Islam auf dem Stundenplan

Der Islamunterricht in Erlangen sieht als besondere Schwerpunkte interreligiösen Dialog und Weltoffenheit im Lehrplan vor - ein Modell, das schon bald in ganz Bayern Schule machen könnte. Von Christiane Hawranek

Der Islamunterricht in Erlangen, der laut Lehrplan interreligiösen Dialog und Weltoffenheit als besondere Schwerpunkte vorsieht, könnte schon bald in ganz Bayern Schule machen: Im kommenden Schuljahr wird Nürnberg ein ähnliches Projekt starten. Christiane Hawranek informiert

Schulunterricht in der Grundschule; Foto: dpa
Der Erlanger Islamunterricht als Alternative zu der seit 1977 in Bayern praktizierten Unterweisung in türkischer Sprache?

​​"Ich bin Muslim – ich soll Frieden schaffen". Dieser Schriftzug auf buntem Tonpapier hängt an der Wand eines Klassenzimmers in der Grundschule Brucker Lache in Erlangen. Seit drei Jahren steht hier islamische Religionslehre auf dem Stundenplan.

"Das Erlanger Modell ist einzigartig in Europa, denn es ist im Sinne des Grundgesetzes konzipiert", sagt Manfred Schreiner vom Nürnberger Schulamt. Dies war nur möglich, weil Muslime in Erlangen einen Verein als staatlichen Ansprechpartner gegründet haben. Die Verhandlungen zu einem Export des Modells in weitere Städte laufen bereits.

Den Kindern ihre Religion vermitteln

Mittwochvormittag in der Grundschule in Erlangen-Bruck, einem Stadtteil mit vielen Sozialwohnungen in tristen Hochhäusern. Belkis Dogan, Erasmus-Studentin aus der Türkei, legt Folien auf den Overhead-Projektor. Die Überschrift: "Die fünf Säulen des Islam".

In den ersten Reihen sitzen zehn Drittklässler, dahinter fünf Studenten mit ihrem Professor Harry Harun Beer. Sie sind hier, weil der Islamlehrer der Schule, der Imam und Theologe Ali Türkmenoglu, bald Verstärkung bekommen soll: In Nürnberg sind bereits 40 junge Muslime im Studienfach "Islamische Religionslehre" immatrikuliert.

Plakat von Schülern und Schülerinnen der Erlanger Grundschule Brucker Lache; Foto: Christiane Hawranek
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Religionsgemeinschaften - die Schüler der Erlanger Grundschule Brucker Lache haben das Gefühl, dass ihr Islamunterricht etwas Besonderes darstellt.

​​Zum Abschluss der Stunde übt Dogan mit den Kindern das Glaubensbekenntnis: "Ich spreche es zuerst und dann Ihr im Chor", sagt sie freundlich. Zehn Kinderstimmen sprechen die arabischen Worte, manche kichern, weil sie die korrekte Aussprache nicht über die Lippen bekommen.

"Auch, wer konvertieren will, muss das Glaubensbekenntnis sprechen", sagt Dogan. Ein Mädchen meldet sich: "Und wenn man deutsch werden will?" Auf so eine Frage ist die angehende Lehrerin nicht vorbereitet, sie denkt kurz nach und sagt dann: "Deutsch sein ist ja keine Religion."

Nach dem Unterricht besprechen die Stundenten zusammen mit Beer die Stunde. Dogan bekommt Lob für ihre Antwort: "Die Frage der Schülerin war symptomatisch. Die Kinder haben das Gefühl: Weil wir Muslime sind, gehören wir nicht richtig zu den Deutschen."

Bemerkenswert findet Beer auch, dass die Drittklässler das Wort "Konvertit" aus dem Fernsehen kennen, mit dem Wort "Säule" können sie aber anscheinend nichts anfangen.

Genaues Hinhören sei gefragt, um die Sprachfähigkeiten zu verbessern, betont Beer: "Im Unterricht hat ein Mädchen gesagt: "Es gibt nur einen Gott außer Gott" – das würde ja heißen, es gibt zwei."

Übereinstimmung mit dem Grundgesetz

Die Aufgabe des Islamunterrichts ist, den Kindern so viel Wissen zu vermitteln, dass sie in einen deutschsprachigen Dialog über Religionen treten können.

Remzi Güneysu, Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft Erlangen (IRE), ist sich sicher: "Wenn die Kinder in ihrer Religion unterrichtet werden, können sie leichter für die Gesellschaft in Deutschland gewonnen werden." In anderen Bundesländern sei der Lehrplan vom Kultusministerium diktiert, dort findet keine Absprache mit den Muslimen vor Ort statt.

Der Erlanger Lehrplan beruht dagegen auf einer Kommission mit der damaligen bayerischen Kultusministerin Monika Hohlmeier, Vertretern der Kirchen, des Schulamts sowie Mitgliedern des 1996 gegründeten Vereins IRE.

Streng genommen kennt das Grundgesetz gar keinen christlichen Religionsunterricht, sondern nur einen "Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften"(GG Art.7 Abs.3).

Die Inhalte muss die Gemeinschaft vorlegen, der Staat kann nur prüfen, ob diese gesetzeswidrig sind, und er ist für Organisation und Finanzierung des Unterrichts zuständig. Mit der Vereinsgründung haben die Erlanger Muslime sich den vom Grundgesetz verlangten Ansprechpartner selbst geschaffen.

Hilfskonstrukt oder Vorzeigeprojekt?

Dennoch: Laut Schulamt Nürnberg ist das Erlanger Modell eine Hilfskonstruktion: "Wir tun einfach so, als wäre die islamische Religionsgemeinschaft eine Kirche." In Deutschland gibt es etwa 750.000 muslimische Kinder, nur zwölf Prozent von ihnen erhalten in der Schule Unterricht über ihren Glauben.

Lehrkräfte werden zwar in Münster und Nürnberg ausgebildet, und es liegen auch Lehrpläne vor. Aber: "Unter den Muslimen herrscht wenig Einigkeit. Die "Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen" ist ein absoluter Sonderfall", sagt Schreiner.

Eltern und Schüler sind laut Güneysu sehr zufrieden mit dem Unterricht. "Sorgen macht uns eher die rechtsextreme türkische Partei der Grauen Wölfe, die Hilfe vom türkischen Konsulat bekommt", meint der Ingenieur. Die Gruppierung möchte an der islamischen Unterweisung in türkischer Sprache festhalten.

Nach Einschätzung des Bonner Islamwissenschaftlers Michael Kiefer, der alle Arten von Islamunterricht deutschlandweit miteinander verglichen hat, ist der Lehrplan zu diesem Modell vom bayerischen Staat "nach Gutdünken" entworfen worden: "Ohne Absprache mit Muslimen vor Ort hat man sich an türkischen Lehrplänen orientiert."

Seit 1977 wird die Unterweisung in türkischer Sprache in Bayern unterrichtet: "Bei der Einführung dachte man ja noch, dass die Kinder wieder in ihre Heimat zurückkehren."

In Erlangen dagegen sollen die Kinder laut Güneysu "zu deutschen Bürgern mit muslimischen Werten" erzogen werden. Zum Kernstück des Lehrplans gehört der interreligiöse Dialog und Weltoffenheit: "Es werden sogar eingetragene Lebenspartnerschaften besprochen."

Verbreitung des Modells

Ab dem kommenden Schuljahr soll in Nürnberg ein ähnliches Projekt starten. Zurzeit reist Güneysu durch Bayern und macht Werbung für das Modellprojekt.

Bisher erhalten insgesamt 70 Kinder islamischen Religionsunterricht an der Grundschule Brucker Lache. Die neunjährige Özlem ist seit der ersten Klasse dabei. Das blonde Mädchen erzählt, dass sie schon im Radio und sogar im Fernsehen war:

"Ich habe schon das Gefühl, unser Islamunterricht ist was Besonderes." Sie überlegt einen Augenblick: "Wenn Mohammed und Jesus zur gleichen Zeit gelebt hätten, wären sie sicher Freunde geworden."

Christiane Hawranek

© Qantara.de 2007

Qantara.de

Islamischer Religionsunterricht
Viele Hürden
Für muslimische Schüler gibt es an deutschen Schulen keinen richtigen Religionsunterricht. Das liegt auch daran, dass sich die Muslime in Deutschland bisher nicht auf eine gemeinsame Interessenvertretung einigen konnten. Anne Passow berichtet.

Islamkunde in deutscher Sprache
Gleichstellungspolitik der kleinen Schritte
Der Islamwissenschaftler Dr. Michael Kiefer berichtet in einem Interview mit Qantara.de über die bisherigen Erfahrungen und Kontroversen seit Einführung des islamischen Religionsunterrichts an deutschen Schulen.

Islam-Unterricht in Deutschland
Streit um Mitsprache bei Lehrinhalten
Islamische Vereine und Verbände wollen seit Jahren an öffentlichen Schulen Religionsunterricht erteilen oder zumindest über das mitbestimmen, was in den Schulen gelehrt werden soll. Bisher ist dies jedoch in vielen deutschen Bundesländern nicht möglich. Über die Hintergründe berichtet Vedat Acikgöz.