Klangkosmos der Provinzen

Jüngst präsentierte eine pakistanische Kulturstiftung einen Promo-Tonträger, der bislang kaum bekannte Bands aus Sindh, Punjab, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan vorstellt. Betörend schöne Musik, die zugleich ein beredtes Zeugnis dafür ist, wie sich die Initiatoren bemühen, Klänge aus unterschiedlichen Regionen zusammenzubringen. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Pakistans "Stiftung für Kunst, Kultur und Bildung" (FACE) arbeitet bereits seit einiger Zeit unermüdlich an der Verbreitung pakistanischer Kultur im In- und Ausland. Wie ihr Name schon sagt, geht es der Stiftung dabei um mehr, als nur um die Organisation und Austragung von Kulturveranstaltungen. Laut Satzung will sie den Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung erleichtern und jungen Menschen künstlerische Fertigkeiten ebenso vermitteln wie ein soziales Bewusstsein, das es ihnen ermöglicht, aktiv an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Besonderer Wert wird dabei auf die Unterstützung finanziell benachteiligter Kinder beim Zugang zu höherer Bildung gelegt, die auch künstlerische und berufliche Ausbildung beinhalten kann.

In einem Land, in dem die Ausübung des Berufs für Musiker zum Teil mit Gefahren verbunden ist, stellt die Vermittlung pakistanischer Musik und anderer Künste, die gleichfalls zur Arbeit von FACE gehört, eine wichtige Unterstützung dar. Auch wenn das Programm der Stiftung hauptsächlich auf die Talentförderung ausgerichtet ist und darauf, einheimischen Musikern dabei zu helfen, mit der Entwicklung der Musiktechnologie Schritt zu halten, geht es auch darum, die pakistanische Musik einem größeren, internationalen Publikum zu erschließen.

Vermittlung pakistanischer Musik im Ausland

Über Partnerorganisationen in den USA und in Europa organisiert FACE die Vermittlung pakistanischer Musik im westlichen Ausland. Dies fördert nicht nur das Wissen über die musikalische Vielfalt des Landes und die Bekanntheit der im Ausland lebenden pakistanischen Musiker, sondern ermöglicht vielen Musikern zudem einen Zugang zum internationalen Musikmarkt, in dem es für gewöhnlich keine Möglichkeit gibt, die Musik Pakistans kennenzulernen.

In der restlichen Welt gehört und gesehen zu werden, ist für pakistanische Musiker schwieriger als für die allermeisten anderen: Youtube wird von der Regierung immer wieder gesperrt, soziale Netzwerke werden zensiert. Damit wird den Musikern die Möglichkeit zum Austausch von Ideen und Inhalten genommen.

Der Präsentation pakistanischer Musik, die von FACE im Rahmen des angesehenen "South By Southwest Festivals" in Austin, Texas, im März dieses Jahres organisiert wurde, kommt daher eine ebenso große Bedeutung zu wie der begleitend erschienenen Kompilation. Nicht nur kann damit einem ganz neuen Publikum ein Einblick in die Vielfalt der pakistanischen Musikszene gegeben werden. Einzelnen Künstlern und Bands eröffnete das Festival auch die Möglichkeit, sich einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, die bisher kaum in Berührung mit Musik aus diesem Land gekommen ist.

Pakistans Provinzen und ihre musikalischen Talente

Die vorgestellte Kompilation wirft ein Schlaglicht auf das große Spektrum an musikalischen Talenten und Traditionen, welche die vier Provinzen des Landes zu bieten haben: Sindh, Punjab, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan. Jede Provinz hat nicht nur ihre eigene Sprache, sondern auch ihre eigene musikalische Tradition und ihr individuelles kulturelles Erbe.

Bands wie die Poor Rich Boy mit ihren sanften Melodien und sozialkritischen Texten oder Solo-Künstler wie Haroon singen auf Englisch und unterscheiden sich damit kaum von Musikern eines beliebigen anderen Landes dieser Welt. Auch wenn schon der Umstand, dass sie so klingen, als könnten sie von überall herkommen, viele Menschen im Westen erstaunen wird, vermögen die anderen, ebenfalls auf der Kompilation vertretenen Bands genauso zu überraschen – wenn auch auf andere Weise.

Nehmen wir als Beispiel etwa das traditionelle Musikensemble Khumariyaan, das aus Peschawar stammt, der Stadt, die in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa liegt und 2014 durch das Schulmassaker zu trauriger Berühmtheit gelangte. Die Gruppe spielt eine dynamische und wilde Folkmusik, die einem geradezu den Atem raubt. Auch wenn das erste ihrer Stücke, "Sheenai", wohl von minderer Qualität ist, weil es während eines Livekonzertes aufgenommen wurde, so vermittelt es doch schon eine Ahnung davon, wie es den Musikern gelingt, das Publikum in ihren Bann zu ziehen.

Die Studioversion ihres Songs "Bela" kommt mit viel klarerem Klang daher und nutzt moderne Aufnahmeeffekte und Instrumente, um das Soundspektrum der Gruppe zur Entfaltung zu bringen. Betörend schöne Musik, die zugleich ein beredtes Zeugnis dafür ist, wie FACE daran arbeitet, die Klänge der unterschiedlichen Regionen zusammenzubringen.

Brückenschlag von der Tradition zur Moderne         

Ganz anders die Mai Dhai Band: Sie bietet eine Mischung aus traditioneller und westlicher Musik. Der Name des Ensembles stammt von ihrer Lead-Sängerin, die groß geworden ist mit klassischen Manganiar-Liedern aus dem Südosten Pakistans. Ihre düstere Stimme klingt ganz so, als käme sie aus der fernen Vergangenheit zu uns, doch wird sie begleitet von einer Kombination moderner und traditioneller Instrumente, die für einen fesselnden Klangmix sorgen. Besonders "Gorey" besticht mit einem leichten Groove und einem verschachtelten Gitarrenpart, die dem Song einen veritablen Jazz-Swing verpassen – eine wunderschöne Mischung aus Alt und Neu.

Für die meisten Hörer aber mag die Mekaal Hasan Band wohl die größte Überraschung sein. Denn wer würde schon erwarten, dass eine solche Band, die eigentlich Progressive Rock mit einem Touch von Jazz verbindet, ausgerechnet aus Pakistan stammt? Und dabei ist das noch nicht einmal das Überraschendste: Was am meisten verblüfft, ist die Tatsache, dass die Texte Sufi-Gedichten entlehnt sind.

Hinzu kommt, dass diese Band zwar in Lahore zuhause ist, ihre Mitglieder aber nicht nur aus Pakistan, sondern auch aus Indien stammen, was sie in Südasien zu einem einzigartigen Phänomen macht. Ihr Instrumentarium aus traditioneller Flöte, expressivem Gesang, harter Rockgitarre, Schlagzeug und Bass mag anfangs vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig klingen, doch niemand kann der Band ihr Talent und ihre Innovationsfreude absprechen. 

In einem Land, in dem der Beruf des Musikers buchstäblich lebensbedrohend sein kann, stellt eine Organisation wie FACE, die sich der Vermittlung und Förderung musikalischer und kultureller Traditionen verschrieben hat, ein enorm wichtiges Gegengewicht dar.

Leider bekommt es nicht die große mediale Aufmerksamkeit, wohingegen jeder Angriff auf die Kunst in Pakistan den Weg in unsere Nachrichten zu finden scheint. Auch wenn FACE solch prominente Präsentationen wie jene beim "South By Southwest Festival" organisiert, so ist der Umstand, dass die Stiftung sich auch in Pakistan selbst engagiert, um Kunst und Bildung zu fördern, nicht minder herauszuheben. Und das sollte gebührend gewürdigt werden.

Richard Marcus

© Qantara.de 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol