"Ich habe all die Jahre gesündigt"

Junaid Jamshed war der erste Popstar der pakistanischen Musikszene. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges kehrte er der Glamourwelt den Rücken und wandelte sich zu einem strengen Muslim. Ein Porträt von Nadia Riaz

Von Nadia Riaz

​​"Als ich 1997 von einer religiösen Tour zurückkam, war mir klar, dass es im Leben so viele wichtigere Dinge gibt als Singen und Rumhüpfen", erklärt Junaid Jamshed die Initiation seiner Wandlung vom Popstar zum streng gläubigen Muslim. "Als ich mich entschied, das Singen aufzugeben, waren viele Menschen schockiert. Aber ich war mir meiner Entscheidung sicher, denn Gott verbietet Singen in der Form, wie ich es tat, und Gottes Befehl zu befolgen ist meine Aufgabe."

Seither ist Junaid Jamshed einem Sturm an Kritik ausgesetzt. Viele Anhänger können die plötzliche Abkehr von der Musik,von der Bühne und von seinen Fans nicht akzeptieren. Wie geht Jamshed mit dieser Kritik um?

"Ich kümmere mich nicht um Kritik. Man darf in unserem heutigen Zeitalter nicht auf Menschen hören, denn kritisiert wird man immer, in jeder Situation. Es ist einfach schade, dass ich immer darauf angesprochen werde, warum ich mit dem Singen aufgehört habe. Es ist Gottes Befehl. Warum fragt mich niemand danach, wo denn im Koran erwähnt wird, dass das Singen erlaubt ist?"

In seiner Unterwerfung unter Gottes Gebote, so wie sie von orthodoxen Islamisten ausgelegt werden, scheint Jamshed vordergründig zufrieden zu sein; aus seinen Worten jedoch klingt Resignation: "Ich trage einen Vollbart, denn so soll es sein. Der Mensch empfindet das als hässlich und unhygienisch, aber hätte Gott befohlen, die Menschen dürften keinen Bart haben und müssten sich täglich rasieren, dann hätte der Mensch auch daran wieder etwas auszusetzen. Der Mensch muss lernen, Gottes Willen zu akzeptieren."

"Auch der Prophet hat mit Stoffen gehandelt"

Jamshed hat nach seiner Bekehrung eine überaus erfolgreiche Mode-Kette unter seinem Label gestartet. In zehn Städten Pakistans kann man in Junaid-Jamshed-Boutiquen traditionelle Kleidung, Düfte aus nicht-alkoholischen Stoffen und Schuhe kaufen. Erst der radikale Wechsel vom Popsänger zum Islamisten, dann die Eröffnung eines eigenen Modelabels … Wie rechtfertigt Jamshed diesen Schritt?

Junaid Jamshed; Foto: www.mvuk.co.uk
Junaid Jamshed: "Der Mensch muss lernen, Gottes Willen zu akzeptieren."

"Unser Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm, hat auch mit Stoffen gehandelt. Es war erlaubt, und alles, was Gottes Wille ist, sollte man durchführen. Ich habe die Designs am Anfang selbst bestimmt, aber meine Produkte wurden erfolgreich, so dass ich mir eigenständige Designer leisten konnte. Diese verwalten jetzt das gesamte Design-Department."

Das Leben vor dem Leben

Angefangen hatte alles im Jahr 1987. In Rawalpindi, einer kleinen Stadt in Pakistan, begannen vier junge Männer gemeinsam Musik zu machen. Die Jeans tragenden, langhaarigen, Zigaretten rauchenden Männer sind ehrgeizig, talentiert und alle aus gutem Hause. Sie komponieren ein Musikstück, eine Art Nationalhymne in Popmusik-Format, und jetzt muss es nur noch mit dem Glück klappen. Der Erfolg übertrifft alle Erwartungen.

Am 14. August 1987, dem 30. Nationalfeiertag Pakistans, erobern die vier Jungs mit ihrer Single "Dil Dil Pakistan" die Musik-Charts und die Herzen der Menschen. Ihre damals formierte Band "Vital Signs" gilt bis heute als nicht nur erste, sondern auch als die erfolgreichste Band Pakistans. Insider behaupten, dass damals sogar mehrfache Mütter Fotos der Band-Mitglieder bei sich trugen. Vor allem aber Fotos des Leadsängers von "Vital Signs" – Junaid Jamshed.

Von der Koranschule zum Popstar

"In der Schule war ich ein guter Koran-Leser", erzählt Junaid Jamshed. "Ich konnte die Wörter richtig betonen, so wie es im Arabischen sein sollte. Also war meine Stimme durch das viele Lesen teilweise perfekt gestimmt fürs Singen. Als wir dann mit der Band anfingen, fiel es mir sehr leicht, stundenlang zu singen."

Der 1964 geborene Junaid Jamshed ist 23 Jahre alt, als die "Vital Signs" mit ihrer Single für Furore sorgen. Er gilt als einer der hübschesten Männer im Musikgeschäft. Er ist ein guter Sänger, verfügt über ein großes Ausdrucksvermögen und spielt meistens die Hauptrolle in den Videos der Band, sei es nun als Herzensbrecher oder als Mann mit gebrochenem Herzen. Als Jamshed 1990 heiratet, bricht er die Herzen aller weiblichen Fans im ganzen Land. Unbeeinflusst bleibt dagegen der Erfolg von "Vital Signs". Im Gegenteil, er sollte sich in den kommenden Jahren sogar noch steigern.

Der telegene Charismatiker

Jamshed ist nicht nur Leadsänger sondern auch das Aushängeschild der Band. Während die drei anderen Mitglieder eher im Hintergrund agieren, tritt Jamshed in Talkshows auf, verteilt Autogramme und verdreht den weiblichen Fans den Kopf. Nach sechs überaus erfolgreichen Alben, unzähligen Konzerten auf der ganzen Welt und Millionen von Fans gehen die "Vital Signs" im Jahre 1995 auseinander. Jamshed startet eine erfolgreiche Solokarriere und produziert mehrere Alben. Schon während seines Erfolges als Solokünstler kursiert jedoch das Gerücht, er spiele mit dem Gedanken, auszusteigen und sich dem Islam zu widmen.

Islam als Publicity?

2002 verkündet Jamshed auf einer Pressekonferenz, dass er das Musikgeschäft an den Nagel hängen werde. Sein äußeres Erscheinen deutete schon seit einigen Monaten auf eine Verwandlung hin: Er trägt Vollbart und kleidet sich ausschließlich in Shalwar Kameez, das pakistanische Nationalgewand. Die Welt ist nicht nur schockiert, sondern auch amüsiert. Während die Fans trauern, werden unzählige Stimmen laut, die behaupten, Jamshed befände sich lediglich in einer Pseudo-Islam-Phase. Ihm gehe es nur um Publicity.

"Ich habe sechzehn Jahre nichts als Geld, Ruhm und Publicity gesehen. Ich habe es einfach nicht nötig, auf noch mehr Publicity aus zu sein. Die Leute wollen einfach nicht verstehen, dass ich Gottes Willen befolge und einfach so lange gebraucht habe, seinen Willen zu begreifen." Und was sagen seine Frau und drei Kinder zu dieser Entwicklung?

"Natürlich war die Umstellung am Anfang sehr schwierig. Wenn man sich an ein bestimmtes Leben gewöhnt hat, macht es immer viel Mühe, sich umzustellen und etwas zu erreichen. Aber ich sehe es genau so, wie wenn man sich für eine Prüfung vorbereitet. Man lernt, liest und fragt nach, denn man will die Prüfung bestehen. Unser jetziges Leben ist nur die Vorbereitung für eine Prüfung, die uns nach dem Tode erwartet. Und wir sollten uns gründlich vorbereiten. Ich kann nur durch die Welt ziehen und die Menschen auffordern, den Weg einzuschlagen, welchen ich für mich gewählt habe. Mehr kann ich nicht tun."

Nadia Riaz

© Qantara.de 2006