Mit Volldampf in die Krise

Jahrzehntelange schlechte Regierungsführung, politische Instabilität und geostrategische Spielchen haben zu einer massiven Wirtschaftskrise in Pakistan geführt. Klimawandel und die Inflation verschlimmern sie noch. Globale Trends und hausgemachte Probleme summieren sich nun zu einer Dynamik, die katastrophale Züge annehmen kann.
Jahrzehntelange schlechte Regierungsführung, politische Instabilität und geostrategische Spielchen haben zu einer massiven Wirtschaftskrise in Pakistan geführt. Klimawandel und die Inflation verschlimmern sie noch. Globale Trends und hausgemachte Probleme summieren sich nun zu einer Dynamik, die katastrophale Züge annehmen kann.

Pakistans Wirtschaft steckt in einer tiefen, sich schnell verschärfenden Krise. Die Probleme sind zwar hausgemacht, werden aber von internationalen Entwicklungen verstärkt. Von Sundus Saleemi

Von Sundus Saleemi

Wie alle im Ausland lebenden Pakistaner wissen, kursieren im Internet seit Monaten immer mehr Aufrufe, bedürftige Familien mit Geld- oder Sachspenden zu unterstützen. Viele Menschen sind angesichts ihrer wirtschaftlichen Situation in einer verzweifelten Lage. Das betrifft auch viele, die glaubten, einen sicheren Status als Angehörige der Mittelschicht erreicht zu haben.

Am 1. April brachte die Nachrichtenagentur Reuters eine Meldung, wonach die Inflation Pakistan auf Rekordhöhe ist – und 16 Menschen beim Massenandrang auf Lebensmittelhilfe zu Tode gedrückt worden seien. Tatsächlich haben Millionen von Pakistanern Probleme, sich die notwendigen Lebensmittel für ihren Alltag zu beschaffen. Wo Notrationen ausgeteilt werden, herrscht heftige Nachfrage, und das Gedränge ist manchmal tödlich.

Selbst während des Ramadan galt es dieses Jahr als Luxus, Obst zu kaufen. Im heiligen Monat des Islam fasten die meisten Pakistaner tagsüber, gönnen sich aber normalerweise nach Sonnenuntergang besondere Leckerbissen. Wie immer in Krisenzeiten leiden Frauen und Mädchen besonders unter der Notlage.

Schwindelerregende Inflation

Der Nationalen Statistikbehörde Pakistans zufolge betrug die jährliche Preissteigerung bei Lebensmitteln im März 50 Prozent, während die Verbraucherpreise allgemein im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent gestiegen waren. Die ökonomischen Aussichten sind düster. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für Pakistan im laufenden Finanzjahr mit einem Wirtschaftswachstum von nur 0,5 Prozent, die Weltbank geht von 0,4 Prozent und die Asiatische Entwicklungsbank von 0,6 Prozent aus.

Schlange an der Tankstelle in Pakistan (Foto: Hussain Ali/Pacific Press/picture alliance)
Trübe Aussichten: Landesweite Stromausfälle gehören mittlerweile zur Normalität. Pakistan ist – auch bei der Stromerzeugung – von Treibstoffimporten abhängig. Deshalb ist das Schmelzen der Währungsreserven alarmierend. Derzeit betragen sie rund vier Milliarden Dollar und reichen höchstens für die Einfuhren eines Monats. Dazu kommt eine Inflation auf Rekordhöhe: Der Nationalen Statistikbehörde Pakistans zufolge betrug die jährliche Preissteigerung bei Lebensmitteln im März 50 Prozent, während die Verbraucherpreise allgemein im Vergleich zum Vorjahr um 35 Prozent gestiegen waren. Die ökonomischen Aussichten sind düster. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet im laufenden Finanzjahr mit einem Wirtschaftswachstum von nur 0,5 Prozent.



Noch vor wenigen Monaten waren die Prognosen günstiger. Im Oktober letzten Jahres stellte der IWF noch 3,5 Prozent Wachstum in Aussicht (nach sechs Prozent im Finanzjahr davor).

Auch eine Energiekrise macht Pakistan zu schaffen. Landesweite Stromausfälle gehören mittlerweile zur Normalität. Pakistan ist – auch zur Stromerzeugung – von Treibstoffimporten abhängig.

Deshalb ist das Schmelzen der Devisenreserven alarmierend. Derzeit betragen sie rund vier Milliarden Dollar und reichen höchstens für die Einfuhren eines Monats. Die Regierung musste sogar im Winter nicht existenziell notwendige Einfuhren stoppen. Das hat die Wirtschaftstätigkeit weiter gebremst, denn seither herrscht Mangel an Rohstoffen und Ersatzteilen.

Die gewaltigen Auslandsschulden belasten die Volkswirtschaft. Die internationale Initiative Debt Relief schätzt, die Regierung werde dieses Jahr 47 Prozent ihrer Einnahmen für den Schuldendienst aufwenden müssen. Das Land schuldet ausländischen Institutionen rund 100 Milliarden Dollar. Grob ein Drittel dieser Verpflichtungen besteht aus Krediten von staatseigenen chinesischen Banken.

Angesichts der akuten Notlage braucht Pakistan dringend frisches Geld vom IWF oder von "befreundeten Ländern“. Zusätzliche Kredite aus China oder den Golfstaaten können dem Staat zwar kurzfristig Luft verschaffen, machen aber die langfristige Schuldenlast noch schwerer.

Angespannte Beziehungen zum IWF

IWF-Fachleute irritiert, wie schlecht Pakistans Volkswirtschaft gemanagt wird. Makroökonomische Daten belegen systematisches Missmanagement. Obendrein wissen IWF-Verantwortliche, dass es bereits viele finanzielle Hilfsprogramme gab, nachhaltige Ergebnisse aber stets ausblieben.

Pakistan erhält aktuell bereits Unterstützung vom IWF. Eine Tranche von 3,9 Milliarden eines insgesamt 6,5 Milliarden Dollar schweren Gesamtpakets einer Extended Fund Facility (EEF) (Programm für Länder mit kurz- und mittelfristigen Problemen bei der Zahlungsbilanz, Anm. der Red.), wurde bereits ausgezahlt. Dieses EEF-Paket vereinbarte der Internationale Währungsfonds noch mit der Regierung des früheren Premierministers Imran Khan. Zu dem Paket gehören verbindliche ökonomische Zielvorgaben, die Pakistan erreichen sollte. Dabei geht es um Indikatoren für makroökonomische Stabilität wie die Staatsausgaben und eine tragfähige Quote der Verschuldung.

 

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Um diese Ziele zu erreichen, hätte die Regierung staatliche Ausgaben kürzen müssen. Das wäre aber schmerzhaft gewesen, denn ein Viertel der Bevölkerung lebte bereits vor der aktuellen Krise unterhalb der Armutsschwelle. Doch es lief nicht wie vereinbart. Voriges Jahr versäumte es Pakistan, mehrere vereinbarte makroökonomische Zielmarken zu erreichen.

Das lag teilweise an internationalen Entwicklungen, auf welche die Regierung keinen Einfluss hatte. Die Klimakrise hatte ebenfalls einen großen Einfluss. Erst gab es eine schreckliche Hitzewelle und dann Hochwasser in einem bisher nicht erlebten Ausmaß. Die Folgen waren zahlreiche Todesfälle, zerstörte Lebensgrundlagen und Infrastruktur. Unter anderem wurde die Baumwollernte beeinträchtigt, was wiederum zulasten der Devisenreserven ging, denn die Textilindustrie gehört zu den wichtigsten Exportbranchen.

Die Regierung musste mit staatlichen Mitteln Nothilfe leisten. Das ist auch internationalen Institutionen klar. Geberstaaten haben dafür Geld zugesagt. Akzeptiert wird generell auch, dass Pakistan unter den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs leidet, weil er Lebensmittel und Energie verteuert hat.

Schlechte Regierungsführung

Dass die mit dem IWF vereinbarten makroökonomischen Ziele verfehlt wurden, hat aber auch hausgemachte Gründe. Als Premierminister Imran Khan und seine Partei PTI (Pakistan Tehreek-e-Insaf) die Gunst der Militärs verloren, versuchten sie sich verzweifelt an die Macht zu klammern. Khan verkündete Treibstoffsubventionen und Steuernachlässe. Beides ging zulasten von Hausaltsdisziplin und Währungsreserven.

Dennoch konnte sich Khan nicht im Amt halten. Er verlor eine Vertrauensabstimmung im Parlament und im April 2022 trat eine neue Regierung unter Premierminister Shehbaz Sharif an. Seine Regierung besteht aus einer komplizierten Koalition von vielen Parteien. Die Treibstoffsubventionen wurden nicht rückgängig gemacht. Die neue Regierung hat die Lage verschlimmert, indem sie die pakistanische Rupie fest an den Dollar gebunden hat. Das hält den offiziellen Wechselkurs künstlich hoch und lässt den Schwarzmarkt blühen. Pakistaner nutzen deshalb zunehmend informelle Finanzdienstleister, während das reguläre Bankwesen geschwächt wird.

Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif (Foto: picture alliance/dpaEPA/PMLN)
Chronisch schlechte Regierungsführung: Nach dem Rücktritt von Imran Khan nach verlorener Vertrauensabstimmung im Parlament im April 2022 trat eine neue Regierung aus einer komplizierten Koalition unter Premierminister Shehbaz Sharif an. Die von Khan eingeführten Treibstoffsubventionen wurden nicht rückgängig gemacht. Indem sie die pakistanische Rupie fest an den Dollar gebunden hat, verschlimmerte die neue Regierung die Lage noch. Denn so bleibt der offizielle Wechselkurs künstlich hoch und lässt den Schwarzmarkt blühen. Pakistaner nutzen zunehmend informelle Finanzdienstleister, während das reguläre Bankwesen geschwächt wird.



Internationale Beobachter – auch aus den Finanzinstitutionen - akzeptieren, dass Pakistan von globalen Entwicklungen betroffen ist, ohne dafür  verantwortlich zu sein. Andererseits ist Pakistan beim IWF für sein wiederholtes Politikversagen bekannt und man fragt sich, ob je irgendeine Regierung in Islamabad ihre Zusagen einhalten wird.

Zur Wahrheit gehört, dass Pakistans Militär überfinanziert und zu gut ausgestattet ist, während sein Steuersystem unterentwickelt bleibt. Staatliche Institutionen genießen wenig Vertrauen. Dass die aktuelle Koalition schwach ist, macht die Dinge nicht besser. In diesem Jahr stehen Parlamentswahlen an, und wie sie ausgehen werden, lässt sich schwer vorhersagen. In turbulenten Zeiten kann alles passieren.

Chinesische Kredite im Wert von rund 30 Milliarden Dollar

Pakistans mit Abstand wichtigster bilateraler Geldgeber ist China. Pakistan hat chinesische Kredite im Wert von 30 Milliarden Dollar aufgenommen, die vor allem der Finanzierung von Infrastrukturvorhaben dienen sollten. Der "China Pakistan Economic Corridor“ gehört zu Pekings internationaler "Belt and Road Ini­tiative“, die auch als "Neue Seidenstraße“ bekannt ist. Einige Projekte haben militärische Relevanz, aber die meisten dienen Entwicklungszielen. China hat auch begonnen, Pakistan Darlehen zum Ausgleich der Zahlungsbilanz zur Verfügung zu stellen. Die Öffentlichkeit ist über die Details nicht informiert, die Zinsen für diese Kredite sind aber vergleichsweise hoch.

Pakistan braucht jede Hilfe, die es bekommen kann. Gut wäre es, wenn IWF und China koordiniert agieren würden, was bislang nicht der Fall ist. Manche Pakistaner denken, die geographische Lage des Landes, seine Größe und seine Atomwaffen würden ihm auf Dauer strategische Vorteile sichern. Schließlich wollen weder China noch die USA Einfluss verlieren. Doch wie es zurzeit läuft, kann es nicht auf Dauer weitergehen.

Jahrzehntelange schlechte Regierungsführung, politische Instabilität und geostrategische Spielchen haben zu den aktuellen Schwierigkeiten geführt. Die Klimakrise und die Inflation verschlimmern sie noch. Globale Trends und hausgemachte Probleme summieren sich nun zu einer Dynamik, die katastrophale Züge annehmen kann.

Sundus Saleemi

© E+Z | Entwicklung & Zusammenarbeit 2023

Sundus Saleemi ist Senior Researcher am Zentrum für Entwicklungs­forschung (ZEF) der Universität Bonn.