Modernisierung durch Bildungskampagnen

Die Zahl der nichtstaatlichen Organisationen im Iran, die sich gesellschaftlich engagieren, wird auf bis zu zehntausend geschätzt. Eine von ihnen ist das "Zentrum für die kulturelle Entwicklung von Kindern". Amin Farzanefar stellt es vor.

Schule im südlichen Khorasan; Foto: www.ccdc.ir
In den verarmten ländlichen Regionen des Landes will das vor fünf Jahren gegründete Zentrum das enorme Bildungsgefälle zur Stadtbevölkerung ausgleichen

​​Konservative Schätzungen gehen im Iran mittlerweile von einer Anzahl von 4000 so genannter Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus - die tatsächliche Zahl dürfte wohl über 10.000 liegen. Vor allem die enthusiastische Jugend hatte nach dem Amtsantritt von Reformpräsident Khatami 1996 einen regelrechten Boom von NGO Neugründungen eingeleitet.

Direkte politische Aktivitäten meiden die meisten NGOs allerdings, sie widmen sich vor allem den benachteiligten Randgruppen: den vielen Drogenabhängigen und Prostituierten etwa, den Frauen, Arbeitslosen und Behinderten sowie ehemaligen jugendlichen Strafgefangenen und Kindern.

Bibliotheken für Kinder

So richtet das "Zentrum für die kulturelle Entwicklung von Kindern" (CCDC) in entlegenen Dorfschulen Bibliotheken ein und versorgt sie mit multimedialen Bildungsprogrammen. In den verarmten ländlichen Regionen des Landes will die vor fünf Jahren gegründete Organisation das enorme Bildungsgefälle zur Stadtbevölkerung ausgleichen.

Monireh Homayouni arbeitet seit 35 Jahren mit Kindern. Nach ihrem Studium in Deutschland hatte sie eine persische Sprachschule gegründet, war dann nach ihrer Rückkehr in den Iran beim Aufbau verschiedener NGOs tätig. Die Arbeit mit jugendlichen Strafgefangenen bewog sie, künftig beim Ursprung vieler Probleme anzusetzen – der mangelnden Schulbildung. Heute leitet sie das "Zentrum für die kulturelle Entwicklung von Kindern".

Mit freiwilligen Mitarbeitern bemüht sie sich nun vor Ort um Räumlichkeiten, karrt Bücher heran, lässt Dorfbewohner zu Bibliothekaren ausbilden und hält Kurse ab:

"Wir lehren Friedenskunde und Kinderrecht, Umweltbewusstsein und Hygiene und Nützliches für den Alltag. Außerdem veranstalten wir Märchenstunden, Theateraufführungen und Literaturlesungen und fördern die Pflege lokaler Traditionen ebenso wie Handwerk, Kunst und Kalligrafie."

Acht Bibliotheken hat das Zentrum inzwischen aufgebaut, mit 27 weiteren kooperiert man. Darüber hinaus ist das CCDC in unzähligen weiteren Hilfsprojekten involviert, unter anderem beim Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Stadt Bam.

Islamische Almosen

Ohne staatliche Zuschüsse bleibt das Zentrum vor allem auf eine im Iran wichtige Hilfsquelle angewiesen: Die traditionell und religiös verwurzelte Bereitschaft zu Spenden und zu sozialem Engagement. Beim CCDC sichert das klassische "Almosen" die Finanzierung von Schlafsälen für Kinder aus armen Familien oder abgelegenen Häusern.

"Patenschaften über 50.000 - 60.000 Touman (50-60 Euro) ermöglichen es auch Schulabbrechern, dem vorgezeichneten Schicksal der Kinderarbeit zu entgehen, bei dem die Jungen meist als Schäfer arbeiten und die Mädchen Teppiche knüpfen müssen" erzählt Monireh Homayouni.

Bei der angestrebten Modernisierung stößt das CCDC an Grenzen: Aktive Teilnahme statt Auswendiglernen, Gruppenarbeit statt Frontalunterricht, der Einsatz moderner Lehrmitteln - das ist Neuland, nicht nur für Lehrer und freiwillige Helfer, sondern auch für die Eltern:

"In diesen Dörfern gibt es teilweise noch extrem religiöse und traditionelle Einstellungen: die Eltern sorgen sich etwa um ihre Ehre, wenn die Kinder mehr wissen als sie", so Homayouni.

Doch erfreulicherweise fruchtet ihre Aufklärungsarbeit, und so arbeiten immer mehr Dorfkinder genauso mit modernen Lehrmitteln, Computern und CDs wie die Kinder in städtischen Schulen. Die Provinzbehörden konnten nach langen Diskussionen überzeugt werden, den Lehrplan den lokalen Besonderheiten anzugleichen.

Innere und äußere Widerstände

Auf höherer Ebene steht dieser Reformgeist allerdings noch aus. Im Iran kollidiert ein überkommener Hang zur Privatinitiative und zu regionalem Engagement mit einem seit Jahrzehnten planwirtschaftlich orientierten und seit Jahrtausenden hierarchisch strukturierten Gesellschaftsmodell.

Zwar gibt es Kooperationen mit der WHO, mit UNICEF und anderen Organisationen. Darüber hinaus existiert ein beeindruckend modernes Entwicklungsprogramm, das unter anderem Mikro-Kredite für regionale Initiativen oder Zuwendungen für nichtstaatliche Organisationen vorsieht.

Diese hehren Vorsätze stoßen jedoch auf Zentralismus, Missmanagement, inkompetente Beamte oder verschleppte Genehmigungsverfahren: Weil etwa die Zulassung durch drei Ministerien geprüft werden muss, hat sich über die Hälfte der NGOs nicht registrieren lassen.

Dass Institutionen wie das CCDC auch international weitgehend isoliert sind, ist eine Folge der aktuellen Politik. Nach den Nuklear-Querelen unter Ahmadinedschad hat sich die im Iran schon traditionell grassierende Angst vor Fremdeinmischung und Spionage noch erhöht.

Ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt setzte US-Präsident Bush, indem er unlängst 75 Millionen Dollar für einen "Regimewechsel" freigab. Während der Großteil der Gelder der ausländischen Opposition zugedacht ist, soll ein Drittel im Iran selbst eingesetzt werden, zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Diese lehnt jedoch dankend ab – und hofft, dass die junge Generation alles anders, alles besser macht.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2006

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Homepage des Zentrums für die kulturelle Entwicklung von Kindern