Gegen alle Widerstände

Die Französin Aravane Rezai ist die Tochter iranischer Einwanderer. Die beste muslimische Tennisspielerin der Welt hat sich mit der westlichen Welt arrangiert und gehört zum Favoritenkreis für die French Open. Auch dank ihres Vaters. Von Wolfgang Scheffer

Aravane Rezai; Foto: AP
Aufstieg von einer trostlosen Vorstadt in Frankreich zur Tennis-Weltspitze: Die muslimische Tennisspielerin Aravane Rezai.

​​ Kann man als gläubige Muslima erfolgreich Profitennis spielen? Aravane Rezai hat am vergangenen Sonntag in Madrid diese Frage eindeutig beantwortet: Man kann.

Die 23-jährige Tochter iranischer Einwanderer gewann in Madrid nicht nur das mit 4,5 Millionen Dollar nach den vier Grand Slams am höchsten dotierte Turnier der WTA Tour.

Die Französin schlug auf dem Weg zu ihrem bisher größten Zahltag (600.000 Dollar) auch noch drei ehemalige Weltranglistenerste: Justine Henin, Jelena Jankovic und im Endspiel Venus Williams. Gegen die Amerikanerin, die nach ihrer Finalniederlage hinter ihrer jüngeren Schwester Serena auf Platz zwei der Weltrangliste vorrückte, holte Aravane Rezai beim 6:2 und 7:5 im zweiten Durchgang einen 2:5-Rückstand auf und wehrte fünf Satzbälle ab.

Geheimfavoritin für einen Heimsieg

Die Vorstellung der Außenseiterin in Spanien war so eindrucksvoll, dass die junge Frau sogar unter die Sieganwärter der French Open eingereiht wurde. Im Pressekonferenzen-Marathon mit den Favoriten musste auch Aravane Rezai Rede und Antwort stehen, obwohl sie nach dem spanischen Coup in der Weltrangliste erst auf Rang 16 kletterte.

In der ersten Runde in Paris konnte sie die Vorschusslorbeeren dann aber rechtfertigen. Da gewann der Publikumsliebling gegen die Kanadierin Heidi El Tabakh locker mit 6:1, 6:1 und trifft nun auf Angelique Kerber aus Kiel.

Aravane Rezai als große französische Hoffnung oder zumindest als eine Geheimfavoritin für einen Heimsieg im Stade Roland Garros – das ist der vorläufige Höhepunkt einer ungewöhnlichen Geschichte, einer Story, die erzählt von einem fanatischen Tennispapa und seiner folgsamen Tochter; von einer Familie aus einem trostlosen Banlieue (Vorstadt) von St. Etienne, von Einwanderern, die alle Widerstände überwanden, und vom erfolgreichen Spagat zwischen den Anforderungen ihres Glaubens und denen eines westlich geprägten Sports.

Keine Bermuda-Shorts für muslimische Spielerinnen

Im Tennis wird von den Offiziellen des Sports verlangt, sich "respektvoll" zu kleiden. Allzu verhüllende Kleidung verbietet die WTA Tour. Am Anfang ihrer Karriere hatte Aravane Rezai versucht, die Erlaubnis zu erhalten, mit Bermuda-Shorts zu spielen. Es wurde abgelehnt: "Warum darf Nadal solche Hosen tragen und ich nicht?" Sie ist überzeugt: "Wenn alle Spielerinnen anziehen könnten, was sie möchten, würden viel mehr muslimische Frauen Tennis spielen."

Aravane Rezai; Foto: dpa
Nicht ohne meine Familie: Mutter Nouchine begleitet Aravane Rezai auf ihren Reisen als Physiotherapeutin; Bruder Anauch, ein Tennislehrer, dient ihr als Trainingspartner.

​​ Sie selbst hat, wie es ihr Vater Arsalan Rezai formuliert, einen Kompromiss gefunden: "Im Westen kleidet sie sich wie eine muslimische Europäerin, in Iran trägt sie die dort übliche Kleidung."

Die Tochter legt diese Vorschrift mittlerweile sehr liberal aus: In jüngster Zeit sorgte sie mit ausgefallenen und freizügigen Outfits auf dem Court für Aufsehen. Überhaupt scheint sich die Tochter so langsam vom Vater abzunabeln.

Der ehemalige Automechaniker fungiert nicht mehr als ihr Trainer. Diesen Job hat Patrick Mouratouglou von der renommierten Pariser Tennis-Akademie übernommen. Aber ganz ohne die Familie geht es nicht. Die Mutter Nouchine begleitet die Rechtshänderin, die ihre Rückhand beidhändig spielt, auf ihren Reisen als Physiotherapeutin; Bruder Anauch, ein Tennislehrer, dient ihr als Sparringspartner. Nur im Hintergrund zieht immer noch der strenge Vater die Fäden. "Aber das ist gut. Ohne harte Arbeit gibt es keine Resultate."

Hartes Training unter abenteuerlichen Bedingungen

Glaubt man den Erzählungen von Arsalan Rezai, dann hat diese Arbeit unter abenteuerlichen Verhältnissen auf den Plätzen örtlicher Clubs in St. Etienne begonnen – nicht als Mitglieder (dafür fehlte das Geld), sondern als nächtliche Eindringlinge, die über Zäune kletterten.

Aravane Rezai; Foto: dpa
"Ich bin stolz, Iranerin zu sein. Zu Hause sprechen wir Farsi", sagt die Tochter iranischer Einwanderer in Frankreich.

​​ Als sie dort vertrieben wurden, baute der Vater auf einem Stück brach liegenden Land einen eigenen Court und beleuchtete den Spielplatz am Abend mit den Scheinwerfern seines Autos. Im Winter entfachte er mit Holzlatten ein Feuer, damit sich Aravane die Hände wärmen konnte.

Das harte Training am ungewöhnlichen Ort zahlte sich aus, die ersten Erfolge stellten sich ein, aber das Tennis-Establishment tat sich mit den Außenseitern schwer, zumal Arsalan Rezai tönte, dass er seine Tochter zur Nummer eins der Tenniswelt formen wolle.

"Ich spiele für Frankreich, aber nicht für den Verband."

2006 qualifzierte sich die 1,65 Meter große und 62 Kilo schwere Aravane Rezai erstmals für die French Open. Damals sagte sie: "Ich spiele für Frankreich, aber nicht für den Verband." Der Zwist ist mittlerweile vorbei. Aravane Rezai tritt im Fed Cup an – für ihr Geburtsland Frankreich.

Trotzdem sagte sie nach dem Triumph in Madrid: "Ich bin stolz, Iranerin zu sein. Zu Hause sprechen wir Farsi." Zweimal, 2001 und 2005, gewann sie für das Land ihrer Vorfahren bei den Olympischen Spielen für muslimische Frauen die Goldmedaillen im Einzel und Doppel.

Gespielt wurde in Teheran hinter hohen Zäunen, damit kein Mann einen Blick auf die Frauen erhaschen konnte, die ihren Sport ohne das im Tennis störende Kopftuch und in langen Shorts ausübten. Der Einsatz für ein anderes Land blieb ohne Folgen, da diese Turniere vom Weltverband nicht als offizielle Veranstaltungen anerkannt waren.

Nach den French Open will Aravane Rezai wieder nach Iran reisen, um, wie sie sagte, dort von ihrem Weg in die Weltspitze zu erzählen. Die beste muslimische Tennisspielerin will junge Frauen ermuntern, zum Racket zu greifen. Aber die Mullahs davon zu überzeugen, die Kleiderordnung für Sportlerinnen zu lockern, das dürfte noch schwerer sein, als in Paris beim zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres zu triumphieren.

Wolfgang Scheffer

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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