Hazara "in Lebensgefahr"

Viele Hazara, mit denen die DW in den vergangenen Tagen gesprochen hat, sehen unter der Taliban-Herrschaft keine Zukunft für sich in Afghanistan. Ihnen drohe "ethnische und religiöse Verfolgung", sagt Mahdi Raskih, der bis zuletzt im afghanischen Parlament saß, die Hazara seien "in Lebensgefahr." Andere sprechen über ihre Angst vor neuen Massakern und Zwangskonvertierungen. Kaum einer glaubt den Versprechungen der Taliban, die seit ihrer Machtübernahme immer wieder versichern, die Rechte von Frauen, aber auch die der Minderheiten, achten zu wollen.

Das sei nur Propaganda für die internationale Gemeinschaft, auf deren Entwicklungshilfe die Taliban angewiesen seien, um die kurz vor dem Zusammenbruch stehende Wirtschaft Afghanistans zu stützen. Die Taten der Taliban sprächen eine andere Sprache.

Massaker und eine erschütternde Botschaft

So dokumentierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die brutale Ermordung von neun Hazara-Männern in der zentralafghanischen Provinz Ghazni, kurz nachdem die Taliban dort Anfang Juli die Kontrolle übernommen hatten. Dem Bericht zufolge wurden sechs der Männer von Talibankämpfern erschossen, drei wurden zu Tode gefoltert.

Taliban-Kämpfer; Foto: picture-alliance/dpa.
Die Tötungen, die den Taliban während der Machtübernahme zugeschrieben werden, sind wahrscheinlich "einen winzigen Bruchteil der von den Taliban ingesamt verursachten Todesopfer": Die Gruppe hat in vielen Gebieten den Handyempfang unterbrochen, wodurch keine Fotos und Videos mehr nach draußen gelangten. Habiba Sarabi, ein politischer Führer der Hazara, übermittelte einen Link zu einem kurzen Video, das zwei Taliban-Kämpfer zeigt und noch nicht verifiziert wurde. Der eine sagt in die Kamera, sie würden auf die Erlaubnis ihrer Anführer warten, alle in Afghanistan lebenden Hazara "auszulöschen".

Diese Tötungen, so heißt es in dem Amnesty-Bericht, "stellen wahrscheinlich nur einen winzigen Bruchteil der von den Taliban bisher insgesamt verursachten Todesopfer dar", da die neuen Machthaber in vielen Gebieten den Handyempfang unterbrochen hätten, wodurch keine Fotos und Videos mehr nach draußen gelangten.

Habiba Sarabi hat Beweise für weitere Gräueltaten gesammelt. Sie könne aber keine Details nennen, sagt sie der DW, da dies die Augenzeugen gefährden könnte. Sarabi, eine Hazara, war die erste weibliche Gouverneurin Afghanistans. Sie diente als Ministerin für Frauenangelegenheiten und war eine von vier Frauen, die die afghanische Regierung bei den Verhandlungen mit den Taliban in Doha vertraten.

"Ich stehe unter Schock" sagt sie im Gespräch mit der DW. Kurz nach dem Interview schickt Sarabi den Link zu einem kurzen Video, das zwei Talibankämpfer zeigt. Der eine sagt in die Kamera, sie würden auf die Erlaubnis ihrer Anführer warten, alle in Afghanistan lebenden Hazara "auszulöschen".

Die DW konnte den Ursprung des Videos nicht eindeutig verifizieren. Quellen sagen aber, es sei schon vor einigen Monaten aufgenommen worden. Doch jetzt verbreitet sich die erschreckende Botschaft viral in den sozialen Medien. "Ich bin wie betäubt", sagte eine Frau gegenüber der DW, nachdem sie das Video gesehen hat. Es habe ihr den Atem geraubt.

Die Angst ist groß, dass die Taliban wieder beginnen, ihre Volksgruppe systematisch zu verfolgen, sobald die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft und der Medien nachlässt. Und dass sie beginnen, jene zu töten, die einen Widerstand der Hazara anführen könnten.

Einer dieser Anführer ist Zulfikar Omid. Der frühere Parlamentarier organisiert seit Monaten Soldaten und Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er hat in der Provinz Daikundi in Zentralafghanistan eine bewaffnete Hazara-Truppe aufgebaut. Seinen Angaben zufolge besteht sie aus 800 regulären Kämpfern und 5000 Freiwilligen.

Der Parlamentarier, der zum Widerstandsführer wurde, Zulfikar Omid; Foto: privat.
Bewaffneter Widerstand, wie ihn Zulfikar Omid (hier in der Mitte links) plant, könnte sich als sinnlos und kontraproduktiv erweisen, befürchtet Niamatullah Ibrahimi, Dozent an der australischen La Trobe University und Autor des Buches "The Hazaras and the Afghan State". Die Taliban könnten die Hazara-Regionen einfach von Nachschub und Hilfslieferungen abriegeln. Das würde schnell zu einer gravierenden Hungersnot führen. Außerdem sei zu befürchten, dass es als Reaktion auf den Widerstand zu neuen Massakern und Racheakten gegen die Hazara-Bevölkerung komme.

Vorher habe er ausländische Regierungen angefleht, Afghanistan nicht den Taliban zu überlassen. "Alle haben gesagt: Die Taliban sind modern, sie haben sich verändert", erzählt er in einem WhatsApp-Telefonat von einem unbekannten Ort. "Aber die Taliban haben sich nicht verändert, das Töten, die Gewalt hat zugenommen."

Gerade habe er Gespräche geführt mit Ahmad Massoud, dem Sohn des legendären tadschikischen Kommandeurs Ahmad Schah Massoud, der erfolgreich gegen die übermächtige Rote Armee der Sowjetunion kämpfte und später auch als Anführer der Nordallianz gegen die Taliban. 2001 starb er bei einem Selbstmordanschlag. Sein Sohn, Massoud Junior, führt im Jahr 2021 eine Gruppe bewaffneter Rebellen in Pandschir an.

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