Lösungsansätze gegen Terror und Gegen-Terror

Was macht den IS so attraktiv für junge Menschen? Was kann man dagegen tun – jenseits des Rufs nach mehr Härte und noch mehr Krieg gegen den Terror? Ausgehend von diesen Fragen liefert der Grünen-Politiker Omid Nouripour in seiner profunden Analyse konkrete Lösungsvorschläge. Von Claudia Kramatschek

Von Claudia Kramatschek

Spätestens mit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 wurde wohl auch den letzten Gutgläubigen klar, dass Deutschland für islamistische Attentäter schon längst ein veritables Anschlagsziel darstellt. Der Grünen-Politiker und Nahost-Experte Omid Nouripour nimmt die aufgeladene Gemengelage jenes Anschlags deswegen auch zum Ausgangspunkt seines Bandes "Was tun gegen Dschihadisten? Wie wir den Terror besiegen können", in dem er die Problemlage noch einmal aus vielerlei Perspektiven umkreist, vor allem aber konkrete Lösungsansätze zur Hand reicht.

Den Dschihadismus selbst, den der Autor als tödliche Ideologie gleich anfangs bewusst vom Dschihad als religiösen Glaubensgrundsatz des Islam absetzt, begreift er dabei vor allem als Idee – wenn auch eine, so Nouripour, unbenommen "barbarische und gewalttätige Idee". Die entscheidende Frage lautet für ihn: Wie besiegt man solch eine gefährliche und rund um den Globus offenbar hochattraktive Idee? Seine Antwort: Indem man erst einmal begreift, was möglicherweise just diese Idee so attraktiv macht – um sie, so Nouripour, durch "bessere Ideen" zu ersetzen.

Eine kleine Geschichte des Dschihadismus

Der erste Teil des Bandes bietet folgerichtig einen historischen Abriss des Dschihadismus. Nouripours persönlicher Stichtag ist jener Moment im Jahr 1998, als der damalige Chef von Al-Qaida, Osama bin Laden, eine Fatwa veröffentlichte, die alle Amerikaner und ihre Verbündeten zu Ungläubigen und damit zu Freiwild erklärte. Der "Kampf der Kulturen" war damit eröffnet.

Genau dem aber möchte der Band eine Absage erteilen. Denn Nouripour macht deutlich: Nicht 9/11 "veränderte die Welt zum Schlechten", sondern der von den USA im Anschluss eröffnete "Krieg gegen den Terror" – der symptomatisch steht für die Kraft, mit der Terror jeder Couleur eine Gesellschaft und deren Fähigkeit zur Offenheit beeinflussen und verändern kann.

 

Cover of Omid Nouripour's: "What to Do about Jihadists? A Policy Approach to the War on Terror", German only (published by DTV premium)
Omid Nouripour macht in seiner Analyse deutlich: Nicht 9/11 „veränderte die Welt zum Schlechten“, sondern der von den USA im Anschluss eröffnete „Krieg gegen den Terror“ – der symptomatisch steht für die Kraft, mit der Terror jeder Couleur eine Gesellschaft und deren Fähigkeit zur Offenheit beeinflussen und verändern kann.

Der Irak-Krieg 2003 oder "wer die Geister rief"

Die Fehler der damaligen US-Regierung sind hinlänglich bekannt. Der bekannteste und größte war und ist der Angriff auf den Irak 2003, denn dies – Nouripour kann es in seinem Band gar nicht oft genug zur Sprache bringen – war die Geburtstunde jener tödlichen Geister, die nunmehr unter dem blutigen Firmennamen des IS eine Spur von Hass und Gewalt quer über die ganze Welt verbreiten.

Nouripour rekapituliert noch einmal anhand der wichtigsten Stationen den rasanten Aufstieg dieser Terrororganisation, an dem nicht nur George Bush, sondern auch Nuri Al-Maliki, Iraks ehemaliger Ministerpräsident, tatkräftig beteiligt war. Zugleich macht er klar: Dschihadisten haben Erfolg, weil sie jene gesellschaftlichen und politischen Vakuen besetzen, die staatliche Instabilität, innerpolitische Konflikte und anderweitiges Versagen von Regierungen hinterlassen haben.

So werden sie unverzichtbar, und diese Unverzichtbarkeit steigert ihre Attraktivität. Am Ende werden, hebt Nouriopour hervor, aus lokalen Konflikten globale Konflikte.

Dschihadismus glokal

Was das konkret vor Ort bedeutet, beleuchtet Nouripour in einem Einblick in die Situation einzelner Länder unter dem Stichwort "Dschihadismus glokal". Es ist ein Kapitel, bei dessen Lektüre einem schwindelig werden kann, hinterlässt es doch den Eindruck, dass von Nordafrika bis zur Subsahara, vom Irak bis weit in den Nahen Osten und die vorderasiatische Welt hinein allenthalben Brandherde schwelen, die nur darauf warten, wie etwa geschehen in Syrien, zu flächendeckenden Kriegen mit internationalen Auswirkungen zu werden.

Nouripour verhehlt in diesem Kapitel nicht seine scharfe Kritik an der deutschen Regierung, die in zahlreiche der genannten Länder und Regionen Waffen liefert und weiterhin "strategische Partnerschaften" mit Regierungen pflegt, die eben jenen religiösen Extremismus exportieren, den man im Westen vorgibt zu bekämpfen.

Innen- und außenpolitisch Hand in Hand arbeiten

Auf politischer Ebene, so führt Nouripour aus, wäre dies im Hinblick auf die mögliche Bekämpfung des Dschihadismus ein erster Anfang, innenpolitisch wie außenpolitisch eben jene Integrität zu haben, die man von anderen Ländern erwartet. Innenpolitisch hieße das zu begreifen, dass es – so Nouripour – immer um "Aus- und Abgrenzung" geht.

Noch immer fehlt eine nachhaltige Integrationspolitik; noch immer fehlen Überlegungen zu Methoden sowohl der Prävention wie der Deradikalisierung, die helfen, das Modell "Demokratie" nicht nur "sexy", sondern auch – so Nouripour – attraktiver zu machen als das Modell „Dschihadismus“. An diesem Strang müssen alle ziehen: der Staat, die Schule, die Familie, aber auch – wie Nouripour mit Verweis auf Ahmed Mansour betont – Muslime und die Islamverbände selbst.

Außenpolitisch hieße das laut Nouripour, "nicht länger auf eine Politik der Scheinstabilität zu setzen" – und vor Ort Regierungen oder oppositionellen Gruppen zu helfen, all jene Faktoren einzudämmen, die dem Dschihadismus Tür und Tor öffnen: Korruption; Arbeitslosigkeit; eine Außenpolitik, die nicht allein der Migrationspolitik gehorcht; Klimawandel, Kriege um Land und Wasser, Hunger und Abwanderung auslöst.

Die Liste ist lang. Wichtig ist: Es gibt, das betont der Autor mehrmals, keinen Masterplan! Eben das macht den Kampf gegen den Terrorismus so schwierig. Und eben deshalb darf man ihn nicht verloren gehen. Denn – so schreibt Omid Nouripour, der seine persönliche Betroffenheit im gesamten Band nicht verhehlt, abschließend – jede unserer Reaktion entscheidet: "jeden Tag".

Claudia Kramatschek

© Qantara.de 2017

Omid Nouripour: "Was tun gegen Dschihadisten? Wie wir den Terror besiegen können", Dtv premium, München 2017, 304 Seiten, ISBN: 9783423261555