Auferstehen aus Ruinen

Einst stand es für die moderne Türkei, heute ist es eine Ruine. 2008 wurde das Istanbuler Opernhaus geschlossen, seitdem wurde viel über seine Zukunft debattiert. Nun gibt es Pläne, doch nicht alle sind damit zufrieden. Von Ceyda Nurtsch

Von Ceyda Nurtsch

Am Istanbuler Taksim-Platz, einem der Herzstücke der Bosporus-Metropole, ragt es bedrohlich empor: Ein dunkles Skelett aus Beton, aus dem Eisenstäbe wie abgeschnittene Venen heraushängen. Daneben werben Hochglanz-Plakate für eine glorreiche Zukunft: Auf einem Areal von 52.000 Quadratmetern soll hier eines der modernsten Kulturzentren der Welt entstehen, mit Opern-, Konzert-, Kino- und Ausstellungssälen, die nicht nur architektonisch, sondern auch durch ihre Akustik bestechen sollen. Das neue AKM (Atatürk Kültür Merkezi/Atatürk Kulturzentrum) soll zum Magneten für internationale Stars auf Weltniveau werden. So der Plan.

Während die traurige Ruine auf ihre Zukunft wartet, liegt die glamouröse Vergangenheit des AKM in weiter Ferne. Als eines der modernsten Gebäude der Türkei war es bei seiner Eröffnung 1969 das viertgrößte Kulturzentrum der Welt.

Einstiges Symbol der modernen laizistischen Republik

Mit Verdi und Arthur Miller auf dem Programm drückte es das Streben der kemalistischen Machtelite Richtung Westen aus. Auch wenn der große Betonblock mit seiner prominenten Glasfront bis zuletzt ästhetisch umstritten blieb - das AKM war das Symbol der modernen laizistischen Republik.

Umso größer war die Aufregung als das baufällige Haus 2008 geschlossen wurde. Über seine Zukunft wurde heiß diskutiert: Während Atilla Koç, der damalige Kultus- und Tourismus-Minister der AKP, das Haus abreißen lassen wollte, kämpften Bürgerinitiativen und Architektenkammern um den Erhalt des für die republikanische Türkei architekturgeschichtlich wichtigen Gebäudes. Einen Abriss durch die AKP, die die Kunst in der Türkei zusehends einschränkt, sahen sie gleichbedeutend mit dem Ende der laizistischen modernen Türkei.

Während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 machten Demonstranten das AKM zum Symbol ihres Widerstands gegen die AKP-Herrschaft. Sie behängten die Glasfront, hinter der an Konzertabenden die Lichter des Foyers geschimmert hatten, mit riesigen Spruchbändern, auf denen zu lesen war: "Wir werden uns nicht beugen", oder "Tayyip, sei still", und besetzten das Dach.

Das AKM während der Gezi-Park-Proteste; Foto: picture-alliance/dpa
Das AKM als Protest-Plattform während der Gezi-Park-Unruhen: Demonstranten behängten im Sommer 2013 die Glasfront des Gebäudes, hinter der an Konzertabenden die Lichter des Foyers geschimmert hatten, mit riesigen Spruchbändern, auf denen zu lesen war: "Wir werden uns nicht beugen", oder "Tayyip, sei still", und besetzten das Dach.

In den darauffolgenden Jahren wurde weiter über die Zukunft des leerstehenden Gebäudes diskutiert. Währenddessen verfiel der Stolz von einst vor den Augen der Istanbuler. Regierungsgegner sahen in den zersprungenen Fenstern und der bröckelnden Fassade, an der ein überdimensionales Konterfei von Erdogan prangte, ein Symbol für den Zustand der Republik.

Neues AKM: "Rekomposition" des Alten

Schließlich wurde der Architekt Murat Tabanlıoğlu mit der Restauration und Erweiterung des AKM beauftragt. Dass ausgerechnet er den Zuschlag für dieses Mammutprojekt bekam, könnte man als Sieg derjenigen bewertet werden, die sich für den Erhalt des kemalistischen Erbes eingesetzt haben: Sein Vater Hayati Tabanlıoğlu hatte das alte AKM entworfen. Und seit der Sohn sein Projekt vorgestellt hat, steht fest: Der Kern des Gebäudes bleibt erhalten und die prominente Glasfront wird rekonstruiert.

Auch andere charakteristische Elemente werden wieder zum Leben erweckt, erklärt Tabanlıoğlu, der in Wien Architektur studiert hat. Etwa die für die 1960er Jahre typische freischwebende Aluminiumtreppe, die dem Foyer ihren Charakter gab.

Dass Tabanlıoğlu versichert: "Wir werden den Geist meines Vaters fortführen" und in Bezug auf das AKM von einer "Rekomposition" spricht, ist jedoch für viele trotzdem nicht überzeugend. So breitete sich Empörung aus, als bekannt wurde, dass eine große, von außen sichtbare, rote Glas-Halbkugel den Eingangsbereich prägen soll.

Viele Menschen, die kritisieren, wie die AKP ihre Auffassung von Religion und Sittlichkeit in immer mehr Lebensbereiche einimpft, sahen sich an eine Moscheekuppel erinnert. Tabanlıoğlu kann das nicht nachvollziehen: "Rot ist zuerst einmal die Farbe, die ich persönlich mit Oper assoziiere", sagt er. "Die Kugelform symbolisiert die halbkreisförmige Anordnung der Sitze in einem Konzertsaal für die beste Akustik." In erster Linie aber habe ihn Walter Gropius' Projekt des Totaltheaters inspiriert.

[embed:render:embedded:node:31386]Eine andere Frage, die viele angesichts der Zensur und der Auftrittsverbote von Künstlern umtreibt, ist: Was geschieht mit dem Istanbuler Staatstheater, dem Ballett und dem Symphonieorchester, die seit 2008 heimatlos sind? Tabanlıoğlu beruhigt: "Sie werden alle wieder zurückkehren und werden die Hausherren des Kulturzentrums sein. Das ist sehr wichtig."

Wirkliche Erneuerung oder nur ein Vorzeigeprojekt?

In zwei Jahren soll das Haus seine Türen öffnen, auch wenn Staatspräsident Erdoğan von einer Eröffnung bereits im ersten Quartal 2019 gesprochen hatte. Wie teuer das Ganze werde, könne er nicht sagen, sagt Tabanlıoğlu, man befinde sich gerade in der Vergabe des Bauauftrags.

Mit dem AKM streben er und sein Architekturbüro, mit dem er bereits andere imposante Gebäude wie das Museum "Istanbul Modern" oder das "Dakar Congress Center" entworfen hat, erneut Großes an. "Mein Ziel ist es, das Haus zu einem der besten Kulturzentren der Welt zu machen", erklärt er. So will es auch die Politik: Das neue Kulturzentrum soll Istanbul, das 2010 Europäische Kulturhauptstadt ohne Opernhaus war, zu neuem Glanz verhelfen - in einer Türkei, die Staatspräsident Erdoğan 2023 unter den zehn stärksten Wirtschaftsnationen sehen will.

Doch die Skepsis bleibt. Im Rahmen des sogenannten "Stadterneuerungsprojekts" wurden zu viele historische Gebäude und Viertel abgerissen und durch seelenlose, profitbringende Bauten - beispielsweise Einkaufzentren mit Flughafen-Atmosphäre - ersetzt.

Das neue AKM wird architektonisch und mit seinem Programm erst noch beweisen müssen, dass es kein steriles und funktionalistisches Vorzeigeprojekt ist, sondern ein weltoffenes Haus, das den Geist seiner Geschichte, seiner Besucher und der Freiheit der Kunst atmet.

Ceyda Nurtsch

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