Der geächtete Rechtsgelehrte

Im Iran ist der moderate Geistliche Hassan Khomeini nicht zur Wahl des Expertenrats zugelassen worden, obwohl er der Enkel des Staatsgründers ist. Der Fall zeigt, warum es den Moderaten und Reformern so schwer fällt, sich gegen das konservative Establishment zu behaupten. Von Ulrich von Schwerin

Von Ulrich von Schwerin

Ayatollah Ruhollah Khomeini ist so etwas wie der Staatsheilige des Iran. Im offiziellen Diskurs wird der Begründer der Islamischen Republik als "Imam" bezeichnet und damit in die Nähe der zwölf Imame der Schiiten gerückt. Auch sein Mausoleum im Süden von Teheran kann es in Größe und Pracht durchaus mit den Grabmälern von Imam Hussein in Kerbela oder von Imam Reza in Maschhad aufnehmen. Wenn zu seinem Todestag Anfang Juni hunderttausende Menschen zu seinem Mausoleum pilgern, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass hier tatsächlich ein Heiliger verehrt wird.

Umso erstaunlicher war es, dass sein ältester Enkel Hassan Khomeini neben zahlreichen anderen Kandidaten der Moderaten und Reformer vom Wächterrat nicht zur Wahl des Expertenrats zugelassen wurde, die dieses Jahr gemeinsam mit der Parlamentswahl am 26. Februar stattfindet. Im schiitischen Glauben wird nicht nur den Imamen, sondern auch ihren Nachfahren höchste Verehrung entgegengebracht. Müsste man da nicht annehmen, dass auch die Familie des "Imam" Khomeini eine gewisse Ehrerbietung genießt?

Der ideologisch-religiöse Königsmacher

Doch Hassan Khomeini hat sein Name nicht geschützt. Der 43-jährige Geistliche gehört zum Lager von Präsident Hassan Rohani und dem früheren Präsidenten Akbar Hashemi Rafsandschani. "Hassan Khomeini sollte durch seine Herkunft dem pragmatisch-zentristischen Flügel um Rohani und Rafsandschani eine ideologisch-religiöse Legitimität verleihen", sagt der Iranexperte Ali Fathollah-Nejad von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik".

Mausoleum Imam Khomeinis; Foto: Tasnim
In Größe und Pracht durchaus mit den Grabmälern von Imam Hussein in Kerbela oder von Imam Reza in Maschhad vergleichbar: Wenn zu Ayatollah Khomeinis Todestag Anfang Juni hunderttausende Menschen zu seinem Mausoleum pilgern, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass hier tatsächlich ein Heiliger verehrt wird.

Gemeinsam mit dem jungen Khomeini hofften Rohani und Rafsandschani, die Kontrolle über den Expertenrat zu gewinnen. Das Gremium aus 88 hohen Geistlichen ist von Bedeutung, da ihm die Aufgabe zukommt, den Revolutionsführer zu wählen. Da der Amtsinhaber Ayatollah Ali Khamenei bereits 76 Jahre alt ist und nicht mehr bei bester Gesundheit, kann es gut sein, dass in der achtjährigen Amtszeit des Expertenrats die Wahl eines Nachfolgers erfolgt.

Die Hoffnung auf die Wahl von Hassan Khomeini hat der Wächterrat aber zunichte gemacht, als er seine Kandidatur abwies. Zwar wurde Khomeini Junior nicht formal disqualifiziert, sondern seine Zulassung scheiterte offiziell daran, dass er die Einladung zu einer schriftlichen Prüfung nicht erhielt, so dass dem Wächterrat nach eigener Aussage nicht die nötigen Informationen vorlagen, um über seine Qualifikation zu entscheiden.

Diese offizielle Darstellung glaubt im Iran freilich niemand. Es ist kein Geheimnis, dass der von konservativen Geistlichen dominierte Wächterrat nicht nur die persönliche Eignung und die religiöse Qualifikation von Kandidaten prüft, sondern auch ihre Treue zum System. Da aus Sicht des Wächterrats das System gleichbedeutend ist mit Revolutionsführer Khamenei schließt er dessen Gegner und Kritiker regelmäßig von den Wahlen aus.

Kampf gegen die "Feinde des Systems"

Nachdem nach der Revolution 1979 zunächst Monarchisten, Kommunisten, Liberale und die Volksmudschaheddin als Gegner galten, wurde der Begriff später auch auf National-Religiöse, Linksislamisten und schließlich die Reformer ausgedehnt. Seit den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2009 betrachten die Konservativen alle Befürworter politischer Reformen als Feinde des Systems.

Hassan Khomeini (l.) und Ali Akbar Hashemi Rafsandschani; Foto: Tasnim
Gemeinsam mit dem jungen Khomeini hofften Rohani und Rafsandschani, die Kontrolle über den Expertenrat zu gewinnen. Doch der Ausschluss Khomeinis vom Wächterrat bedeutet für die Reformer einen Rückschlag. Bereits Mitte Januar wurden 7.000 von 12.000 Kandidaten für die Parlamentswahl abgelehnt. Rohani hatte dies kritisiert. Dagegen hatte Khamenei darauf bestanden, dass die Kandidaten vom Expertenrat eingehend unter die Lupe genommen werden.

Dass es aber auch Hassan Khomeini treffen würde, überrascht doch. Als ältester Sohn von Ahmad Khomeini ist er das Oberhaupt des Khomeini-Clans. Zwar war Ahmad nur der zweitälteste Sohn des Staatsgründers, doch dessen Erstgeborener Mostafa verstarb zwei Jahre vor der Revolution – angeblich wurde er vom Geheimdienst des Schahs ermordet. Und Mostafas einziger Sohn Hussein lehnt das aktuelle System entschieden ab.

Daher war es Hassan, dem die Verwaltung des Mausoleums seines Großvaters und die Leitung des Instituts zur Publikation seiner Schriften übertragen wurde. Aus der Politik hielt er sich lange heraus und widmete sich neben der Verwaltung des Erbes seines Großvaters seinen religiösen Studien. Heute hat er den Rang eines Hodschatoleslam und lehrt an den Seminaren von Qom Dars-e kharej, das höchste Niveau der islamischen Rechtslehre.

Unterstützung für die "grüne Bewegung"

Allerdings brach Hassan Khomeini nach der umstrittenen Wahl 2009 mit seiner Neutralität und stellte sich hinter die Reformer Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi. Dies brachte ihm heftige Anfeindungen der konservativen Hardliner ein, was soweit ging, dass er im Juni 2010 bei den Feiern zum Todestag seines Großvaters in dessen Mausoleum mit Rufen von "Tod den Heuchlern" und "Tod den Regimegegnern" niedergeschrien wurde.

Dürfen die das?, fragte man sich schon damals verwundert. Zwar sorgte der Vorfall für scharfe Kritik der Reformer, doch Khamenei erwähnte die Rufe mit keinem Wort, als er kurz nach Hassan Khomeini ans Rednerpult trat. Als dieser im Januar nun seine Kandidatur für den Expertenrat verkündete, wurde er von Hardlinern erneut scharf angegriffen, und sogar seine religiöse Qualifikation wurde in Frage gestellt.

Hassan Khomeini versicherte, ihm gehe es nur darum, wie von seinem Großvater gefordert, "bis zum Tod die Grundlagen der Islamischen Republik zu verteidigen". Doch der Chefredakteur der ultrakonservativen Zeitung "Kayhan", Hossein Shariatmadari, schrieb, nicht Hassan Khomeini sondern der Anfang Januar in Saudi-Arabien hingerichtete Geistliche Nimr al-Nimr sei "der wahre Enkel von Imam Khomeini".

Ali Fathollah-Nejad; Foto: privat
"Die Hardliner sind nicht mehr auf den Khomeini-Clan angewiesen. Viele Kleriker sympathisieren heute mit den Reformisten, doch das Machtzentrum liegt beim Revolutionsführer Khamenei und den Revolutionsgarden", meint der Iranexperte Fathollah-Nejad.

"Die Hardliner sind nicht mehr auf den Khomeini-Clan angewiesen", sagt der Iranexperte Fathollah-Nejad. Überhaupt sei der schiitische Klerus nicht mehr das Machtzentrum im Iran. "Viele Kleriker sympathisieren heute mit den Reformisten, doch das Machtzentrum liegt beim Revolutionsführer Khamenei und den Revolutionsgarden." Daher kann Khamenei es sich leisten, den Khomeini-Enkel zu disqualifizieren – egal ob die Argumente dafür überzeugen.

Kampf um die Macht im Staat

Der Fall zeigt, dass der Name Khomeini in der Politik immer weniger eine echte Rolle spielt. Zwar berufen sich weiter alle politischen Lager auf den Staatsgründer, um ihre Politik zu legitimieren, und versuchen, sich als seine wahren Erben darzustellen. Doch ist längst klar, dass jeder nur die Aussagen zitiert, die in das eigene Narrativ passen. Letztlich kann der ganze Diskurs um Khomeini, die Revolution und den Islam nicht verdecken, dass es vor allem um Macht geht. Und wer die Macht hat, bestimmt – notfalls auch ohne Legitimität.

Entsprechend nutzt es Hassan Khomeini und anderen disqualifizierten Kandidaten wenig nachzuweisen, dass sie die nötige religiöse Qualifikation haben. Auch bringt es ihnen nichts zu zeigen, dass ihre Forderungen nach mehr Partizipation, Pluralismus und Bürgerrechten konform mit der Verfassung sind.

Schon der Konflikt um die Wahlen 2009 zeigte, dass es den Reformern nichts bringt, politische Legitimität zu besitzen. Solange die Konservativen die Macht haben, können sie die Moderaten und Reformer ausschließen – und tun dies auch.

Ulrich von Schwerin

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