Wort zum Freitag

Mehmet Daimagüler, Mitglied im Bundesvorstand der FDP, beklagt das Misstrauen der deutschen Bevölkerung gegenüber ihren muslimischen Mitbürgern. Die Rolle des Islam in Deutschland müsse endlich geklärt werden.

Mehmet Daimagüler, Mitglied im Bundesvorstand der FDP, beklagt das Misstrauen der deutschen Bevölkerung gegenüber ihren muslimischen Mitbürgern. Bei drei Millionen Muslimen sollte die Rolle des Islam in Deutschland geklärt werden und die verschiedenen Religionsgemeinschaften aufeinander zugehen.

Mehr als drei Millionen Muslime leben in Deutschland, die meisten sind türkischer Herkunft. Nach den Anschlägen vom 11. September in New York und nach dem 11. März in Madrid schlägt ihnen Mißtrauen entgegen. Dies ist kein vages Gefühl, sondern auch persönliche Erfahrung: Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, dennoch beschmierten Unbekannte zum Beispiel meine Wahlplakate mit dem Wort "Schläfer".

Bürgerinnen und Bürger dieses Landes muslimischen Glaubens stehen unter Generalverdacht. Das Klima des Zusammenlebens ist rauher geworden. Gerade Muslime türkischer Abstammung reiben sich erschrocken die Augen.

Richtig, die künftige Rolle des Islams in Deutschland ist ungeklärt. Das beweisen die Kontroversen um Kopftuch, islamischen Religionsunterricht, Schächten, Moscheebau und vieles mehr. Quellen gesellschaftlicher Unruhe waren sie dennoch nie.

Türken gegen Steinzeitislam

Fällt es niemandem auf, daß kein einziger aus der Gruppe der Hamburger Terroristen türkischer Herkunft war, sondern allesamt arabischer Abstammung?

In der Türkei herrscht der Sufismus, eine die Welt und das Diesseits betonende Strömung des Islams. Die Engstirnigkeit saudiarabischen Wahhabismus oder gar der Steinzeitislam afghanischer Taliban wird von den meisten Türken, egal ob in Istanbul oder Kreuzberg, verabscheut und abgelehnt. Auch Atatürk und der von ihm geprägte Säkularismus sind ein wichtiger Grund für das andere Islamverständnis am Bosporus.

Zudem haben der israelisch-arabische Konflikt einerseits und die politisch-ökonomische Rückständigkeit arabischer Führungen andererseits weite Teile der arabischen Welt fanatisiert. Viele Türken kritisieren sehr wohl die Politik Scharons, haben aber dennoch historisch gewachsen viel Sympathie für Israel und seine Menschen.

Ein Weiteres fällt auf: Keiner der islamistischen Terroristen war in Deutschland wirklich zu Hause. Sie waren Gaststudenten. Für diese Extremisten war Deutschland nur ein Ruhe- und Rückzugsraum, für die meisten Muslime in Deutschland, türkisch- wie arabischstämmig, ist Deutschland aber viel mehr, es ist unsere Heimat. Wer führt Krieg gegen die eigene Heimat, gegen die Heimat der eigenen Kinder?

Büßen für die Verbrechen anderer

Mit Ohnmacht büßen wir jetzt für die Verbrechen anderer. Was sollen wir tun? Wenn Lichterketten helfen, so sind wir gerne dazu bereit, aber mit dem unguten Gefühl, uns von Menschen zu distanzieren, denen wir nie nahegestanden haben. Soll ich mich mit einem Ägypter oder Marokkaner identifizieren, der in Madrid Frauen und Kinder umgebracht hat, nur weil er wie ich ein Muslim ist?

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich kann es unter den mehr als drei Millionen türkischstämmigen Menschen auch radikale Islamisten geben. Niemand kann für das Gegenteil die Hand ins Feuer legen. Aber in den islamistischen Terror an vorderster Front war keiner verwickelt.

Kaplan als Spielball der Politik

Auch Herr Kaplan liefert keinen Beleg für die Radikalisierung der türkischen Minderheit. Er steht für eine kleine Gruppe in der türkischen Gemeinde. Er ist das Produkt des Versagens deutscher Innenpolitik seit zwei Jahrzehnten, der Verwechslung von Liberalität und Ignoranz - eine Gefahr wie die Täter des 11. September war er dennoch zu keinem Zeitpunkt.

Jetzt ist er ein Spielball der Politik, an dem ein jeder sein Versagen kaschieren und sein Mütchen kühlen kann. Die einzigen, die in Wirklichkeit Schaden vom Treiben dieses grotesken Karneval-Kalifen und von der Blindheit deutscher Politik davongetragen haben, sind wir Türkischstämmigen in Deutschland und unsere Reputation.

Eins sei dennoch gesagt, auch wenn es schwerfällt zu hören: Die Politik hat beim Fall Kaplan Fehler gemacht, nicht die Justiz. Anstatt sich über die Gerichte zu beschweren, sollten wir auf unseren Rechtsstaat stolz sein. Es sind doch Gesetze und Gerichte, die uns von einer Räuberbande unterscheiden. Und wer heute Herrn Kaplan Recht und Gesetz verweigert, wird morgen Herrn Müller nicht Recht und Gesetz gewähren können.

Islam ist deutsche Realität

Wie soll es nun weitergehen? Der Islam wird weniger und weniger zu einem "Ausländerphänomen" und mehr und mehr zu einer deutschen Realität. Beide Seiten müssen sich dazu bekennen. Für die Vertreter der muslimischen Seite bedeutet dies vor allem ein klareres Bekenntnis zu diesem Land und zu dessen Werten - und zwar ohne Wenn und Aber.

Auch die "deutsche" Seite muß sich bekennen. Türken werden zu Deutschen, aber sie bleiben Muslime. Es gibt keinen Grund, sie besser oder schlechter zu behandeln.

In Baden-Württemberg alle religiösen Symbole in Schulen zuzulassen und nur das muslimische Kopftuch zu verbieten erscheint uns als Akt staatlich verordneter Diskriminierung, die - Allah, Gott und unseren Verfassungsvätern und -müttern sei Dank - vor den Gerichten keinen Bestand haben wird.

Es ist an der Zeit, daß sich der Islam in der deutschen Wirklichkeit wiederfindet. Wir brauchen islamische Theologen, die an deutschen Universitäten auf Grundlage unserer Verfassungsordnung ausgebildet werden. Ich möchte nicht, daß muslimische Kinder in obskuren Hinterzimmern Islamunterricht erhalten, sondern an staatlichen Schulen von hier ausgebildeten Religionslehrern.

Und warum nicht ein "Wort zum Freitag" im öffentlich- rechtlichen Rundfunk, in deutscher Sprache? Es wäre auch eine Gelegenheit für viele christliche Deutsche, mehr über den Glauben ihrer muslimischen Nachbarn zu erfahren. Wir müssen aufeinander zugehen, bevor das Mißtrauen unsere Gesellschaft vergiftet.

Mehmet Daimagüler

Der Verfasser ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP.

© Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2004

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