Irans Präsident in der Bringschuld

Nach dem erfolgreichen Atomabkommen steigt der Erwartungsdruck auf Irans Präsident Hassan Rohani, dass sich nun auch die wirtschaftliche Situation für viele Iraner verbessern wird und die innenpolitischen Reformen vorankommen. Von Adnan Tabatabai

Von Adnan Tabatabai

Es ist vollbracht: Nach 23 Monaten und einem knapp dreiwöchigen Abschlussmarathon verkündeten gestern die Hohe Repräsentantin der Europäischen Union Federica Mogherini und der iranische Außenminister Javad Zarif gemeinsam die Einigung über das Nuklearabkommen. Damit ist der über zwölf Jahre andauernde internationale Konflikt, der mehrmals kurz vor einer militärischen Konfrontation stand, beigelegt.

Allerdings sind gewiss noch ein viele Hürden bis zur Implementierung des Abkommens zu nehmen. Besonders der US-Kongress bereitet den beteiligten Akteuren Sorgen. Dort muss dem ausgehandelten "Joint Comprehensive Plan of Action" nach einer Prüfung noch zugestimmt werden. Ein mehrheitliches Votum gegen das Abkommen ist durchaus denkbar.

Doch wenn man bedenkt, welches politische Kapital die Regierung Barack Obama in diese Verhandlungen investiert hat, ist es schwer vorstellbar, dass neben den republikanischen Widersachern auch demokratische Kongress- und Senatsabgeordnete gegen ihren Parteikollegen und Präsidenten stimmen. Zudem würde ein solcher Vorgang dazu führen, dass Washington für das letztliche Scheitern verantwortlich gemacht werden könnte – gemessen an der globalen Relevanz dieses Politikums wäre das wohl zu kostspielig.

In Teheran ist dagegen mit keinen gravierenden politischen Widerständen zu rechnen. Das Verhandlungsteam um Javad Zarif erfährt breiten Zuspruch sowohl von den ranghohen politischen Eliten des Landes als auch von der Bevölkerung. Zwar gibt es kritische und skeptische Stimmen – besonders unter konservativen Hardlinern im Parlament sowie unter wortgewaltigen Publizisten. Diese werden aber nicht imstande sein, den Implementierungsprozess des Nuklearabkommens entscheidend zu behindern.

Mit diesem bedeutenden politischen Erfolg kommen neue Herausforderungen auf Präsident Hassan Rohani zu. Seine Regierung wird in zweierlei Weise innenpolitisch liefern müssen.

Versprochener Wirtschaftsboom

Iraner feiern den Abschluss des Atom-Abkommens in Teheran; Foto: picture-alliance/dpa
Anlass zur Freude: Am Dienstag (14.07.2015) feierten in Teheran alleine auf der Parkway Autobahn Tausende Menschen, hauptsächlich Jugendliche, in ihren Autos mit iranischen Flaggen und lauter Popmusik. Noch voller war es in der Stadtmitte. Wegen der Feiern waren mehrere Straßen blockiert. Auf Bannern und mit Parolen dankten die Demonstranten besonders Präsident Hassan Rohani und Außenminister Mohammed Jawad Zarif als den Initiatoren der Atomeinigung mit dem Westen.

Das drängendste Anliegen der iranischen Bevölkerung ist die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lebensverhältnisse. Das reicht von der Steigerung der Kaufkraft (etwa durch Stärkung der Landeswährung), über die Schaffung von Arbeitsplätzen bis hin zu ernsthaften Bemühungen für mehr soziale Gerechtigkeit und weniger Korruption.

Sicherlich wird hierbei die Aufhebung des umfassenden Sanktionsregimes helfen. Doch erst zum Ende dieses Jahres – und sofern der Implementierungsprozess reibungslos läuft – ist mit dem Ende der Sanktionen gegen den iranischen Finanz- und Energiesektor zu rechnen. Und bis diese Verbesserungen bei der Bevölkerung ankommen, werden freilich nochmals einige Monate vergehen.

Hausgemachte Probleme wie Misswirtschaft und Korruption werden durch die Aufhebung der Sanktionen nicht verschwinden, sie werden höchstens graduell abnehmen, da sich der iranische Markt mit dem Ausbruch aus der internationalen Isolation notgedrungen für mehr Wettbewerb öffnen wird.

Gegen Korruption und für mehr soziale Gerechtigkeit

Gemeinsam mit der Justiz geht die Regierung Rohani verstärkt gegen gravierende Korruptionsfälle der jüngeren Vergangenheit vor. Nur wenn dieser eingeschlagene Weg umfassend fortgesetzt und vor keinem Akteur halt gemacht wird, kann mit nachhaltigen Ergebnissen gerechnet werden.

Eine Integration Irans in das globale Wirtschaftsgefüge darf nicht nur zu Gunsten der politischen und gesellschaftlichen Eliten ausfallen. Präsident Hassan Rohani wird darauf achten müssen, vor allem für sozial schwächere Einkommensschichten, welche prozentual bei weitem den größten Bevölkerungsanteil ausmachen, den Erfolg des Nuklearabkommens im alltäglichen Leben spürbar zu machen.

Für diesen Bevölkerungsanteil reichen euphorische Worte und Verheißungen von einer erfolgreichen Diplomatie und vom Dialog mit dem Rest der Welt nicht aus. Denn den sozial Schwachen geht es in erster Linie ums nackte Überleben und eine rasche Verbesserung ihrer Lebenssituation.

Kind verkauft Waren an einer Straße in Teheran; Foto: Irna
Gewachsene soziale Probleme: Wirtschaftliche Probleme zwingen manche iranische Familien dazu, auch ihre Kinder zum Geldverdienen auf die Straße zu schicken. Nach einem Bericht des iranischen Parlaments gehen im ganzen Land mehr als drei Millionen Kinder unter 18 Jahren arbeiten und nicht zur Schule.

Die reformwillige Wählerschaft Rohanis hat sich seit dessen Amtsantritt sehr geduldig hinter ihren Präsidenten gestellt. Selbst diejenigen, die für mehr politische Freiheiten kämpfen und sich unermüdlich für die Achtung ihrer Bürgerrechte einsetzen, neigten dazu, den Druck auf die Regierung Rohani zunächst nicht zu erhöhen, um den Prozess der Nuklearverhandlungen nicht weiter zu verkomplizieren.

Pragmatismus und kontrollierte Öffnung

Sie versprechen sich, dass Rohani aus dem Erfolg des Abkommens gestärkt hervorgeht und dann eher in der Lage sein wird, innenpolitisch für eine Deradikalisierung und eine gesellschaftspolitische Öffnung einzustehen. Diese Hoffnung scheint plausibel. Sie wird jedoch letztlich auch von Rohanis politischem Willen abhängen, sich gegen ernsthafte Widerstände durchzusetzen.

Dass der iranische Präsident selbst mitnichten ein Reformer ist, sondern aus der Mitte des Sicherheitsapparats stammt, ist ironischerweise von großem Vorteil. Spricht er von mehr Medienfreiheit, weniger Sicherheitspräsenz an den Universitäten oder mehr gesellschaftlichen Freiheiten auf der Straße, dann tut er das nicht als überzeugter Verfechter von Pluralismus und Demokratie. Vielmehr agiert er als ein erfahrener Sicherheitsstratege, der weiß, dass ein zu restriktiver Umgang zu Konflikten und Aufständen führen könnte. Diese Argumentationslinie verschafft ihm in den konservativen Kreisen des Systems viel eher Gehör als Worte eines wahrhaftigen Reformers.

Rohani strebt somit die innenpolitische Öffnung im Sinne der nationalen Sicherheit ("amniat-e melli") und im Interesse des gesamten Systems ("maslahat-e nesaam") an. In einer Zeit, in der sich das Land noch von den besonders restriktiven Ahmadinedschad-Jahren erholt und in einer Region voller Sicherheitsrisiken befindet, vermag dieser Weg der einzig erfolgversprechende zu sein.

Und die Bevölkerung wird diesen politischen Kurs berechtigterweise von ihrem Präsidenten einfordern. Sie haben ihm schließlich genug Rückendeckung und ein starkes Mandat verliehen, um die Nuklearverhandlungen zu dem nun erzielten Erfolg zu führen.

Adnan Tabatabai

© Qantara.de 2015

Der Politikwissenschaftler Adnan Tabatabai ist Iran-Experte und Geschäftsführer des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO).