
Nachruf auf den iranischen Musiker Mohammad-Reza SchadscharianDie Stimme der Dichter
“Den Morgenvogel…wir wollen den Morgenvogel!” Diesen Ruf, ausgestoßen von achtzigjährigen Kehlen, muss man gehört haben. Er klang, in einem Ton zwischen angstvollem Zweifel und freudiger Erwartung, durch die Philharmonie zu Köln, durch die Royal Festival Hall in London und das Town Hall Theatre in New York.
Der Nachdruck, mit dem die greisen Kehlen “den Morgenvogel” einforderten, hätte die Befürchtung aufkommen lassen können, dass er seine Stimme vielleicht nicht erheben könnte. Jahrzehntelang war diese Befürchtung völlig unberechtigt. Denn es ist nicht erinnerlich, dass der Meister je ein Konzert nicht mit dem “Morgenvogel” abgeschlossen hätte. Zum Schluss rief der Meister immer den Schöpfer, die supra- und die sublunare Natur an, um den “Morgenvogel” aus dem Käfig zu lassen.
Und nie war der Morgenvogel so “herzlos”, seine Flügel nicht zu entfalten und nicht herauszukommen und die “Melodie von der Freiheit des Menschen” nicht zu singen. Diese Zugabe krönte den Festakt, erhob die Seelen der Zuhörer noch einmal und entließ sie mit “frischerem Hoffnungsflammen” in die Flure des Exils oder in die Alltagskämpfe der Heimat.
Auch wer dieses Ritual nie erlebt hat, muss versuchen zu verstehen, was der Tod des Sängers Mohammad-Reza Schadscharian bedeutet. Er bringt schwere Trauer über eine Nation, die in der Heimat am schwierigen Weg in die Moderne verzweifelt und die gleichzeitig in alle Winde zerstreut ist. Schadscharian hielt sie alle zusammen.
Seinem Charisma konnte sich niemand entziehen. Er war identitätsstiftend. Seine klare durchdringende Stimme legte den Weg frei zum Ursprung der eigenen Kunst, zu Chizers Quell, wenn man so will. Dem kulturellen Gedächtnis bot er einen lebendigen Resonanzraum. Lange vor seinem Tod war er eine Legende. Im Alter von 80 Jahren ist Mohammad-Reza Schadscharian vergangenen Donnerstag nach langer schwerer Krankheit in Teheran gestorben.
Unverwechselbare Kommunikation
Persien definiert sich über seine Kunst und Ästhetik, ähnlich wie es die Deutschen bis zu den politisch-moralischen Brüchen des 20. Jahrhunderts tun konnten. Schadscharian war der alle und alles überragende Vertreter der persischen Kunst. “Ostad”, “Meister”, wurde er kurz genannt.
Zu dem hohen Rang kam Schadscharian über seine Stimme und seine Gesangstechnik. Begabung, Fleiß und eine naturgegebene Physiognomie wirkten zusammen, um einen einzigartigen Tenor hervorzubringen. Den stellte Schadscharian ganz in den Dienst der klassischen persischen Musik. Er sammelte ihre Melodien, Formen und Sequenzen und verfeinerte sie. Er arbeitete mit den besten Instrumentalisten zusammen.