Ein irreparabler Schaden für die Region

Selbst wenn man von der jüngsten Eskalation im Konflikt mit dem Iran absieht, kann man die aktuelle US-Nahostpolitik nur als desaströs und chaotisch bezeichnen. Die Gefahr ist groß, dass die Politik Donald Trumps auch den Ruf künftiger US-Regierungen sowie die internationale Ordnung massiv beschädigt. Von Stasa Salacanin

Von Stasa Salacanin

Trumps Kritiker im In- und Ausland erkennen hinter den Handlungen des US-Präsidenten keinerlei Plan oder Strategie und beschreiben sie als ziellos. Demnach habe die Regierung in Washington ein Problem damit, "ihre Interessen und Ziele in der MENA-Region klar zu formulieren, während ihre Einzelaktionen die Stabilität der gesamten Region gefährden".

Obwohl sich die USA in einigen Fällen (wie etwa in Syrien) zurückgehalten haben, hat Trumps impulsive und unberechenbare Politik gegenüber dem Iran und in Hinblick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt lediglich Öl in das Feuer einer instabilen Region gegossen. So hat die Glaubwürdigkeit der USA in den Augen ihrer MENA-Partner erheblich gelitten. Länder in der gesamten Region, darunter auch traditionelle Verbündete der USA, fürchten, ins Kreuzfeuer des amerikanisch-iranischen Konflikts zu geraten. Deshalb haben sie begonnen, sich von Washingtons "abenteuerlicheren" Aktivitäten in der Region zu distanzieren und ihre eigene unabhängige Strategie zu verfolgen.

Gabriel Glickman, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat Centre for Strategic Studies, weist auf die oft falsche Wahrnehmung hin, die Vereinigten Staaten hätten die Ereignisse im Nahen Osten unter Kontrolle – entweder direkt oder als Ergebnis ihrer Politik. Aber diese Sichtweise "lässt die Entscheidungen, die von den Nahostakteuren selbst getroffen werden unberücksichtigt", so Glickman.

Es ist kein Geheimnis, dass Präsident Trump die US-Militärpräsenz im Nahen Osten liebend gern beenden würde. Doch obwohl dies im eigenen Land auf Zustimmung stößt, spiegeln Washingtons Interventionen in der Region das Gegenteil wider, also ist dieses Ziel wohl kaum realistisch. Alles, was der amtierende US-Präsident bisher erreicht hat, ist, die Region noch weiter zu destabilisieren. Die Arbeit, den von ihm verursachten Schaden zu reparieren, müssen wohl seine Nachfolger leisten.

Glickman glaubt, Trumps Ziel sei es gewesen, Amerikas Verbündete in der Region zu stärken und seine Feinde zu untergraben – vielleicht mit der Absicht, im Nahen Osten eine stabile Ordnung zu schaffen. Seit China immer stärker wird und sich die US-Außenpolitik deshalb zunehmend auf Asien konzentriert, ist nach Glickmans Einschätzung auch die Nahostpolitik des Landes weniger ziellos – und bewegt sich immer mehr im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Paradigmen.

Proteste im Iran gegen die Tötung von Qassem Soleimani; Foto: Reuters/WANA/N. Tabatabaee
Das Opfernarrativ weitertragen: Mit dem Attentat auf den Anführer der iranischen Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, haben die USA den Konflikt mit der Führung in Teheran bewusst eskalieren lassen. So hat die Glaubwürdigkeit der USA in den Augen ihrer MENA-Partner erheblich gelitten. Länder in der gesamten Region, darunter auch traditionelle Verbündete der USA, fürchten, ins Kreuzfeuer des amerikanisch-iranischen Konflikts zu geraten, meint Salacanin.

Seiltanz mit dem Iran       

Das Vorgehen der USA in der Region hat zweifellos die brodelnden Spannungen in der Region noch verstärkt. Im Konflikt mit dem Iran droht damit zunehmend die Gefahr einer weiteren Eskalation. Die jüngsten Ereignisse, die durch das Attentat auf Qassem Soleimani ausgelöst wurden, könnten auf Seiten des Iran oder der USA zu gefährlichen Fehleinschätzungen führen.

Laut Dr. Robert Mogielnicki, Wissenschaftler am Arab Gulf States Institute in Washington, glaubten die bisherigen US-Regierungen noch, die Gefahren tödlicher Schläge gegen führende iranische Politiker würden die Vorteile überwiegen. Präsident Trump ist da offensichtlich anderer Meinung. Für Mogielnicki stellt sich daher jetzt die Frage: Werden Vergeltungsaktionen und Stellvertreterkonflikte zur neuen Normalität, oder bewegen sich die beiden Länder zwar langsam, aber unvermeidlich auf einen Krieg zu?

Würde zwischen den USA und dem Iran ein Krieg ausbrechen, hätte dies für Amerikaner, Iraner und die benachbarten Länder gewiss verheerende Folgen. Es steht zu befürchten, der Iran könnte dem Beispiel Nordkoreas folgen und sich beeilen, ein eigenes Arsenal von Atomwaffen zu entwickeln – in der Hoffnung, ein Aufstieg in die nukleare Liga verschaffe ihm mehr Respekt. Doch den meisten Analysten scheint immer noch nicht klar, was die USA mit ihren jüngsten Aktionen gegen den Iran erreichen wollten, und kritisieren, Amerika verfolge keine stimmige und nachhaltige Strategie im Umgang mit dem Iran.

Mogielnicki ist der Ansicht, die Bedrohung durch iranische Nuklearkapazitäten spiele bei den außenpolitischen Erwägungen der USA auch weiterhin eine Rolle. Allerdings lässt der iranische Angriff auf den Al-Asad-Militärflughafen im Januar darauf schließen, dass die wohl direktere und ernsthaftere Bedrohung vom bereits vorhandenen Raketenarsenal der Islamischen Republik ausgeht. Laut Glickman ist der iranische Rückzug vom Atomabkommen, der öffentlich so dargestellt wird, als sei er eine Reaktion auf ein größeres Fehlverhalten der anderen Seite, in Wirklichkeit strategischer Natur. "Dies trägt weiter zu dem Opfernarrativ bei, das schon der ehemalige Oberste Religionsführer Ayatollah Khomeini eingeführt hat", so Mogielnicki.

Tödlicher Angriff auf den Friedensprozess

Auch dem palästinensisch-israelischen Friedensprozess fügte US-Präsident Trump einen gewaltigen Schaden zu. Er hat Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt und die Finanzierung der für die palästinensischen Flüchtlinge zuständigen UN-Behörde (UNRWA) aufgekündigt. Weiterhin hält er die israelischen Siedlungen nicht mehr für illegal, und er erkennt das Westjordanland nicht mehr als "besetztes Gebiet" an. Daher ist sich der überwiegende Teil der internationalen Staatengemeinschaft wohl auch darin einig, dass die Vereinigten Staaten dem ohnehin stockenden Friedensprozess gleich mehrere tödliche Schläge versetzt haben.

Laut Glickman haben US-Außenminister Pompeos Aussagen zur Rechtmäßigkeit der Siedlungen das Thema von einem juristischen wieder zu einem politischen gemacht. Er erinnert sich, dass es Ronald Reagan war, der die seit 1978 bestehende juristische US-Position gegenüber den Siedlungen umgekehrt hat, und dass zukünftige Präsidenten das Thema dann nicht mehr in den rechtlichen Bereich bringen wollten.

Doch diese Auffassung der USA wurde von den Vereinten Nationen und vielen europäischen Staaten weitgehend abgelehnt. Dass Washington die Fragen der Menschenrechte sowie der anerkannten Normen und Verhaltensregeln weiterhin ignoriert, verdeutlicht, wie sich die Vereinigten Staaten bei diesem Thema immer stärker isolieren. So hat der Europäische Gerichtshof kürzlich bestätigt, dass Produkte, wenn sie in den Siedlungen hergestellt wurden und als "israelische Produkte" gekennzeichnet sind, nicht in Europa verkauft werden dürfen.

Mit ihrem jüngsten Vorgehen im Nahen Osten haben die USA ihre Verbündeten massiv vor den Kopf gestoßen. So scheint es vor dem Anschlag auf Soleimani keinerlei Warnung gegeben zu haben. Aber trotzdem erkennen die meisten europäischen Politiker an, dass die USA in Regionen wie dem Nahen Osten immer noch ein wichtiger globaler Machtfaktor und notwendiger Partner sind.

Der einzige Weg, um in der Zeit nach Trump die amerikanische Position in globalen Angelegenheiten wieder herzustellen, besteht laut Glickman darin, erneut die zentrale Bedeutung liberaler Werte für die US-Außenpolitik zu betonen.

Stasa Salacanin

© Qantara.de 2020

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff