Arthouse mit sozialer Botschaft

"Dukhtar", der erste Spielfilm von Afia Nathaniel, ist nicht nur auf internationalen Festivals erfolgreich, sondern traf auch in Pakistan ins Schwarze. Marian Brehmer hat den Film gesehen.

Von Marian Brehmer

Pakistans nordwestliche Stammesgebiete in der Provinz Khyber-Pakthunkhwa sind spannungsgeladenes Territorium. Hier treffen archaische Traditionen auf zauberhafte Landschaften und Dorfidylle; ausdrucksstark schöne Menschen erleben die Kräfte von roher Gewalt und Unterdrückung. Diesen szenischen Hintergrund hat die pakistanische Regisseurin Afia Nathaniel für ihren Erstlingsspielfilm "Dukhtar" (Tochter) ausgewählt.

"Dukhtar" beginnt mit den Szenen einer unglücklichen Ehe. Die Protagonistin Allah Rakhi kocht gedankenversunken für ihren Ehemann, der seiner Frau nur den Rücken zuwendet. Der Paschtune steckt in einer Stammesfehde fest, die bereits zwei seiner Söhne das Leben gekostet hat. Als Ausweg aus der Zwickmühle schlägt die Gegenseite einen Familienbund vor: Allah Rakhis zehnjähriger Tochter soll an den feindlichen Paschtunenführer, einen alten bärtigen Stammeskrieger, verheiratet werden.

Doch das will Allah Rakhi nicht zulassen und entscheidet sich stattdessen zur riskanten Flucht mit ihrer Tochter. Jäh verändert sich das Tempo des Films zu einem rasanten Roadmovie, wird das pittoreske Bergtal zur feindlichen Kulisse in dessen Zentrum nur noch das Überleben der zwei Protagonistinnen steht.

Die Suche einer Mutter zwischen Tradition und Moderne

Die Inspiration zu "Dukhtar" stammt von der wahren Geschichte einer paschtunischen Mutter, die mit zwei Töchtern aus ihrem Dorf flieht – wohlwissend, dass sie dafür umgebracht werden kann. "Das Bild dieser Frau auf den Straßen ließ mich nicht mehr los", schildert Afia Nathaniel. "Ich wollte die Suche einer Mutter in einer Gesellschaft im Spannungsfeld von Modernität, Tradition und Fundamentalismus darstellen." Dass Nathaniel während ihrer Arbeit an dem Film selbst Mutter wurde, habe ihr eine neue Perspektive auf ihr Projekt gegeben.

Afia Nathaniel wurde im pakistanischen Quetta geboren, verbrachte ihre Kindheit in Lahore und lebt heute als unabhängige Filmemacherin in den Vereinigten Staaten. Die gebürtige Informatikerin hat seit der Premiere von "Dukhtar" in Toronto im Jahr 2014 mehrere Festival-Preise für den Film erhalten.

Zurecht, denn "Dukhtar" ist ein mutiges Unterfangen. Nathaniel mag die erste Regisseurin sein, die über zwei Monate in den Dörfern Nordpakistans gedreht hat. Dafür musste ihr Team Dorf-Communities überzeugen und der launigen Witterung der Bergregion standhalten. Um ein möglichst authentisches Bild des paschtunischen Familienlebens zu transportieren, traf sich Nathaniel im Vorfeld mit Paschtuninnen zum Gespräch. Besonders überrascht habe sie dabei die natürliche Wissbegier dieser Frauen, etwa im Erlernen von Sprachen, was sich im Film darin widerspiegelt, dass Allah Rakhi von ihrer Tochter Englischunterricht bekommt.

Die Seele Pakistans in einem bunten Lastwagen

Die Dialoge, die farbgewaltigen Kostüme und Kameraeinstellungen von "Dukhtar" fügen sich zu einem künstlerischen Ganzen, das oft berückend schön und poetisch erscheint. Da ist beispielsweise der für Pakistan so typisch dekorierte, vor lebensbejahender Buntheit überbordende Lastwagen, mit dem die zwei Frauen ihre Flucht ins Tiefland wagen. Er ist ein Symbol für die Seele des Landes, für das, was trotz aller Krisen nicht zerfallen will.

Nathaniels Liebe zur Vielfalt der pakistanischen Kultur schimmert in dem Streifen immer wieder durch, etwa durch einfließende Urdu-Poesie oder beim Besuch im bunten Treiben eines Sufi-Schreins in Lahore. So ist der Film zwar tragisch durch das Frauenschicksal, das er porträtiert, vermeidet jedoch, ein einseitig negatives Unterdrückungsklischee à la "Nicht ohne meine Tochter" aufzubauen.

"Für die Kunst des Geschichtenerzählens ist es wichtig zu wissen, wie man die menschliche Natur mit all ihren Paradoxen ergründet", meint Afia Nathaniel. Diese Tiefe in der Darstellung gelingt ihr durch eine feine Dramaturgie und hervorragende Schauspieler. Allah Rakhis Schauspiel ist so überzeugend, dass die Story ganz von der Charakterstärke der paschtunischen Mutter getragen wird.

Ein Meilenstein für den pakistanischen Film

"Dukhtar" ist auch ein Meilenstein für den pakistanischen Film, den es in dieser Form noch nicht gegeben hat: ein Arthouse-Streifen mit zwei Frauen in den Hauptrollen, die eine soziale Botschaft an das Publikum transportieren. "Die Konzeption des Films ist etwas ganz anderes als die übliche Mischung aus Song und Tanz im pakistanischen Film, bei der Frauen sexualisiert werden um männliche Fantasien zu bedienen", sagt Nathaniel.

Umso mehr war die Filmemacherin überrascht, dass die erste Vorstellung von "Dukhtar" in Pakistan bereits in wenigen Minuten ausverkauft war. Unter dem Hashtag #ISupportDukhtar riefen Prominente zudem im Internet dazu auf, die Botschaft des Films zu unterstützen. Zahlreichen Frauen, die ihre Familien mitbrachten und ganzen Schulklassen, die auf Initiative ihrer Lehrer ins Kino gingen, schauten sich den Film an – nicht unbedingt das typisch Arthouse-Publikum. Das allein zeigt schon, dass Nathaniel mit "Dukhtar" in ihrer Heimat einen Nerv getroffen hat.

Marian Brehmer

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