Nothilfe einer Militärregierung

Das Erdbeben in Kaschmir hat gezeigt, dass Pakistans Präsident Musharraf kein Gespür für die Bedürfnisse seines Volkes hat. Nichtstaatliche Gruppen haben die betroffenen Gebiete viel schneller mit Hilfe versorgt als die Armee, schreibt S. Akbar Zaidi in seinem Kommentar

Pakistans Präsident General Pervez Musharraf spricht zu Erdbebenopfern in Muzaffarabad, Foto: AP
Das Beben hat die viel gelobte Erfolgsgeschichte von Musharrafs Regime als durchsichtig, unpolitisch und dysfunktional enttarnt - Pakistans Präsident spricht zu Erdbebenopfern in Muzaffarabad

​​Pakistan wird noch immer vom Militär beherrscht, auch wenn es manchmal anders aussieht. General Perves Musharraf ist Oberbefehlshaber der Armee und zugleich pakistanischer Präsident.

Es gibt zwar ein gewähltes Parlament und eine quasi-zivile Regierung, die wirkliche Macht liegt jedoch beim Präsidenten und den militärischen Institutionen, die ihn unterstützen. Vor diesem Hintergrund muss die Reaktion auf das Erdbeben in Pakistan gesehen werden, das fast 100.000 Tote forderte.

Schon bald nach dem Beben wurde die Schwäche des pakistanischen Staates offenbar. Die Armee ist seine größte und am besten organisierte Institution und die wichtigste Säule der Regierung. Aus diesem Grund erwarteten die Menschen in den zerstörten Gebieten, die Armee werde sofort mit der Bereitstellung von Hilfe beginnen.

Wie in vielen anderen Ländern ist auch in Pakistan das Militär die einzige Organisation, die über die nötigen Ressourcen zur Intervention in Katastrophengebieten verfügt – einschließlich Hubschraubern, Krankenwagen, Jeeps und Arbeitskräften.

Den eigenen Befehlsstrukturen im Weg

Es waren jedoch private Gruppen, die in den unzugänglichen Regionen mit besonders vielen Opfern Soforthilfe leisten mussten. Dem Militär standen seine eigenen Befehlsstrukturen im Weg.

Deshalb waren viele nichtstaatliche Einrichtungen, Wohlfahrtsorganisationen und nicht zuletzt islamische Hilfsorganisationen (einschließlich so genannter Jihadi-Gruppen) als Erste in den betroffenen Gebieten. Ohne diese Unterstützung wären die Zahl der Toten und das Elend noch viel größer gewesen.

Besucher der betroffenen Gebiete registrierten große Enttäuschung und regelrechte Feindseligkeit gegenüber dem Militär. Aufgrund der politischen Ökonomie und der Geschichte Pakistans verlässt sich die Bevölkerung von jeher auf den Staat.

In Krisensituationen erwarten die Pakistanis Hilfe von Regierung und Militär, mehr noch vielleicht als die Menschen in anderen Ländern. Dass US-Präsident George W. Bush einige Wochen zuvor während des Katrina-Desasters New Orleans im Stich gelassen hatte, macht das Staatsversagen in Pakistan in den Augen der Bevölkerung nicht besser.

Das Beben hat die viel gelobte Erfolgsgeschichte von Musharrafs Regime – das System lokaler "Distriktverwaltung" – als durchsichtig, unpolitisch und dysfunktional enttarnt und damit bestätigt, was viele darüber dachten. Das System und seine gewählten Gremien sind ebenso wie die gesamte Infrastruktur des Erdbebengebietes zu Schutt zerfallen.

Politische Gruppen und die Zivilgesellschaft haben die staatlichen Behörden zudem kritisiert, nicht die richtigen haushaltspolitischen Konsequenzen aus der Krise gezogen zu haben. Militär und Regierung haben dringend um internationale Hilfe für den Wiederaufbau gebeten.

Gleichzeitig jedoch lehnte der pakistanische Präsidentengeneral Kürzungen im Verteidigungshaushalt kategorisch ab. Nur eine Woche nach dem Beben unterzeichnete das Militär sogar einen Vertrag über den Kauf von sechs schwedischen Frühwarnflugzeugen für eine Milliarde Dollar.

Menschliche Sicherheit in Pakistan untergraben

Zu allem Überfluss baut sich die Armee derzeit ein riesiges neues Hauptquartier in Islamabad, das die meisten Kommentatoren als teure Extravaganz bewerten. Immerhin: Den Kauf von F-16-Kampfflugzeugen aus den USA für drei Milliarden Dollar hat Musharraf wegen des Bebens verschoben. Dennoch: Angesichts einer Krise solch furchtbaren Ausmaßes hat die Armee nur wenig Nennenswertes geleistet.

Die Reaktion des Staates auf das verheerende Erdbeben hat gezeigt, dass das Militär über eine ihm fremd gewordene Gesellschaft herrscht und unfähig ist, in Krisenzeiten auf lokale Bedürfnisse zu reagieren. Die Besessenheit, mit der die Armee an ihrem Verständnis von "Sicherheit" festhält, untergräbt echte menschliche Sicherheit in Pakistan.

Erst nach vier Wochen erlaubte das Militär Hilfstransporte von Indien über die Kontrolllinie in Kaschmir. Aber obwohl diese Entscheidung lange auf sich warten ließ, sollten wir sie wohl als spätes Zeichen für Kooperationsbereitschaft zum Wohle der Menschen begrüßen.

S. Akbar Zaidi

© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2005

S. Akbar Zaidi ist Sozialwissenschaftler in Karatschi, Pakistan.

Qantara.de

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