Unermüdlicher Streiter für den Frieden

Jahrzehntelang hat sich Uri Avnery für Frieden zwischen Israel und Palästinensern eingesetzt. Zu Lebzeiten hat sich dieser Wunsch nicht mehr erfüllt. Avnery ist in der Nacht zum Montag im Alter von 94 gestorben. Ein Nachruf von Christian Wolf.

Von Christian Wolf

Zur Ruhe setzen konnte sich Uri Avnery nie. Noch vor einem Jahr - im Alter von 93 Jahren - sprühte der israelische Friedensaktivist vor Tatendrang. "Wir brauchen eine neue politische Kraft und ich bin absolut bereit, da mitzuwirken", sagte er in einem Interview. Schließlich sei es eine "Hauptpflicht", Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und "die ganze Bande" zu vertreiben. Da war er noch immer, der unermüdliche Kämpfer, der nicht vor den Mächtigen zurückschreckt.

Seinen Plan umsetzen konnte Uri Avnery nicht mehr. Im Alter von 94 Jahren ist er in der Nacht zum Montag in einem Krankenhaus in Tel Aviv gestorben, wie ein Sprecher der Klinik der Deutschen Presseagentur bestätigte. Anfang des Monats hatte Avnery einen Schlaganfall erlitten und lag seither im Koma. Doch selbst wenn das letzte Ziel unerreicht bleibt, hinterlässt Avnery Spuren in der Geschichte seines Landes - und eine Lücke, die nur schwer zu füllen sein wird.

Rund 70 Jahre lang engagierte sich Avnery politisch. Fünf Jahrzehnte lang trat er für einen Ausgleich mit den Palästinensern ein. Und zehn Jahre lang war er israelischer Parlamentarier. Eine Ausnahmeerscheinung - wie ihn die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" anlässlich seines 90. Geburtstages bezeichnete.

Mehrmals traf sich Avnery mit Jassir Arafat - hier 2004 in Ramallah. Foto: picture-alliance/ dpa
Ein Leben für Versöhnung und friedliches Zusammenleben: Uri Avnery setzte sich ein Leben lang für die Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung in Nahost ein, gründete daher 1993 die Menschenrechtsgruppe Gusch Schalom ("Friedensblock"). Zuletzt hatte Avnery gegen das kürzlich verabschiedete Nationalitätengesetz protestiert. Für seine Friedensarbeit wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Flucht vor Nazi-Regime

Seinen Anfang nahm das ereignisreiche Leben Avnerys 1923 in der westfälischen Kleinstadt Beckum. Als Helmut Ostermann kam er dort zur Welt und wuchs in einer liberalen, gutbürgerlichen säkularen Familie auf. Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler emigrierte die Familie 1933 nach Palästina. Rückblickend nannte er dies den "Beginn eines zweiten Lebens" und eine "Erlösung".

Aus Helmut Ostermann wurde Uri Avnery. In jungen Jahren schloss er sich der terroristischen und ultranationalistischen Untergrundorganisation "Irgun" an, die Anschläge gegen die britische Mandatsmacht verübte. Auch Jahrzehnte später bedauerte er den Schritt nicht. "Zu der Zeit war es das Richtigste, was ich hatte tun können. (…) Ich dachte, es wäre meine Pflicht, dafür zu kämpfen, dass das Land befreit wird." Wohl auch deshalb kämpfte Avnery 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg, den er schwer verwundet überlebte.Vom Nationalheld zum "meistgehassten Israeli"

Was folgte, war eine spannende Wandlung. Avnery schrieb ein patriotisches Buch über seine Erlebnisse und wurde zu einer Art Nationalheld. Mit dem zweiten Buch über die dunklen Seiten des Krieges sowie mit der Arbeit für das regierungskritische Nachrichtenmagazin "haOlam haZeh" nahm die Begeisterung für den Publizisten in Teilen der Bevölkerung aber ab. Manch ein Beobachter meint sogar, er sei zeitweise der "meistgehasste Israeli" gewesen.

 

 

Sowohl in seiner journalistischen Arbeit als auch in den Jahren als Abgeordneter der Knesset trat Avnery für ein großes Vorhaben ein: Frieden mit den Palästinensern und die Gründung eines palästinensischen Staates. Dafür suchte er den Kontakt zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und traf 1982 als erster Israeli PLO-Führer Yassir Arafat. Von der Kritik daran ließ sich Avnery nicht beirren, es kam sogar zu weiteren Treffen und einem Buch mit dem Titel "Mein Freund, der Feind".

Die jahrzehntelangen Bemühungen um Aussöhnung trugen dem Gründer der Friedensbewegung "Gusch Schalom" internationale Anerkennung und Auszeichnungen ein - darunter den Aachener Friedenspreis und den Alternativen Friedensnobelpreis. Viele Jahre arbeitete Avnery bei all dem eng mit seiner Frau Rachel zusammen, bis diese 2011 starb.

Und auch wenn er von der israelischen Rechten wahlweise als "linksradikal" oder "Staatsfeind" verunglimpft wurde, Avnery machte einfach weiter. Im In- und Ausland blieb er bis zuletzt ein gefragter Gesprächspartner. So sagte er der Deutschen Welle vor rund drei Jahren: "Es ist immer gut, wenn Israelis und Palästinenser sich gegenübersitzen und miteinander verhandeln." Er selbst bevorzugte die Rolle des unabhängigen Beobachters, der von allen Seiten Kompromisse einforderte. Dies ermöglichte ihm, in einem Atemzug das israelische "Besatzungsregime" in den Palästinensergebieten und die Gewalt gegenüber Israel zu kritisieren.

Kein Pessimismus

In der aktuellen israelischen Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu sah Avnery aber keinen Verbündeten. "Sie können das Wort Zwei-Staaten-Lösung eigentlich streichen. Diese Regierung will keine Zwei-Staaten-Lösung", sagte er der Deutschen Welle. Doch für den unermüdlichen Friedenskämpfer war auch das kein Grund zur Resignation. "Ich kenne den Begriff Pessimismus nicht. Ich bin nie pessimistisch." Wohl nur so konnte Avnery über Jahrzehnte für einen Frieden kämpfen, der in immer weitere Ferne rückt.

Christian Wolf

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