Kulturelle Missverständnisse am Krankenbett

Erkrankt ein Muslim in Deutschland, kann es zu Konflikten kommen: Ärzte und Pfleger wissen häufig zu wenig über den islamischen Glauben und können auf die Bedürfnisse ihrer Patienten nicht eingehen. Von Golrokh Esmaili

Ärzte-Visite; Foto: dpa
Um Missverständnisse am Krankenbett zu vermeiden, müssten Ärzte den muslimischen Glauben besser kennen

​​Karim Ötztürk liegt mit einem Oberschenkelhalsbruch im örtlichen Krankenhaus und führt eine hitzige Debatte mit dem Pflegepersonal. Thema der Diskussion ist der Essensplan. Herr Ötztürk möchte sich trotz seines stationären Aufenthalts an die Regeln des Ramadans halten. Die Krankenschwester, die mit der Auseinandersetzung überfordert ist, bittet den Arzt um Hilfe.

In Westeuropa leben heute 14 Millionen Muslime, mehr als drei Millionen davon in Deutschland. Manche Arztpraxen behandeln bis zu 30 Prozent Muslime. Dass man hier auf sprachliche und kulturelle Verständigungsschwierigkeiten stößt, liegt nahe.

Ilhan Ilkilic, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Universität Mainz, erforscht seit vielen Jahren typische Konfliktfelder zwischen muslimischen Patienten und Ärzten in Deutschland.

Er erklärt, dass viele Menschen um Probleme, die sich auf der sprachlichen Ebene abspielen, wüssten: "Bis heute aber werden ethische Probleme in der Behandlung muslimischer Patienten außer Acht gelassen."

Von streng gläubig bis losgelöst

Die Tatsache, dass Muslime keine homogene Gruppe in Deutschland sind, erschwert den Umgang mit muslimischen Patienten. Manche sind streng gläubig, andere haben sich mehr oder weniger von ihrer Religion losgelöst.

Ilkilic beschreibt drei Konfliktfelder, auf denen sich Probleme zwischen Patienten des islamischen Glaubens, Ärzten und Pflegepersonal abspielen. Eines der größten Probleme sind Verständigungsschwierigkeiten auf der sprachlichen Ebene. In den meisten Fällen sind es Familienangehörige, die dem Arztbesuch beiwohnen.

Dabei bleibt jedoch die Frage offen, ob der Angehörige - aus unterschiedlichen Gründen - dem Patienten auch die Wahrheit sagt. Manchmal möchten Familienangehörige den Kranken vor der Wahrheit bewahren und übersetzen bewusst falsch. Frau Hamideh Ünal, Psychotherapeutin im Zentrum für Folteropfer in Köln, beschreibt eine Situation, der ein Dolmetscher beiwohnt, als extrem schwierig für Arzt und Patient gleichermaßen: "In solch einem Umfeld Vertrauen aufzubauen, ist fast aussichtslos."

Heikles Thema: Körperkontakt

Ein weiteres Problem das Ilkillic sieht, ist das Überschreiten der Intimsphäre in Untersuchungssituationen. Muslime vermeiden den Körperkontakt zum anderen Geschlecht. Gläubige Frauen verhüllen ihren Körper vor den Blicken von Männern.

Der iranische Gynäkologe Dr. Khosravie aus Bergisch Gladbach berichtet von Patientinnen, die sich zwar für die Untersuchung entblößen, dabei aber nicht ihr Kopftuch ablegen. "Traditionellere Muslime suchen meine Praxis erst gar nicht auf." Für manche Männer ist das Waschen am Krankenbett durch eine Schwester schlimmer als die Krankheit selbst. Darum sollten hier Behandlung und Pflege, wenn organisatorisch möglich, von gleichgeschlechtlichen Ärzten und Pflegern angeboten werden.

Das dritte Konfliktfeld sind, wie das Beispiel Karim Ötztürk zeigt, die Speisevorschriften des Islam. In den meisten Krankenhäusern gibt es heutzutage zwar alternative Angebote zu Schweinefleisch, allerdings enthalten bestimmte Medikamente Produkte vom Schwein oder Alkohol. Hinzu kommt, dass das Fasten sich nicht nur auf die Art der Speisen bezieht, sondern auch auf die Tageszeit, zu der man die Nahrung zu sich nimmt. Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang wird im Fastenmonat Ramadan auf flüssige und feste Nahrung verzichtet.

Ramadan im Krankenhaus?

Der Koran schließt Kranke zwar ausdrücklich von der Fastenpflicht aus, lässt aber offen, ab wann ein Gläubiger als krank einzustufen ist. Hier entstehen oft auch Konflikte für den Patienten. In diesem Fall könnte er von einem Imam beraten werden. So könnte er nicht nur medizinisch, sondern auch religiös über die Folgen seiner Entscheidung aufgeklärt werden.

Arif Ünal, Leiter des Gesundheitszentrums für Migranten, wünscht sich eine Gebetskapelle für muslimische Patienten in Krankenhäusern: "Jeder Christ in Deutschland hat die Möglichkeit, sich in einem Krankenhaus in die Gebetskapelle zurückzuziehen. Warum wird dies nicht auch muslimischen Patienten zugestanden?"

Seiner Meinung nach müssten Ärzte sich stärker mit dem muslimischen Glauben beschäftigen, um so Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Gleichzeitig kann dem Patienten aber auch nur geholfen werden, wenn er dem Arzt seine Wertvorstellungen und Bedürfnisse mitteilt.

Ein kleiner Schritt, der zu einer besseren Verständigung zwischen Arzt und ausländischem Patient führen soll, ist der vor zwei Jahren eingerichtete Dolmetscherpool in Berlin. Das Projekt wurde von der Europäischen Union gegründet, um medizinischen und sozialen Einrichtungen zu ermöglichen, sich im Bedarfsfall Dolmetscher anzumieten. Die Kosten werden von der jeweiligen Institution getragen.

Golrokh Esmaili

© Qantara.de 2005

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