Warum fürchtet der Westen den Islam?

Das neueste Werk von Jocelyne Cesari, der Direktorin des Programms "Islam im Westen" der Harvard-Universität, untersucht die Angst des Westens vor dem Islam. Cesari zählt Narrative auf, die den Diskurs in Europa und den USA dominieren und den Islam als fremdartige Religion präsentieren.

Von Jocelyne Cesari

Nicht erst seit gestern steht die Integration von muslimischen Einwanderern auf der Agenda der europäischen Länder. Aber frühestens in den letzten zehn Jahren stellte sich die Frage nach der zivilgesellschaftlichen Integration unter religiösen Gesichtspunkten.

Während sich die akademische Forschung in den 1960er und 1970er Jahren stark auf die sozio-ökonomische Integration von Muslimen konzentrierte, verlagerte sich ihre Aufmerksamkeit in der Zeit der zweiten und dritten Migrantengeneration auf deren politische Mobilisierung.

Durch die Rushdie-Affäre im Vereinigten Königreich und dem beginnenden Kopftuch-Streit in Frankreich im Jahre 1989 verschob sich der Mittelpunkt des Interesses darauf, ob islamische Symbole in der Öffentlichkeit legitim seien. Seitdem gedeiht die kontroverse Diskussion um die Sichtbarkeit dieser Symbole.

Islamische Symbole in der KritikKopftücher, Moscheen und Minarette werden mehr und mehr als Ablehnung oder gar Bedrohung westlicher demokratischer Werte aufgefasst.

In einer Kampagne 2006 gegen den Bau von Minaretten in der Schweiz sah man auf einem Plakat des Egerkinger Komitees eine Frau in Burka neben Minaretten stehen, welche von der Schweizer Flagge aus in Form von zerstörerischen Raketen gen Himmel starteten.

Diese öffentliche Wahrnehmung des Islams erreichte auch die USA durch Themen, wie die Scharia-Debatten, islamische Radikalisierung in Gefängnissen und der Kontroverse um die Moschee am Ground-Zero in New York im Sommer 2010.

Islamische Symbole werden nicht nur aus der Öffentlichkeit verbannt, sondern auch durch legale und administrative Prozesse so kontrolliert, dass sie in der westlichen politischen Kultur als "zivilisiert" oder angepasst wirken. Im April 2011 verbot die französische Regierung den Niqab und die Burka. Andere Länder wie Belgien und die Niederlande folgten dem französischen Beispiel 2011 und 2012.

Polarisierende Positionen

Aktivistinnen an einer Kundgebung zum Internationalen Tag der Frau in Lahore, 8.03.2013; Foto: Reuters
Fatal "Either or" approach: "On one hand, for most westerners, the burqa symbolizes total denial of freedom and of gender equality. On the other hand, for fundamentalist religious voices, the burqa symbolizes woman's dignity and her devotion to family values, opposed to the bikini seen as an objectification and degradation of the female body"

Dieser Kulturkampf wird jedoch auch auf muslimischer Seite gefochten. Der Salafismus als besondere Auslegung des Islams steht in deutlichem Kontrast zu westlichen Kulturen und Werten. Er befürwortet die Geschlechtertrennung und lehnt politische und zivilgesellschaftliche Versuche ab, den Westen nicht als fremdartiges Staatengebilde aufzufassen. Die Salafisten sind eine der sichtbarsten Gruppierungen im Islam, die versuchen bei Muslimen und Nicht-Muslimen den Eindruck zu vermitteln, dass der Salafismus der einzig wahre Islam sei.

Demnach stehen im Grunde genommen Islam und Westen in einem essenziellen Konfliktverhältnis und schaukeln sich gegenseitig auf. Den "Burka versus Bikini"-Gegensatz gebrauchen sowohl Islamophobe als auch muslimische Fundamentalisten. Er verhärtet die grundsätzliche Unvereinbarkeit beider Positionen in den Bereichen Politik, Kultur und interessanterweise auch in Bezug auf den weiblichen Körper.

Jocelyne Cesari; Foto: private copyright
Jocelyne Cesari, Senior Research Fellow at the Berkley Center for Religion, Peace and World Affairs, Georgetown University, Director of the Islam in the West Program, Harvard University

Dabei ist der Diskurs zwischen dem Islam und dem Westen gefangen in einer "entweder…oder"-Position. Bundespräsident Joachim Gauck illustrierte das wohl unbewusst, als er sagte, dass Muslime in Deutschland leben können, aber nicht, wie sein Vorgänger Christian Wulf behauptete, dass Muslime zu Deutschland gehören.

Muslim und Staatsbürger in einer Person

Mein Buch "Warum fürchtet der Westen den Islam? – Eine Untersuchung von Muslimen in liberalen Demokratien stellt empirische Datensammlungen von Befragten vor, die ich in Paris, London, Berlin und Boston im Zeitraum von 2007 bis 2012 begleitet habe. In dieser Hinsicht stellt das Buch die erste systematische und komparative Studie bezüglich des politischen Verhaltens von Muslimen in Westeuropa und in den USA dar.

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung ist die unstrittige Tatsache, dass Muslime sich als Staatsbürger fühlen, wobei jedoch in Europa oft noch von einer Dichotomie ausgegangen wird, die zu Missverständnissen und Konflikten führt. Die Studie macht deutlich, dass Muslime keine Unvereinbarkeit von religiöser Identität und Staatsbürgerschaft sehen.

Generell lässt sich festhalten, dass die bislang oft nur symbolische Integration von Muslimen in den europäischen Nationalstaaten einen deutlichen Wandel erfahren muss. Es ist eine gewaltige, jedoch machbare Aufgabe.

Jocelyne Cesari                     

Übersetzung aus dem Englischen von Juliane Metzker

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Jocelyne Cesari: "Why the West fears Islam? – An Exploration of Muslims in Liberal Democracies", Palgrave Macmillan, Juli 2013, ISBN: 978-1-4039-6953-8, 404 Seiten