Eine Gegenöffentlichkeit zum medialen Mainstream

Muslimische Blogger bieten alternative Meinungen und Sichtweisen über den Islam in Deutschland. Sie korrigieren so das Bild der Muslime, wie es in traditionellen Medien vorzufinden ist. Von Canan Topçu

Von Canan Topçu

Rukiye Dogan bloggt sporadisch. Anfangs hat sie nur das festgehalten, was sie im Alltag wahrgenommen, in ihrem Umfeld beobachtet oder entdeckt hat. "Es gibt so viele Geschichten auf den Straßen, man muss sie nur einfangen", sagt die junge Bloggerin. Doch zu den "Geschichten von der Straße" kommen auf ihrer Seite "rukblick" immer mehr andere Themen hinzu. Neuerdings richtet Rukiye Dogan ihr Augenmerk auf Politisches. Mancher Anlass dränge geradezu zum Bloggen.

Solch ein Anlass war beispielsweise im Frühjahr 2013 eine Sendung von Günther Jauch. "Im Namen Allahs – was tun gegen Deutschlands Gotteskrieger?" war der Talk im ARD-Fernsehen betitelt. Die Gäste, die Gespräche und die ihrer Ansicht nach misslungenen Moderation wollte Rukiye Dogan nicht unkommentiert lassen. Also setzte sie sich hin und schrieb einen Leserbrief an die Redaktion; veröffentlicht hat sie ihn allerdings nur auf ihrem Blog.

"Nicht emotional reagieren oder religiös argumentieren"

Die Debatten rund um den Islam in Deutschland interessieren die junge Frau aus privaten, aber auch aus professionellen Gründen. Sie kam als Tochter türkischer Gastarbeiter in Hamburg zur Welt, ist religiös erzogen worden und lebt ihren Glauben auch für andere sichtbar.

Eine türkische Frau schreibt im Schulungsraum der interkulturellen Frauenbegegnungsstätte "verikom" in Hamburg-Wilhelmsburg das Wort "Integration" an die Tafel; Foto: dpa/picture-alliance
Die Blogs von in Deutschland lebenden Muslimen seien auch als Reaktion auf die Integrationsdebatten in Deutschland und die Darstellung von Muslimen in den deutschsprachigen Mainstreammedien zu verstehen, meint die Medienforscherin Stine Eckerts.

In ihrem Blog "drängt sich der Islam aber nicht in den Vordergrund", sagt die 28-Jährige. Gerade diesen Themen wolle sie sich auf professionelle Art widmen und "nicht emotional reagieren und religiös argumentieren", sagt Rukiye Dogan, die Journalismus und Politik studiert hat. Es ist aber nicht so, dass der Islam keine Rolle spielt in ihren Texten. "Sie schimmert durch, denn meine religiöse Haltung spiegelt sich ja auch in meinen Gefühlen und Lebenseinstellungen."

Anfangs hat Rukiye Dogan gebloggt, ohne Leser im Blick zu haben. "Ich veröffentlichte, weil ich Lust am Schreiben habe und mich ausprobieren wollte", erklärt sie. Inzwischen hofft sie, über ihren Blog eine größere Öffentlichkeit zu erreichen und den Weg in die Mainstream-Medien zu finden. Letztes ist auch das Motiv anderer muslimischer Blogger. Und manche von ihnen haben es denn auch tatsächlich geschafft.

Zu ihnen gehört Kübra Gümüsay, die zweifelsfrei die prominenteste muslimische Bloggerin Deutschlands ist. Die in Hamburg geborene Tochter türkischer Arbeitsmigranten begann als 19-Jährige auf ihrer Seite "ein fremdwörterbuch" zu bloggen – über Alltagsbeobachtungen, über ihre Sicht als Muslimin auf die Dinge in diesem Land und auf die Reaktionen des Umfelds auf sie als Kopftuchträgerin.

"Das Tuch" heißt denn auch die Kolumne, die die inzwischen 24-Jährige von April 2010 bis Mai 2013 in der "taz" veröffentlichte – anfangs noch unter ihrem Mädchennamen Yücel. Über die taz-Kolumne wurden andere Medien auf sie aufmerksam, es wurde viel über sie berichtet, sie saß mit Prominenten als Podiumsgast in Talkshows, ihr Blog wurde 2011 für den Grimme-Award nominiert und sie sprach vor zwei Jahren auf der Internetkonferenz re:publica. In ihrer letzten taz-Kolumne reflektiert sie ihre Erfahrungen als Muslima und unerfahrenen Schreiberin, die Texte für ein deutsches Medium liefert.

Gümüsays Vortrag inspirierte die Medienforscherin Stine Eckerts zu einer Untersuchung über muslimische Blogger in Deutschland. Die Ergebnisse ihrer Studie stellte Eckert wiederum auf der diesjährigen re:publica vor. Die Blogs seien auch eine Reaktion auf die Integrationsdebatten in Deutschland und die Darstellung von Muslimen in den deutschsprachigen Mainstreammedien.

Verengte mediale Debatten

Auf die Diskrepanz zwischen der medialen Darstellung und der tatsächlichen Integration macht übrigens auch die jüngst veröffentlichte Untersuchung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) aufmerksam. Darin wird festgestellt, dass die politischen und medialen Debatten zunehmend auf die "gescheiterte Integration der Muslime" verengt würden.

Die von Eckert befragten 28 Blogger gaben an, dass sie die neuen Medien nutzten, um miteinander zu diskutieren. Sie betonten aber auch alle, dass sie nicht unter sich bleiben, sondern dass sie in einen Dialog mit Nicht-Muslimen treten wollten. Medienforscherin Eckert stellt fest, dass die muslimischen Blogger eine Gegenöffentlichkeit zu den traditionellen Medien schaffen.

Kübra Gümüsay; Foto: Kübra Gümüsay
Kübra Gümüsay, die zweifelsfrei die prominenteste muslimische Bloggerin Deutschlands. Ihr Blog wurde 2011 für den Grimme-Award nominiert und sie sprach vor zwei Jahren auf der Internetkonferenz re:publica.

Die Community der muslimischen Blogger wächst und wer auf eine Seite gelangt ist, wird über das sogenannte Bloggroll auf andere hingewiesen und kann weiterstöbern in den Texten, die von Muslimen geschrieben sind, sich aber nicht alle auf religiöse Themen konzentrieren.

Gegen Klischees und Zerrbilder

Da sind die, die über den "wahren Islam" aufklären wollen, und die, die über ihren Alltag schreiben, Klischees aufbrechen und Einblick in ihr Leben und ihre Ansichten eröffnen möchten. Das unterscheidet sie von der Berichterstattung in den Massenmedien. Und es gibt eben die, die auf die Mainstreammedien reagieren und ihre Standpunkte artikulieren.

So notierte etwa Akif Sahin, der sich selbst als "einflussreichen muslimischen Blogger innerhalb der deutschen Netzgemeinde" vorstellt, nach der Lektüre eines Artikels in der Frankfurter Sonntagszeitung: "Der Leitartikel von Jasper von Altenbockum mit dem Titel 'Islamkonferenz: Zumutungen des Rechtsstaates' ist nichts weiter als ein Freifahrtschein für Rassismus und Islamfeindlichkeit. Mit diesem Text wird der Mord an den NSU-Opfern relativiert und es wird indirekt den Opfern die Schuld für eine menschenverachtende Gesinnung, die zu Mord und Totschlag geführt hat, gegeben."

Viele schreiben aus der Perspektive, Teil dieser Gesellschaft zu sein, und wollen über ihre Blogs vermitteln, dass sie als Muslime nicht anders als Nicht-Muslime sind. Anders als ihr Image sind sie aber schon, wie der Blick auf Blogs wie von Kevser Erol, Eren Güvercin, Hakan Turan, Sümeyye Demir, Emran Feroz und Amitaf deutlich macht: Sie sind jung, akademisch gebildet, gesellschaftlich und politisch interessiert und haben etwas zu sagen.

Sie schaffen über die neuen Medien eine eigene, positiv definierte Identität; sie teilen ihre Gedanken und Ansichten mit. Imran Feroz etwa schreibt, dass er "weder einer Partei, noch irgendeiner Gruppierung" angehöre und in seinem Blog "seine Gedanken zu verschiedensten Themen teilen" wolle.

Das stimmt aber nicht ganz: Der Blogger stellt nämlich auch "sämtliche Artikel (...) vollständig oder in Auszügen für Zweitveröffentlichungen und Zitate frei zur Verfügung, wenn auf die Originalquelle verwiesen wird". Er wiederum hat auf seinem Blog zu den Medien verlinkt, in denen Texte von ihm veröffentlicht wurden.

Manch ein Schreiber, dessen Artikel in einem journalistischen Medium erschien, definiert sich sogleich als Journalist. Ob mit oder ohne entsprechender Ausbildung: Zweifelsohne bieten muslimische Blogger alternative Meinungen und Sichtweisen zu muslimischem Leben. Sie korrigieren so das Bild der Muslime,  wie es in traditionellen Medien vorzufinden ist.

Canan Topçu

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de