Besser verbieten

Murat Kurnaz hat mit seiner Aussage vor dem Berliner Untersuchungsausschuss hochrangige Politiker in Erklärungsnot gebracht. Sein Buch bringt auch seine Leser in Bedrängnis: Wie können sie Zuschauer bleiben angesichts von Folter und Willkür? Julia Gerlach hat es gelesen.

​​Es gibt Bücher, die sollte man besser verbieten. Man sollte sie aus dem Verkehr ziehen, weil sie junge Menschen dazu bringen könnten, in den bewaffneten Kampf zu ziehen. Das Buch von Murat Kurnaz: "Fünf Jahre meines Lebens", das gerade bei Rowohlt Berlin erschienen ist, gehört dazu.

Nicht, weil der Autor Propaganda verbreitet oder junge Muslime zu den Waffen ruft. Das Buch ist sicherheitsgefährdend, weil Kurnaz sehr realistisch und glaubwürdig beschreibt, was ihm angetan wurde.

Wenn es Gründe gibt, weshalb junge Menschen in der islamischen Welt auf die Idee kommen, den Westen zu hassen, dann sind es in vielen Fällen nicht die westlichen Werte, Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie. Abu Ghraib und Guantanamo, da wo der Westen seinen Prinzipien untreu wird, da zieht er den Hass auf sich.

Interessierte Zeitungsleser wissen, was in den US-Gefängnissen von Bagram und Kandahar geschehen ist. Die Foltermethoden: Gefangene tagelang an Handschellen nackt von der Decke hängen zu lassen, Essens- und Schlafentzug, Waterboarding - darüber haben sie gelesen.

Murat Kurnaz erzählt in seinem Buch, wie sich ein Mensch fühlt, dem so etwas angetan wird. Wie es ist, wenn der Kopf in ein Wasserbecken gedrückt wird, bis man denkt, dass man ertrinkt und einem der Gefängniswärter dann in den Magen tritt.

In den Mühlen internationaler Politik

Murat Kurnaz beschreibt die Folter, als wäre nur sein Körper daran beteiligt gewesen, fast abwesend erscheint der Ich-Erzähler. Er wusste nicht, was mit ihm geschieht, und daran hat sich bis heute wenig geändert.

"Ich kann langsam begreifen, wie ich damals in die Mühlen großer internationaler Politik geriet, obwohl ich viele Zusammenhänge immer noch nicht ganz verstehe. Ich begreife aber auch, dass ich seit meinen Aussagen vor dem Berliner Untersuchungsausschuss schon wieder in die Mühlen der Politik geraten bin, ohne dass es meine Absicht wäre", dieser Schlüsselsatz steht ganz am Ende seines Berichtes.

Fünf Jahre lang haben US-Soldaten, KSK-Beamte, türkische Polizisten, amerikanische Militärrichter und deutsche Staatsanwälte vergeblich versucht, Murat Kurnaz eine Zugehörigkeit zum Terrornetzwerk Al Qaida oder zumindest eine Gefährlichkeit nachzuweisen, und sind damit gescheitert.

Da sollte man eigentlich meinen, die Unschuld des 25-jährigen Deutschtürken sei erwiesen. Dennoch erweckt der Mann mit dem langen Bart weiterhin Misstrauen. Man fragt sich: Wenn er unschuldig war, wieso reiste er dann im Herbst 2001 nach Pakistan?

Hinwendung zum Islam

In seinem Buch versucht Kurnaz diese Frage zu beantworten: Er habe beobachtet, wie viele seiner Bremer Freunde auf Abwege gerieten: Drogen und Kriminalität. Er wandte sich daraufhin dem Islam zu und heiratete eine sehr gläubige Frau. Da stellte er fest, dass ihm Wissen und Glaubenspraxis fehlten, um ihr ein guter muslimischer Ehemann zu sein.

Da es in den Bremer Moscheen viel zu lange gedauert hätte, alles zu lernen, habe er sich für einen Crash-Kurs in Pakistan entschieden. In Peschawar wurde er von Soldaten aufgegriffen, die ihn dann für 3000 Dollar an das US-Militär verkauft hätten. So kam er zunächst nach Kandahar und später nach Guantanamo.

Sein Bericht liest sich so unwahrscheinlich naiv, dass er vermutlich stimmt. Wenn Ex-Innenminister Otto Schily oder Außenminister Walter Steinmeier weiterhin Zweifel an der Glaubwürdigkeit des so genannten "Bremer Taliban" säen, dann ist der Grund dafür wohl tatsächlich in den "Mühlen der Politik" zu suchen.

Geschlagen, isoliert und gedemütigt

Doch "Fünf Jahre meines Lebens" ist nicht nur ein Leidensbericht und eine Beteuerung der Unschuld. Murat Kurnaz beschreibt sehr detailliert den Alltag in Guantanamo. Es geht um die Grausamkeit, mit der Gefangene geschlagen, isoliert und gedemütigt werden.

Kurnaz beschreibt, wie die Gefangenen, die eigentlich nicht miteinander sprechen durften, einen Anführer wählten. Der Leser versteht, dass es wohl der Glaube und das Gemeinschaftsgefühl unter den Gefangenen als gläubige Muslime war, der ihnen die Kraft gab, zu überleben und nicht verrückt zu werden.

So erklärt sich, dass das einzige, was die Gefangenen wirklich aus der Fassung bringen konnte, Verunglimpfungen ihrer Religion sind. Mehrere Aufstände unter den Gefangenen beschreibt Kurnaz. Alle wurden ausgelöst durch Koranschändungen.

Es ist ein schwer zu ertragendes, zugleich unbedingt lesenswertes Buch. Es sollte jedoch – wie gesagt – besser verboten werden.

Wer Bücherverbote ablehnt und dafür das Prinzip der Pressefreiheit anführt, der sollte auch ein anderes typisch westliches Prinzip hochhalten: Das der Rechtsstaatlichkeit. Und er sollte etwas gegen das System Guantanamo, die Folter und die deutsche Beteiligung daran unternehmen. Nicht zuletzt aus Gründen der Terrorbekämpfung.

Julia Gerlach

© Qantara.de 2007

Murat Kurnaz: "Fünf Jahre meines Lebens – ein Bericht aus Guantanamo" Rowohlt Berlin. 2007.16,90 Euro

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