Hoffnung für die Rohingya in Den Haag?

Die ersten Anhörungen am Internationalen Gerichtshof spiegeln die verhärteten Positionen in der Rohingya-Krise wider. Vielleicht trägt der Prozess endlich dazu bei, die Fronten aufzuweichen, meint Rodion Ebbighausen.

Von Rodion Ebbighausen

Zwei Tage mit Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen, in Den Haag sind vorbei. Beide Parteien - Gambia und Myanmar - konnten zu dem Vorwurf Stellung nehmen, dass sich Myanmar eines Völkermords an den Rohingya schuldig gemacht habe. Aktuell geht es darum, ob das Gericht vorläufige Maßnahmen zum Schutz der Rohingya anordnet oder nicht. Ein Beschluss wird nach einer weiteren Runde Anhörungen in den kommenden Wochen erwartet.

Das Hauptverfahren, das dann die Frage des Völkermords abschließend klärt, wird erfahrungsgemäß einige Jahre benötigen, um zu einem Urteil zu gelangen.

Abbild der politischen Fehlentwicklungen

Die ersten beiden Tage des Prozesses spiegeln auf juristischer Ebene, was politisch seit vielen Jahren falsch läuft: Die Vertreter Gambias sehen sich als moralisch überlegen. Abubacarr Marie Tambadou, der Vertreter Gambias vor dem Gerichtshof, führte ein oft dem irisch-britischen Schriftsteller Edmund Burke zugeschriebenes Zitat an: "Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen." Gambia hat keinen Zweifel daran, dass ein Völkermord stattgefunden hat und weiter stattfindet. Oder jederzeit wieder stattfinden kann. Es beruft sich dabei vor allem auf einen umfangreichen Bericht der Fact-Finding-Mission der Vereinten Nationen.

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wiederum wies den Vorwurf des Völkermords zurück. Die Lage im betroffenen Rakhine-Staat sei komplex und Gambia zeichne ein "unvollständiges und irreführendes Bild".

Als Vertreterin Myanmars räumte sie jedoch ein: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einigen Fällen übermäßige Gewalt von Angehörigen der Streitkräfte im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht angewandt wurde." Etwaige Verstöße würden Gerichte in Myanmar aufarbeiten und ahnden. Das ist zweifelhaft, zumal im einzigen bisher verhandelten Fall kurze Zeit später eine Begnadigung der Täter ausgesprochen wurde.

Im Gericht wiederholt sich somit die Tragödie der zurückliegenden Jahre, deren Leidtragende die Rohingya sind: Auf der einen Seite steht Gambia, das sich unter Berufung auf die UN im Recht sieht. Auf der anderen Seite bunkert sich Myanmar ein in dem festen Glauben, aus Unverständnis ungerecht behandelt zu werden. 

Beide Parteien angreifbar

Doch nur zwei Tage vor dem höchsten UN-Gericht zeigen: Die Positionen beider Parteien sind angreifbar und bedürfen der Differenzierung. Es wird schwer, den Vorwurf des Genozids fast auschließlich auf Grundlage des UN-berichts zu beweisen.

Der Tatbestand des Völkermord ist im internationalen Recht nämlich sehr eng gefasst. Gambia müsste beweisen, dass Myanmar die Absicht hatte, die Gruppe der Rohingya in Teilen oder als Ganzes zu zerstören. Da eine derartige Absicht weder aus offiziellen Dokumenten noch aus Äußerungen der Regierung Myanmars hervorgeht, muss sie indirekt über die Ereignisse im Rakhine-Staat nachgewiesen werden.

Ehrenformation der Streitkräfte Myanmars bei einer Militärparade zum Unabhängigkeitstag des Landes; Foto: picture-alliance/Zumapress
Myanmars Armee im Zwielicht: Die US-Regierung hatte im vergangenen Juli wegen der gewaltsamen Unterdrückung der muslimischen Rohingya-Minderheit in Myanmar Sanktionen gegen hochrangige Militärs in dem südostasiatischen Land verhängt. Die Maßnahmen richteten sich gegen Militärchef Min Aung Hlaing, seinen Stellvertreter, zwei Kommandeure sowie deren Familien.

Dabei gilt: Es darf keine andere Erklärung möglich sein, als dass Myanmar einen Genozid an den Rohingya beabsichtigt hat. Nun findet sich aber auch in UN-Dokumenten die Ansicht, dass Myanmars Regierung und Armee in der Absicht gehandelt haben, ethnische Säuberungen vorzunehmen. Ebenfalls ein fürchterliches Verbrechen, aber eben kein Völkermord. 

Myanmar andererseits wird mit dem Verweis auf die komplexe Lage im Rakhine-Staat und der Erklärung, dass die Flucht von 700.000 Rohingya eine unbeabsichtigte Folge der Aufstandsbekämpfung gewesen sei, nicht einfach davonkommen.

Mit Schwarz-Weiß-Denken in die Sackgasse

In den Anhörungen verwies sogar ein Anwalt Myanmars darauf, dass zeitgleich ja Ermittlungen am dafür zuständigen Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen gegen Myanmar eingeleitet wurden. Er wollte darauf hinaus, dass es sich folglich nicht gleichzeitig um einen Völkermord handeln könne.

Womöglich wird es Myanmar gelingen, dem Vorwurf des Genozids vor dem IGH wegen seiner engen juristischen Definition zu entgehen. Aber der Verweis auf ethnische Säuberungen deutet schon an, dass Myanmar sich der juristischen Aufarbeitung der Ereignisse im Rakhine-Staat nicht wird entziehen können.

Die Anhörungen am IGH zeigen damit in besonders deutlicher Weise, dass das simple Schwarz-Weiß der vergangenen Jahre eine Sackgasse ist. Weder die moralisierenden Anschuldigungen gegen Myanmar, noch die offensichtlich falschen Unschuldsbeteuerungen Myanmars führen irgendwohin.

Schon gar nicht helfen sie den Rohingya, die darauf angewiesen sind, dass die Parteien in einen Dialog kommen und in kleinen Schritten an konkreten Lösungen arbeiten.

Rodion Ebbighausen

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