachgesagt, zudem entstammt er einer bekannten politischen Dynastie.

Doch werden er und seine Entourage von einer mysteriösen Affäre um ein brutal ermordetes mongolisches Mannequin belastet, in die Najibs engster Berater verwickelt sein soll. Die junge Frau wurde 2006 getötet, doch die Justiz lässt sich viel Zeit bei der Aufklärung des Falles.

Allerdings spaltet Najib die Nation. Er hetzt oft gegen Minderheiten und Andersgläubige. Vergangenes Jahr löste er große Aufregung aus, indem er eine alte Maxime Mahathirs wiederholte: Malaysia sei ein islamischer Staat, sagte er, weil die Bevölkerungsmehrheit muslimisch sei.

Für alle Hindus, Christen und Buddhisten war das ein Affront. Najib steht für die alte malaiisch-nation alistische Rassenpolitik, die nun einer der Gründe war für die Schlappe der malaiischen Hardliner.

Oliver Meiler

© Süddeutsche Zeitung

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 10. März 2008 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.

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