Vom Häftling zum Präsidenten

Asif Ali Zardari, Witwer der ermordeten Oppositionsführerin Benazir Bhutto, ist der neue Präsident Pakistans. Sein Aufstieg vom Häftling zum Präsidenten in nur vier Jahren ist eines der erstaunlichsten Comebacks der vergangenen Jahre. Ein Kommentar von Irfan Husain

Zardari hält Ansprache nach der gewonnen Präsidentenwahl; Foto: dpa
Am 6. September wurde Asif Ali Zardari von der Wahlversammlung zum Präsidenten gewählt. "Demokratie ist die beste Vergeltung", hatte Zardari nach der Ermordung seiner Ehefrau Bhutto gesagt. Doch er gilt als korrupter Politiker.

​​2004 wurde Zardari nach acht Jahren Haft – verbüßt aufgrund nie bewiesener Anschuldigungen – entlassen. Bis zum Attentat auf seine Frau am 27. Dezember 2007 lebte er im Ausland. Nach Pakistan zurückgekehrt übernahm er die Führung der gemäßigten linken Pakistan People's Party (PPP), die er im Februar zum Sieg bei den Parlamentswahlen führte.

Doch auch wenn die PPP die meisten Parlamentssitze auf sich vereinen konnte, gelang es ihr nicht, eine komfortable Mehrheit zu erzielen. Durch eine Reihe geschickter Manöver schaffte es Zardari jedoch, eine Koalitionsregierung zu schmieden, die sich auf eine breite, heterogene Basis im ganzen Land stützen kann.

Selbst viele seiner Gegner mussten zähneknirschend anerkennen, dass es Zardari gelang, fortan ohne offene Konfrontationen auszukommen. Doch auch sie entsetzte die Vorstellung, dass er zum Präsidenten gewählt werden könnte.

Diese Vakanz aber ergab sich im letzten Monat, als Pervez Musharraf gezwungen war, seinen Rücktritt zu erklären, um einer drohenden Amtsenthebungsklage zu entgehen. Noch kurz zuvor schien Zardari willens, Musharraf zu tolerieren, um den Amerikanern entgegenzukommen, denen es vor einem drohenden Machtvakuum graute, das sich in dem Frontstaat mit seinem Kampf gegen die Taliban abzeichnete.

Dann aber schwenkte Zardari auf die Linie von Nawaz Sharif um, Führer der Pakistan Muslim League (PML-N), der zweitgrößten Koalitionspartei, und kündigte an, fortan die Absetzung Musharrafs aktiv mitbetreiben zu wollen.

"Mr. zehn Prozent"

Der Name Zardari war über die Jahre zu einem Synonym für politische Korruption geworden. Wegen seines Rufes, während der zwei Amtszeiten seiner Frau in den 1990er Jahren regelmäßig üppige "Kommissionen" für vergebene Staatsaufträge kassiert zu haben, gab man ihm den Spitznamen "Mr. zehn Prozent".

Man kann davon ausgehen, dass er seine neue Position dazu nutzen wird, noch mehr Geld einzustreichen. Und doch: Nie ist er in den vergangenen elf Jahren rechtskräftig verurteilt worden.

2007 wurden alle anhängigen Verfahren wegen Vergehen aus den Jahren 1990 bis 1999 ausgesetzt. Grundlage dafür war der "National Reconciliation Ordinance" (NRO) genannte Rechtsakt, erlassen von Musharraf als Teil eines komplizierten Deals mit Benazir Bhutto – auf Druck Washingtons. Das Gesetz kam zwar Hunderten zugute, wurde jedoch allgemein als "Lex Bhutto" angesehen.

Dieser Deal war es, der Bhutto erlaubte, aus dem Exil nach Pakistan zurückzukehren und sich in den Wahlkampf für die Wahlen im Januar dieses Jahres zu stürzen. Aus Sicht der Amerikaner sollte die liberale PPP dem Kampf Musharrafs gegen den islamistischen Extremismus politische Legitimität verschaffen.

Die Macht des Präsidenten

Doch das Attentat auf Benazir Bhutto veränderte die politische Landschaft auf einen Schlag; und die jüngste Wahl Zardaris hat bisher mehr Fragen aufgeworfen, denn beantwortet. Bislang agiert er vorsichtig.

Er will die Armee nicht verärgern, die weiterhin die mächtigste Institution Pakstians bleibt und die sich mehr als nur einmal in den politischen Prozess des Landes gemischt hat. Über mehr als die Hälfte seiner Existenz als unabhängiges Land wurde Pakistans Geschick direkt vom Militär bestimmt.

Zardari und Nawaz Sharif bei einem Gespräch im August 2008; Foto: AP
Die Kooperation war nur von kurzer Dauer: Nach den Parlamentswahlen gingen Zardari und Sharif eine Koalition ein, die Sharif verließ, nachdem sich Zardari weigerte einige Richter wieder einzusetzen und damit sein Wahlversprechen einzulösen.

​​Kritiker merken an, dass Zardari nun der mächtigste zivile Präsident ist, den Pakistan jemals hatte. In der ursprünglichen Verfassung ist der Posten des Präsidenten vor allem symbolischer Natur. Doch war es Musharraf, der nach seinem Putsch den berüchtigten 17. Verfassungszusatz erließ, der ihm uneingeschränkte Machtbefugnisse verlieh.

Noch zu Lebzeiten hatte Benazir Bhutto gemeinsam mit Nawaz Sharif eine Einigung unterzeichnet, die die Abschaffung dieses Verfassungszusatzes zum Ziel hatte.

Jetzt fragen sich die Pakistaner natürlich, ob Zardari der Absicht seiner Frau treu bleiben wird, auch wenn er im Vorfeld wiederholt erklärt hatte, dass er auf das Recht verzichten wolle, die militärische Führung einzusetzen und das Parlament aufzulösen.

Politischer Fußball

Es ist möglich, dass er das Gesetz als Verhandlungsmasse einsetzen wird, um Sharif dazu zu bringen, auf die Wiedereinsetzung Iftikahr Chaudhrys zu verzichten; dieser war im vergangenen Jahr noch von Musharraf als vorsitzender Richter des Obersten Gerichts abgesetzt worden.

Die Absetzung hatte seinerzeit zu heftigen Protesten von Seiten der Richter und Anwälte, aber auch von großen Teilen der Zivilgesellschaft geführt. Seit den Parlamentswahlen im Januar konnte Sharif mit der Forderung nach Wiedereinsetzung Chaudhrys viel Zuspruch in der Bevölkerung gewinnen.

Trotz langwieriger Verhandlungen und einer unterzeichneten Vereinbarung, hat sich Zardari noch immer nicht explizit für eine Rückkehr Chaudhrys ins Amt ausgesprochen.

Ein Grund hierfür mag darin bestehen, dass dieser unabhängig denkende Jurist bekanntermaßen nicht viel von der NRO, der "Lex Bhutto", hält und wahrscheinlich den Fall gegen Zardari wiederaufnehmen würde. Da er als Parteigänger Sharifs gilt, wurde er zum politischen Fußball der beiden Kontrahenten.

Bei einer Bombenexplosion in Lahore im Büro des Bundespräsidenten sterben im März 2008 mindestens 15 Menschen; Foto: AP
Die Gewalt in Pakistan nimmt kein Ende. Im März sterben 15 Menschen bei einer Bombenexplosion in Lahore. Unter den Anschlägen der Extremisten leidet vor allem die Zivilbevölkerung.

​​Die Drohungen der Islamisten

Nun, wo Zardari Präsident ist, sieht er sich einer ganzen Reihe von Herausforderungen gegenüber: Zuerst der Gefahr durch islamische militante Gruppen, die vor allem aus den Stammesgebieten heraus agieren. Im vergangenen Jahr wurden bei 50 Selbstmordattacken an die Tausend Menschen im ganzen Land getötet.

Die Milizen drohen, ihre Attacken fortzusetzen, wenn sich die Armee nicht aus dem Grenzgebiet zurückziehen sollte. Versuche, separate Friedensabkommen mit den pakistanischen Taliban auszuhandeln, sind bisher gescheitert, da sie die Zeit und den Raum nutzten, um Angriffe auf Afghanistan auszuführen.

Die NATO und die westlichen Alliierten begegnen solchen Versuchen mit großem Missfallen. Der kürzlich ausgeführte Angriff der Amerikaner auf pakistanischem Boden wiederum, hat eine Welle der Empörung verursacht.

Die Wirtschaft Pakistans liegt am Boden, die Inflation liegt bei fast 30 Prozent, die pakistanische Rupie gerät ins Schlingern, und die Börse ist ebenfalls in einem kritischen Zustand. Ein wirtschaftlicher Kollaps könnte die Armee sehr wohl dazu bringen, erneut einzugreifen. Was Zardaris Kritiker also auch immer gegen ihn vorbringen mögen: Was ihm bevorsteht, ist kein Zuckerschlecken.

Irfan Husain

© Qantara.de 2008

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Irfan Husain ist ein pakistanischer Journalist und Kommentator. Er schreibt seit über 30 Jahren für pakistanische Medien. Seine Artikel wurden in allen wichtigen Zeitungen Pakistans veröffentlicht. Zurzeit schreibt Husain eine wöchentliche Kolumne für die Zeitung "Dawn".

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