Sudans Streicher und Synthesizer

"Two Niles to Sing a Melody" ist nicht nur eine Song-Kompilation aus der Blütezeit der populären Musik im Sudan der 1970er Jahre. Das Album enthält auch äußerst aufschlussreiche Berichte von Zeitzeugen und Musikern, welche die nachfolgende kulturpolitische Säuberungswelle überlebt haben. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Die zeitgenössische Geschichte des Sudan ist wohl genauso kompliziert wie die jedes anderen postkolonialen afrikanischen Landes auch, wenn nicht sogar komplizierter, weil der Sudan vor der Unabhängigkeit gleich drei Kolonialherren hatte: die Osmanen, die Ägypter und schließlich die Briten. Dieser chaotische historische Umstand hat die soziale und kulturelle Struktur des Landes nachhaltig geprägt und wohl auch die spätere Spaltung des Landes in Nord- und Südsudan verursacht. Auch wurde damit der Grundstein für den ersten Staatsstreich im Jahr 1969 unter der Führung von Oberst Dschafar Muhammad an-Numairi gelegt.

Der charismatisch auftretende Numairi verstand es zu Beginn seiner Herrschaft, die Herzen seines Volkes zu gewinnen, um schließlich die Macht im Staat an sich zu reißen. In kultureller Hinsicht förderte er anfangs gezielt die Entwicklung einer populären Musikszene nach sozialistischem Vorbild, die die Massen ansprechen sollte. Mit Unterstützung der chinesischen und nordkoreanischen Regierung wurden damals Theater gebaut und Musiker ausgebildet.

Doch die Musik der 1970er Jahre, die damals von unabhängigen Künstlern entwickelt wurde, folgte keinem bestimmten politischen Dogma. Und sie entstand auch keinesfalls aus dem Nichts. Denn der Sudan blickt auf eine lange Tradition populärer Musik zurück, die bis in die 1930er Jahre zurückreicht. Es war jedoch in der Ära Numairis, als die Musik des Landes aufzublühen begann, vor allem in der neuen Hauptstadt Khartum. Laut sudanesischen Zeitzeugenberichten war die Musik dort an fast jeder Straßenecke allgegenwärtig.

Der politische Islam gewinnt die Oberhand

Leider war diese Zeit der kulturellen Blüte nur von kurzer Dauer. Denn mit dem Aufkommen militanter und extremistischer Gruppen in der islamischen Welt begann Numairi Anfang der 1980er Jahre deren intoleranten Ansichten zu übernehmen. Allerdings reichte am Ende selbst die Einführung einer Gesetzgebung zur Zensur von Musiktexten nicht mehr aus, um den unpopulär gewordenen Staatschef an der Macht zu halten. Numairi wurde 1986 durch einen Putsch gestürzt, der den derzeitigen Führer des Sudan, Omar Al Bashir, an die Macht katapultierte.

Immer mehr sudanesische Musiker begannen in den 1980er Jahren allmählich das Land zu verlassen, als die Führung eine zunehmend restriktivere Kulturpolitik verfolgte. Anfang der 1990er Jahre wandte sich die politische Führung erstmals offen gegen unabhängige Musikschaffende und die gesamte damalige Popularmusik-Szene. Die Restriktionen waren schon in den 1980er Jahren drastisch, die neuen Gesetze zu Beginn der 1990er Jahre waren es jedoch noch mehr. Lieder, die nicht das neue Regime verherrlichten oder gar das Volk im Südsudan verteufelten, wurden fortan verboten. Es kam zu Verhaftungen und Folterungen von Musikern. Was folgte war ein Exodus der sudanesischen Kulturschaffenden.

Dokumentation eines musikalischen Erbes

Beim Hören von "Two Niles to Sing a Melody" wird man in die Blütezeit der Musik im Sudan zurückversetzt. Die meisten der insgesamt 16 Songs stammen von Aufnahmen, die ursprünglich in den 1970er Jahren in Khartum gemacht wurden. Leider konnte auch nicht mit besten technischen Mitteln die zum Teil mangelhafte Tonqualität der Aufnahmen von vor 50 Jahren zufriedenstellend behoben werden. Der bisweilen schlechte Sound stellt jedoch keinesfalls die klangliche Qualität und Vielfalt der damaligen Musik in Abrede.

Wie der Titel des Albums schon sagt, spielten in der damaligen sudanesischen Populärmusik insbesondere Streicher und Synthesizer eine wichtige Rolle. Sie kreierten einen fantastischen, epischen Klangteppich, über denen die Stimmen der Sänger geradezu schwebten. Die intensiven Perkussion-Elemente und die Rhythmen sind wahrscheinlich das Erste, was einem beim Hören der Compilation auffällt.

Ein Beispiel ist der Intro-Song "Al Bareedo Ana" (The One I Love) von Emad Eldin Youssef: Er beginnt mit einem ansteckenden Beat von so rhythmischer Intensität, dass man sich lebhaft vorstellen kann, welche Dynamik er auf der Tanzfläche entfaltet haben musste. Später setzen Streicher und elektrische Instrumente ein, die mit ihren inspirierenden Klängen einen ganz eigenen Sound erzeugen. Und mit Youssefs Stimme, die über allem zu schweben scheint, ist das Füllhorn der Musik in seiner Intensität komplett und faszinierend zugleich.

Rückkehr und Siegeszug der Kulturschaffenden

Die Dynamik der Musik weckt bisweilen sogar Reminiszenzen an Bollywood-Klänge bis hin zu traditionellen Klängen aus der arabischen Welt. Ersteres fällt insbesondere bei Sängerinnen wie Hanan Bulubulu mit ihrem Song "Alamy Wa Shagiya" (My Pain and Suffering) und Samira Dunia mit "Galbi La Tahwa Tani" (My Heart, Don't Fall in Love Again) auf.

Die sudanesische Sängerin Hanan Bulubulu; Quelle: YouTube
Soaring vocals to an infectious beat: recordings of the musicians on this album are still some of the most sought after in the Gulf states. As music begins to make a comeback in Sudan, this compilation represents more than merely an historical document

"Two Niles to Sing a Melody" (der Titel bezieht sich auf die beiden Arme des Nils – den blauen und den weißen Nil, die Khartum umfließen) ist eine wertvolle historische Aufzeichnung einer vitalen Musikszene, deren Einfluss sich über Afrika und die arabische Welt erstreckt.

Nicht ohne Grund gehören die Aufnahmen dieser Musiker bis heute zu den gefragtesten in den Golfstaaten. Da die Populärmusik im Sudan derzeit ein großes Comeback feiert, ist diese Zusammenstellung wohl auch mehr als nur ein historisches Dokument.

Und es ist kein Wunder, dass mit diesen dynamischen Klängen die Nächte in Khartum heute wieder lebendig geworden sind. Gegenwärtig beobachten wir in der sudanesischen Hauptstadt wieder Bands, wie sie auf diesem Album zu hören sind. Sie spielen auf Hochzeiten und anderen Feiern - Musik ist auf den Straßen wieder fast alltäglich geworden, Klangwelten, die die Menschen beflügeln.

Ein Teil ihrer Songs stammt noch aus dem Repertoire der Musiker aus den 70er Jahren, doch auch die jüngere Generation verschafft sich mit ihren neuartigen Musikkreationen mehr und mehr Gehör in der sudanesischen Öffentlichkeit.

Richard Marcus

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