Das Staunen eines ungläubig Liebenden

Mit dem Buch "Ungläubiges Staunen" hat Navid Kermani eine faszinierende Reflexion über die christliche Kunst und Religion geschrieben. Der deutsch-iranische Schriftsteller blickt auf das Christentum mit einer Neugier und einem Ernst, wie sie heute den meisten Christen wohl fremd geworden sind. Ulrich von Schwerin hat das Buch gelesen.

Von Ulrich von Schwerin

Er betrachte das Christentum von Außen, das macht Navid Kermani gleich zu Beginn seines Buches über die christliche Kunst und Religion klar. In den Kirchen Roms, Kölns und Syriens habe er das Christentum wohl als "Möglichkeit" erkennen gelernt, doch bleibe für ihn als gläubigen Muslim doch eine unüberbrückbare Differenz: Die Idee der Menschwerdung Gottes kann er nicht akzeptieren, von dem Zelebrieren des Leidens Christi ist er abgestoßen, die Verehrung Mariae grenzt für ihn ans Heidnische, und die hierarchische Struktur der Kirche ist ihm zuwider.

Kermani betrachtet das Christentum aus der distanzierten Position des "Andersgläubigen", der er ist, wie er selbst immer wieder betont. Und doch blickt er auf den christlichen Glauben mit einem Interesse, einer Neugier und einer Faszination, wie es heute wohl die wenigsten Christen tun. Durch seinen genauen Blick, gepaart mit einer tiefen Kenntnis der Theologie und Kunstgeschichte, erschließt er auch dem Leser das Faszinierende vieler Kunstwerke, an denen die meisten wohl sonst achtlos vorüber gegangen wären, so dass sie selbst nur staunen können.

Widersprüchliches und Abstruses im christlichen Glauben

Dabei stellt Kermani nicht nur die Schönheit, sondern auch das Widersprüchliche und Abstruse des christlichen Glaubens und seiner Kunst heraus. So etwa bei der Schilderung einer Figur des kindlichen Jesus im Berliner Bode Museum, der nicht nur hässlich sei, sondern "wirklich blöd, also mehr als nur unschön, nämlich tumb, und zwar so eine fiese Tumbheit, die zugleich etwas Plumpes und Garstiges hat, etwas Verzogenes, Bengelhaftes, nur an sich Denkendes". Geradezu unappetitlich sei die Vorstellung eines Kusses, schreibt Kermani, so gern man sonst von Kindern geküsst werde.

Buchcover "Ungläubiges Staunen – Über das Christentum" von Navid Kermani im Verlag C.H. Beck
In seinem Buch zieht Kermani immer wieder den Vergleich zum Islam, besonders zum Sufismus und seinem eigenen schiitischen Glauben. Der Islam, so betont er, habe größten Respekt vor Jesus – nicht als Sohn Gottes, doch als Verkörperung des göttlichen Geistes.

Und wenn er diese zunächst nur ästhetische Betrachtung mit Passagen aus dem Kindheitsevangelium des Thomas verbindet, in denen der kleine Jesus, wie Kermani schreibt, als verzogener "Rotzlöffel" erscheine, der mit seiner Wundergabe prahlt und einen Nachbarjungen "verdorren" lässt, weil er ihm in die Quere gekommen ist, könne das, so gibt Kermani selbst zu, geradezu lästerlich erscheinen. Doch zugleich zeigt sich darin der Wille, den christlichen Glauben, wie er sich in den Schriften offenbart und in der Kunst niederschlägt, ernst zu nehmen.

Ernst mit seinen Widersprüchen, seiner Irrationalität und all seinen Wundern. Ernster wohl, als es vielen aufgeklärten Christen lieb ist, die das Irrationale, das das Christentum wie alle Religionen hat, weitgehend aufgelöst haben. Kermani macht keinen Hehl daraus, wie wenig er mit einem Christentum anfangen kann, das sich aller Tradition und damit auch aller Tiefe entledigt hat. So fremd ihm auch der Machtanspruch der katholischen Kirche ist, so sehr fasziniert ihn doch die Kontinuität einer jahrtausendealten Institution mit ihren uralten Ritualen.

Christliche und islamische Tradition auf dem Rückzug

Kermani ist die lateinische Messe eindeutig lieber als die rationalisierte und banalisierte Religion deutscher Kirchentage. "Tradition ist die Vermittlung der göttlichen Offenbarung durch Generationen von Menschen hinweg; sie ist mehr, als ein Einzelner wissen oder sich ausdenken kann", sagt Kermani in einem Gespräch mit dem "SZ Magazin". Heute jedoch breche die christliche wie die islamische Tradition weg. Die Fundamentalisten behaupteten, zu den Ursprüngen zurückzukehren, doch würden sie dabei die Tradition überspringen.

Wenn Tradition auch nicht künstlich erhalten werden könne, müsse man doch versuchen, sie zu achten und zu erneuern. Heute solle Religion den eigenen Vorstellungen entsprechen und vereinbar sein mit den Anforderungen der Gegenwart, bedauert Kermani. Dabei sei es das Wesen von Religion, dass sie nicht der Zeit entspricht. "Jesus war ganz offensichtlich nicht kompatibel mit seiner Zeit", betont er. Die Herausforderung bestehe darin, den 2000 Jahre alten Text der Bibel mit jedem Wort ernst zu nehmen, und dennoch "aufgeklärt in der Gegenwart" zu leben.

In seinem Buch zieht Kermani immer wieder den Vergleich zum Islam, besonders zum Sufismus und seinem eigenen schiitischen Glauben. Der Islam, so betont er, habe größten Respekt vor Jesus – nicht als Sohn Gottes, doch als Verkörperung des göttlichen Geistes. Dabei sei das frühe Christentum der Arianer selbst nicht so entschieden gewesen in der Vergöttlichung Jesu und habe damit der islamischen Sicht auf Jesus noch näher gestanden. Doch auch heute fänden sich im Islam noch viele Elemente des Christentums – und umgekehrt.

Parallelen zur islamischen Gebetspraxis

Der italienische Jesuitenpater Paolo Dall'Oglio; Foto: Arian Fariborz
Verschleppt, aber noch am Leben: Dall'Oglio war 2012 wegen regimekritischer Äußerungen aus Syrien ausgewiesen worden, hatte sich danach jedoch in den Rebellengebieten aufgehalten. Im Juli 2013 wurde er laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in der Provinz Al-Rakka entführt, als er auf dem Weg zu Verhandlungen mit dem IS war. Er wollte zwischen radikalen Rebellengruppen vermitteln.

So hat Kermani bei den Nonnen eines bestimmten Ordens in Rom Parallelen zur islamischen Gebetspraxis entdeckt und bei den Sufis typisch christliche Formen der Barmherzigkeit. Am weitesten aber ging die Verbindung von Christentum und Islam bei dem italienischen Jesuitenpater Paolo Dall'Oglio, der in den 80er Jahren in dem verlassenen Kloster Mar Musa in der syrischen Wüste bei Damaskus Nonnen und Mönche um sich sammelte, die sich in beispielloser Weise dem Dialog mit dem Islam widmeten und für die Muslime öffneten.

"Es geht um nichts weniger als die radikale Eingemeindung des christlichen Glaubens in ein muslimisches Umfeld", zitiert Kermani Pater Paolo. "Und mit radikal meine ich etwas, das über Folklore, Kleidung, Teppiche auf den Böden der Kirchen, nackten Füßen und dem regelmäßigen Gebrauch muslimischer Ausdrücke hinausgeht." Vielmehr gehe es um Liebe zu den Muslimen. Im Juli 2013 reiste er nach Rakka, um sich bei den Dschihadisten für die Freilassung von zwei Muslimen einzusetzen. Seitdem ist Pater Paolo verschwunden.

Kermani ist nicht nur fasziniert vom Christentum und neidisch auf seine Kunst, sondern ihm auch zutiefst zugetan. Und dennoch bleibt er als Gläubiger fest im Islam verwurzelt. "Es ist eine bezeichnende Pointe, dass der Autor von 'Gott ist schön' aus der Schönheit der von ihm bewunderten christlichen Kunst nicht auf die Wahrheit des ihr zugrunde liegenden Glaubens an die göttliche Menschwerdung schließen will", bemerkt der befreundete katholische Schriftsteller Martin Mosebach bedauernd in dem Gespräch mit Kermani im "SZ Magazin".

Doch Mosebach erkennt an, dass Kermani nur deshalb so intensiv auf die christliche Kunst blickt, weil er es von Außen tut. Und auch Kermani sagt, dass er ein solches Buch niemals über den Islam schreiben könnte. "Die Liebe zum Eigenen – ob es nun die eigene Kultur, Religion oder auch die eigene Person ist – erweist sich in der Kritik", sagt Kermani. "Die Liebe zum anderen kann viel rückhaltloser sein."

Ulrich von Schwerin

© Qantara.de 2015

Navid Kermani: Ungläubiges Staunen – Über das Christentum, C.H. Beck, 2015, 303 Seiten,  ISBN 978-3-406-68337-4