In der Sinnkrise

Die Nahost-Friedensverhandlungen scheinen so verfahren, dass Palästinenserpräsident Abbas jetzt damit droht, seine Autonomiebehörde aufzulösen. Doch was käme nach der Autonomiebehörde? Nader Alsarras berichtet.

Mahmud Abbas; Foto: AP
Ein verzweifelter Palästinenserpräsident: Falls Israel den Siedlungsbau nicht stoppe, werde er die Autonomiebehörde auflösen, kündigte Mahmud Abbas kürzlich entnervt an.

​​ Mahmud Abbas ist in der Sackgasse. Seit Ende September liegen die Friedensverhandlungen auf Eis, denn Israel weigert sich nach wie vor, den Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten zu stoppen.

Falls Israel bei seiner Haltung bleibe, werde er die Autonomiebehörde auflösen, kündigte Abbas daraufhin kürzlich entnervt an. Im palästinensischen Staatsfernsehen sagte er, er könne nicht Präsident einer Behörde bleiben, die praktisch nichts zu sagen habe: "Da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Sogar ich als Präsident dieser Behörde brauche immer die Erlaubnis der Israelis, um Ramallah zu verlassen oder wieder einreisen zu dürfen!"

Doch was käme nach der Autonomiebehörde? Über Alternativen zu seiner Selbstverwaltungsbehörde hat sich Abbas nicht geäußert. Genauer betrachtet, sind diese Alternativen entweder unrealistisch oder unerwünscht:

Mit der Auflösung der palästinensischen Autonomiebehörde gäbe es zunächst die Möglichkeit, dass Israel die komplette Verantwortung für 2,2 Millionen Palästinenser übernimmt - das wäre eine Rückkehr zur Situation, wie es sie vor der Schaffung der Selbstverwaltungsbehörde 1994 gab. Ob Israel dazu bereit wäre, ist mehr als fraglich.

Eine zweite Möglichkeit ist der Staatenbund mit Jordanien. Das ist zwar möglich, steht momentan aber nicht zur Diskussion. Eine andere Form wäre, "den Palästinenserstaat auf jordanischem Gebiet auszurufen", sagt Mohammad Khalid, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Palestine News Network (PNN), schränkt aber ein, dass dies der jordanische König Abdullah II. strikt ablehne.

Viele offene Fragen

Eine weitere Möglichkeit ist die Ein-Staaten-Lösung, ein gemeinsamer Staat für Israelis und Palästinenser. Dass dies funktionieren könne, zeige sich daran, dass Araber und Juden in Israel bisher gut zusammenlebten, so Khalid. Dennoch sei diese Lösung unter der derzeitigen rechtsgerichteten israelischen Regierung nicht denkbar, so der Chefredakteur, denn: "Die Israelis streben zurzeit nur eine einzige Lösung an: ein Staat für ein Volk - das israelische Volk."

Israelische Siedlungen; Foto: dpa
Dass Brasilien und Argentinien kürzlich den Palästinenserstaat offiziell anerkannt haben, bringe den Palästinensern allerdings wenig, meint Mohammad Khalid, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Palestine News Network (PNN).

​​ Die tatsächliche Auflösung der Autonomiebehörde hält Khalid daher für unrealistisch. Es würde Abbas zudem vor viele ungelöste Fragen stellen:

"Wer füllt das politische Vakuum? Würden internationale Truppen diese Aufgabe übernehmen? Was passiert mit den Zehntausenden von Angestellten in den zivilen und militärischen Institutionen der palästinensischen Autonomiebehörde? Und was wird aus dem Traum vieler Palästinenser, einen eigenen unabhängigen Staat zu haben?" fragt Khalid.

Diese offenen Fragen sind möglicherweise der Grund, weshalb die Palästinenser vor der Auflösung ihrer Selbstverwaltung derzeit versuchen, die Anerkennung ihres Staates durch die UN-Vollversammlung zu erreichen. Doch auch diese Alternative hält Martin Beck, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman, für nicht besonders aussichtsreich, "weil die USA schon erklärt haben, dass sie das nicht unterstützen werden".

Abbas' Drohung, die Autonomiebehörde aufzulösen, sei vor allem Ausdruck seiner Verzweiflung, so Beck weiter. Auch die demokratische Legitimation dieser Regierung sei schon längst abgelaufen.

"Allerdings ist Mahmud Abbas und auch die politische Elite, die er vertritt, eigentlich sehr daran interessiert, an der politischen Macht, so begrenzt sie auch ist, festzuhalten. Deswegen glaube ich nicht, dass sie diesen Schritt dann täten, wenn sie irgendeine Alternative dazu sähen", sagt Beck.

Auflösung eher unwahrscheinlich

Für Abbas' Verwaltungsapparat gebe es zurzeit keine ernstzunehmende Alternative, glaubt auch Mohammad Khalid. Der Friedensprozess stecke in einer Sackgasse, deshalb wolle Abbas mit seiner Drohung eher die USA und Israel unter Druck setzen, vermutet er. Dass Brasilien und Argentinien kürzlich den Palästinenserstaat offiziell anerkannt haben, bringe den Palästinensern allerdings wenig. Auch Abbas' Versuch, weitere Staaten zur Anerkennung zu bewegen, könne nicht viel bewirken.

Ansicht der jordanischen Hauptstadt Amman mit jordanischer Fahne; Foto: AP
Ernsthafte Suche nach einer alternativen Staatenlösung?: Ein Staatenbund mit Jordanien ist zwar theoretisch möglich, steht momentan aber nicht zur Diskussion.

​​ "Eine solche Anerkennung bedeutet praktisch nichts für uns, solange keine Strukturen für einen Palästinenserstaat bestehen. Diese Geste der Anerkennung bleibt dann nur symbolisch", so Khalid.

Dass Abbas wirklich seine Behörde auflösen wird, ist also eher unwahrscheinlich. Den Friedensprozess hat die palästinensische Autonomiebehörde in den vergangenen Jahren oft für gescheitert erklärt. Sie würde dennoch nicht an dem Ast sägen, auf dem sie sitzt. Die jüngsten Entwicklungen im Friedensprozess zeigen aber, dass Abbas' Drohungen und Gedankenspiele insgesamt ernst zu nehmen sind.

Nader Alsarras

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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