Mysterien eines Schönheitssalons

In ihrer Tragikomödie "Caramel" um fünf Frauen, ihren Alltag und ihre Sehnsüchte macht die libanesische Regisseurin Nadine Labaki die Mechanismen einer Gesellschaft sichtbar, in der die Schönheit und die Virilität die Währungen sind. Fritz Göttler hat den Film gesehen.

Nadine Labaki während eines Fototermins in München; Foto: Ursula Düren, dpa
"Caramel" ist Nadine Labakis erster Spielfilm. Mit pointierter Gelassenheit erzählt sie von ein paar Frauen, deren Leben sich zu großen Teilen im Schönheitssalon "Si Belle" abspielen.

​​Ein alter Herr, der mit Hochwasserhosen, wie man sie seit Monsieur Hulot nicht mehr gesehen hat, durch die Straßen von Beirut läuft, das ist von den vielen zärtlichen und melancholischen Szenen dieses Films womöglich die schönste. Die ungewöhnliche Hosenmode ist in diesem Fall ein Liebesbeweis, immer wieder hat der Herr in den letzten Tagen die Schneiderin aufgesucht, um noch ein Stückchen weiter kürzen zu lassen - weil er sich verliebt hat in die Frau. Libanesischer Lubitsch-Touch!

Eine andere Liebe findet vor allem auf einem Schrottplatz am Rande der Stadt statt. Der Mann ist verheiratet, er verspricht seiner jungen Geliebten immer wieder, sich endlich scheiden zu lassen, aber man weiß ziemlich schnell, er wird das wohl nicht tun.

Die junge Frau aber, sie heißt Layale, mag ihre Hoffnungen nicht ziehen lassen. Sie stiehlt sich, für die Liebe am Nachmittag, immer wieder von der Arbeit fort, aus dem kleinen Schönheitssalon, den sie mit ihren Freundinnen betreibt. Si Belle heißt der Salon, und das "B" der Leuchtschrift hat sich gelockert und hängt nun schlaff wie ein Busen über der Tür.

Pointierte Gelassenheit

Nadine Labaki spielt Layale, sie ist die Regisseurin des Films und hat auch am Drehbuch mitgearbeitet. "Caramel" ist ihr erster Spielfilm, zuvor hat sie sich mit zahlreichen Musikclips bewährt. Mit pointierter Gelassenheit erzählt sie von ein paar Frauen, deren Leben sich zu großen Teilen im Salon Si Belle abspielen, in einer Stadt, in der verschiedene religiöse und kulturelle Gruppen zusammenleben müssen, und der französische Einfluss ist, von der Kolonialzeit her, weiter virulent.

Die umtriebige Layale sitzt am Abend im großen Kreis der Familie, die Frauen, die dort an der Glotze hängen, nerven sie natürlich, aber in der lauten Geselligkeit, die sie dann in der Küche entwickeln, fühlt sie sich geborgen.

Farbenfrohes Spiel jenseits des Bürgerkriegs

Der Film steht voll in der internationalen Soap-Tradition, mal charmant, mal nervig grell, diese Abhängigkeit ist eine Folge des Krieges, den Labaki in ihrer Kindheit in den Achtzigern erlebte. "Die meiste Zeit verbrachte ich zu Hause", erzählt sie, "wir konnten nicht raus, konnten nicht zur Schule. Ich sah und lernte die Welt durchs Fernsehen kennen. Das Fernsehen war mein Unterricht. Ägyptische Filme, amerikanische Filme, französische Filme. Diese blöden Talkshows, diese blöden Fernsehserien. Ich wusste alles über Dallas und Dynasty."

Es ist ein magisches mediterranes Licht, in das dieser Film getaucht ist, gedämpft und satt zugleich. Der Dekor und die Kleidung, das Make-up sind wie aus den Modemagazinen, den Hollywood-Melos der Fünfziger und Sechziger. Aber die Lässigkeit, mit der die Mädels in ihrem Salon sich bewegen, die Unbefangenheit, mit der sie sich ihrem Körper und seinen Bedürfnissen widmen, kaschiert nicht wirklich die Rigidität der Regeln, die die Gesellschaft draußen bestimmen. Der Salon ist eine Zone der Geborgenheit, aber irgendwann muss man doch zahlen für das Glück, das man sich hier verschafft. ​​

Liebesnacht unter Prostitutionsverdacht

Die Frauen, die hier spielen, sind keine Profis, sie stammen aus dem Freundeskreis von Labaki, und sie haben oft ihre Sätze und Gesten improvisiert - und wie Labaki mitten unter ihnen leise und kumpelhaft dirigiert, erinnert an Renoir und seine "La Règle du jeu".

Die eine Frau träumt von einer Karriere im Fernsehen und lässt sich aufdonnern fürs Vorsprechen. Die andere sieht in der Heirat ihr Glück, aber sie geht nicht unberührt in diese Ehe und lässt sich deshalb in einem Krankenhaus operativ den Hymen wieder flicken.

Als Layale mit ihrem Lover mal eine Nacht gemeinsam verbringen will und dafür ein Hoteldoppelzimmer buchen will, muss sie einen erniedrigenden Spießrutenlauf absolvieren - jeder der Portiers, so schmierig die Klitschen auch sein mögen, verlangt einen Nachweis, dass die Gäste verheiratet sind. Die Liebesnacht unter Prostitutionsverdacht.

Labaki macht die Mechanismen einer Gesellschaft sichtbar, in der die Schönheit und die Virilität die Währungen sind. Ein schmucker Streifenpolizist ist heimlich in Layale verknallt, und eines Tages tritt er mutig in den Salon. Der Gang, der sonst für starke Western-Showdowns reserviert ist, endet hier im Stuhl vor dem Spiegel. Und hinter dem Vorhang wird schon das Caramel erhitzt, jenes klebrige Gemisch, mit dem unansehnliche Haarpartien kraftvoll beseitigt werden.

© Süddeutsche Zeitung / Qantara.de 2008

Dieser Artikel erschien am 3. April 2008 in der Süddeutschen Zeitung.

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