Das Kopftuch lässt sich auf viele Arten binden

Jung, feministisch, Muslima – Toya Zurkuhlen ist Redakteurin bei den „Datteltätern“ und vor vier Jahren zum Islam konvertiert
Jung, feministisch, Muslima – Toya Zurkuhlen ist Redakteurin bei den „Datteltätern“ und vor vier Jahren zum Islam konvertiert

Auf Instagram präsentieren sich junge Frauen, die zum Islam konvertiert sind unter Namen wie "Hijabi on Tinder“. Sie wehren sich gegen Klischees – egal, ob die von Glaubensgeschwistern kommen oder von Islamkritikern. Von Julia Ley

Von Julia Ley

Mit 15 begann Namika Sharif, die in Wirklichkeit anders heißt, Kopftuch zu tragen. "In der Stadt habe ich von da an täglich mindestens drei bis sieben dumme Sprüche aufgedrückt bekommen“, erzählt sie. "Von wegen: 'Terroristenschlampe, verpiss dich in dein Land‘ und noch ganz andere Sachen. Von da an wurde ich regelmäßig angespuckt, in der Bahn angerempelt. Einmal wurde ich am Dresdner Hauptbahnhof auch beinahe zusammengeschlagen, die Umstehenden haben nur zugeschaut und teilweise sogar gelacht.“

Zum Islam kam Sharif schon als Elfjährige über den neuen Mann ihrer Mutter. Er war Araber und lebte seine Religion vor allem an Feiertagen, doch Sharif war fasziniert.

Inzwischen ist sie 30, verheiratet, hat selbst Kinder – und berichtet auf Instagram über ihr Leben als konvertierte deutsche Muslimin.

Der Wunsch, gehört zu werden

Sharif ist nur eine von mehreren Konvertitinnen, die seit einigen Jahren selbstbewusst in den sozialen Medien auftreten. Sie alle haben sich für eine Religion entschieden, die viele Deutsche für rückwärtsgewandt und frauenfeindlich halten. Sie erfahren Ablehnung und Vorurteile. Warum setzen die Frauen sich dem aus? Und warum suchen sie so bewusst die Öffentlichkeit?

"Bei mir war es der Wunsch, selber gehört zu werden mit meinen Themen, die ich im Alltag durchlebe. Es ist tatsächlich so, dass Konvertitinnen noch mal andere Themen mitbringen als zum Beispiel Frauen, die einen Migrationshintergrund in der Familie haben oder die selber hierher migriert sind.“

Toya Zurkuhlen lebt in Berlin und ist vor vier Jahren konvertiert. Die 27-Jährige arbeitet als Redakteurin beim Youtube-Satireformat "Datteltäter“ und sie stammt aus einer katholischen Familie in Hessen. Auf Muslime traf sie das erste Mal bei sogenannten Hip-Hop-Battles, also Tanzwettbewerben.

Zurkuhlen gefiel die regelmäßige Praxis, die die Religion fest im Alltag verankert. Auch theologisch überzeugte sie der Islam: "Ich hatte immer so ein bisschen meine Zweifel oder meine Fragen zur Person Jesus als Mensch gewordenem Gott, mit denen ich nie im Reinen war“, meint sie. "Ich habe immer gedacht, das macht für mich nicht viel Sinn. Letztendlich habe ich nicht wirklich daran geglaubt. Der Islam hat da sehr schöne Antworten. Er kam mir einfach logischer vor.“

Die Konvertitin Johanna Wolf; Foto: Johanna Wolf
Johanna Wolf berichtet auf ihrem Instagram-Profil "Hijabi on Tinder“ darüber, wie es ist, als alleinerziehende, herkunftsdeutsche, muslimische und kopftuchtragende Frau auf Dating-Plattformen wie Tinder unterwegs zu sein. Sie kritisiert auch die muslimische Community. Etwa, wenn muslimische Männer mit ausländischen Wurzeln ihr auf Tinder erklären, sie sei als Enddreißigerin und geschiedene Frau eigentlich nicht mehr begehrenswert – käme wegen ihrer hellen Haut aber trotzdem infrage. Sie sieht darin eine totale Abwertung und gleichzeitig werde sie als Muslimin deutscher Herkunft auf ein Podest gestellt.

Rationale Gründe für den Übertritt

Die 37-jährige Johanna Wolf lebt in Offenbach. Sie ist alleinerziehende Mutter und hat sich vor drei Jahren nach langem Zögern entschieden zu konvertieren. "Ich war immer auf der Suche“, erzählt sie. "Und schon relativ früh, schon in der Schule, hat mich der Islam mit seiner eigentlich relativ schlichten Logik – sei lieb zu anderen – fasziniert.“

Die "schlichte“ Logik des Islam, ein Gottesbild, das dem Verstand leichter zugänglich ist als das der christlichen Dreifaltigkeit – Esra Özyürek, Professorin für Anthropologie an der London School of Economics, kennt solche Erklärungen gut.

Sie sagt, in Deutschland würden Konvertitinnen oft die rationale Seite ihrer Entscheidung betonen. Denn sie müssten ihrem Umfeld vermitteln, dass sie nicht verrückt oder sonderbar sind: "Wenn ich sage, dass ich über muslimische Konvertiten forsche, dann kichern viele Leute, als wäre das lustig. Menschen, die selbst nicht konvertiert sind, stellen sich dann Personen mit tiefsitzenden Problemen vor. Vielleicht haben sie Probleme in der Familie. Oder sie stellen sich vor: Oh, die haben sich verliebt. Sie haben eine Frau vor Augen, die sich so sehr in einen Muslim verliebt hat, dass sie quasi von allen guten Geistern verlassen ist.“

Der Statusverlust als Schock

Während viele in Deutschland lebende Muslime schon damit aufwachsen, aufgrund ihrer Religion ausgegrenzt zu werden, sei der Statusverlust für manche Konvertitinnen eine Art Schock. Sie seien es gewohnt, dazuzugehören, ernst genommen zu werden – und bekämen nun vermittelt, sie seien unterdrückt oder ungebildet. Mit der plötzlichen Ablehnung gehen Konvertitinnen unterschiedlich um, sagt die Forscherin Özyürek: Manche ziehen sich komplett zurück, andere werden Aktivistinnen.

Toya Zurkuhlen, Johanna Wolf und Namika Sharif haben sich für letzteres entschieden. Sie wollen damit auch das Vorurteil aufbrechen, alle Musliminnen seien unterdrückt.

Namika Sharif möchte auf dem Foto nicht erkannt werden; Foto: Namika Sgarif
Namika Sharif trägt normalerweise keinen Gesichtsschleier, möchte aber auf dem Foto nicht erkannt werden und auch ihren richtigen Namen will sie nicht veröffentlicht sehen. Zum Islam kam sie schon als Elfjährige, mit 15 begann sie, Kopftuch zu tragen. "In der Stadt habe ich von da an täglich mindestens drei bis sieben dumme Sprüche aufgedrückt bekommen“, erzählt sie. "Von wegen: 'Terroristenschlampe, verpiss dich in dein Land‘ und noch ganz andere Ausdrücke. Von da an wurde ich regelmäßig angespuckt, in der Bahn angerempelt. Einmal wurde ich am Dresdner Hauptbahnhof auch beinahe zusammengeschlagen, die Umstehenden haben nur zugeschaut und teilweise sogar gelacht.“

Zurkuhlen etwa ist es wichtig zu betonen, dass sie mit der Konversion nicht ihren Feminismus abgelegt hat. Sie trägt kein Kopftuch, verzichtet seit der Konversion aber auf knappe Kleidung. Diesen Schritt empfindet sie als Befreiung.

Selbst entscheiden, wie viel sie preisgeben

Denn die Weigerung, den eigenen Körper ständig zu optimieren, zu präsentieren und von anderen bewerten zu lassen, "ist tatsächlich in unserer Gesellschaft schon ein revolutionärer Akt. Also etwa als Frau zu sagen: Nein, ich möchte meinen Körper nicht zeigen“, sagt Zurkuhlen. "Was nicht heißt, dass es nicht total cool ist, wenn Mädels ihren Körper zeigen wollen. Es geht vielmehr darum: Ich entscheide über meinen Körper und wie viel ich von ihm zeige, wie viel ich preisgeben will, obwohl von mir gefordert wird, dass ich alles zeige.“

Johanna Wolf berichtet auf ihrem Instagram-Profil "Hijabi on Tinder“ darüber, wie es ist, als alleinerziehende, herkunftsdeutsche, muslimische und kopftuchtragende Frau auf Dating-Plattformen wie Tinder unterwegs zu sein.

Ihre Kritik richtet sie dabei explizit auch an die muslimische Community. Etwa, wenn muslimische Männer mit ausländischen Wurzeln ihr auf Tinder erklären, sie sei als Enddreißigerin und geschiedene Frau eigentlich nicht mehr begehrenswert – käme wegen ihrer hellen Haut aber trotzdem infrage.

"Darin steckt eine krasse Ambivalenz: die totale Abwertung und gleichzeitig ein Auf-ein-Podest-Stellen, man reduziert mich auf ein Objekt“, hat Wolf beobachtet. "Es geht nicht um meine Persönlichkeit, um meinen Charakter oder um meine Individualität. Es geht nur darum, dass ich für einen Mann von Vorteil wäre, damit er besser in der Mehrheitsgesellschaft ankommen kann.“

Als Privilegierte am Image der Musliminnen arbeiten

Neben viel Anerkennung erfahren Johanna Wolf, Toya Zurkuhlen und Namika Sharif auf Instagram auch Hass – sowohl von Islamisten, denen sie zu progressiv sind, als auch von Rechten, denen ihre Entscheidung für den Islam wie Verrat vorkommt. Denn "gute deutsche Frauen“ können in den Augen von Rechtsextremen keine Musliminnen sein.

 

 

Viele Konvertitinnen spürten eine Verantwortung, sich zu positionieren, glaubt Johanna Wolf. "Vielleicht auch, weil wir wissen, dass wir privilegiert sind. Wir sind gefordert, am Image der Musliminnen zu arbeiten, weil wir weniger Ballast tragen. Wir erleben weniger anti-muslimischen Rassismus oder überhaupt weniger Rassismus als andere. Das heißt nicht, dass wir ihn nicht erleben, aber definitiv weniger.“

Die öffentliche Sichtbarkeit hat aber auch Vorteile für die Frauen. Sie erlaubt es, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen.

Denn in fast allen Fällen führt die Entscheidung für den Islam zu Identitätskonflikten, hat Toya Zurkuhlen festgestellt: "Das fängt schon beim Hijab an, also bei der Frage, ob ich Kopftuch tragen will oder nicht. Wie sieht das aus für eine deutsche Frau, die vielleicht keine coole Tante hat, die den Hijab trägt und an der sie sich orientieren kann? Das muss eigentlich komplett neu interpretiert werden. Wir müssen unsere Identität vollkommen neu bauen und haben dafür sehr wenige Vorbilder, die uns helfen können.“

Vielleicht ist das auch die beste Erklärung für die neue Sichtbarkeit von Konvertitinnen auf Instagram: Es gibt ein Bedürfnis, Antworten auf Fragen nach der eigenen Identität zu finden. Und gleichzeitig den Wunsch, dabei im Gespräch mit beiden Seiten zu bleiben: mit denen, die einen geprägt haben, und der Gemeinschaft, deren Glauben man angenommen hat.

Zumindest für die Frage des richtigen Kopftuchstils hat Johanna Wolf schon eine elegante Lösung gefunden: "Ich stamme aus einer Gegend, in der durchaus noch Tracht getragen wurde. Ich habe selber zu Hause auch eine Tracht. Und ich habe da ehrlich gesagt versucht, mich an der Tracht meiner Heimat zu orientieren. Und so kann ich beim Tragen des Kopftuchs durchaus auch meine fränkische Herkunft mit meinem Kopftuch vereinbaren.“

Julia Ley

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