Diese Tat ist ein Zivilisationsbruch

Wenn Rechtsterroristen Dutzende Muslime erschießen, ist das genauso ein Angriff auf unsere Werte, als würden Islamisten ihn verüben. Die offene Gesellschaft muss sich dem entschieden entgegenstellen. Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Von Matthias Drobinski

Die Tat erscheint so fern, so unwirklich. In Christchurch in Neuseeland, auf der anderen Seite der Welt, schießen Mörder in zwei Moscheen Menschen nieder; Muslime, die sich dort zum Freitagsgebet versammelt hatten. Mindestens 49 sind tot.

Die Mörder sind Terroristen, rechte Terroristen. Ihr Überfall auf die betenden Muslime ist genauso ein Angriff auf die westlichen Demokratien, die Menschenrechte, den Pluralismus, wie es die Überfälle islamistischer Mörder auf Synagogen und Kirchen sind, auf Menschen in Cafés oder Redaktionen.

Das Attentat von Paris sei ein Angriff auf "unsere Lebensweise", hieß es nach dem 13. November 2015. Wenn der Satz damals galt, dann gilt er auch am 15. März 2019. Auch dieser Tag markiert einen Zivilisationsbruch.

Denn der Tatort mag fern sein, die Tat ist es nicht. Allein schon ihre Übertragung per Helmkamera ins Netz macht sie ubiquitär; das Pamphlet, mit dem offenbar die Attentäter sich selber bezichtigen, richtet sich gegen Muslime und Migranten, wo immer sie leben. Das wirkt. Auch wer in Deutschland als Muslim lebt, spürt an diesem Tag: Ich bin gemeint - ob ich nun fromm bin oder säkular; es ist auch egal, wie lange ich hier als guter Bürger lebe. Du sollst dich nicht sicher fühlen. Du sollst nicht heimisch sein.

Bis auf den rechtsextremen Rand sind auch die Nichtmuslime im Land entsetzt angesichts des Blutbades. Aber die Tat offenbart die feinen und doch so spürbaren Unterschiede zwischen dem Zorn der Nichtbetroffenen und dem, was jene beschleicht, die gemeint sind: Ist die Reaktion so, als wenn eine Synagoge oder Kirche betroffen wäre? Dies ist keine Frage nach der Aufrechnung. Sie horcht unruhig und auch ängstlich ins Land hinein und hofft auf Antwort.

 

Gewalt mit systemischen Ursachen

Nach den islamistischen Anschlägen gab es eine Reihe muslimischer Vertreter, die betonten, die Gewalt habe nichts mit dem Islam zu tun. Zu Recht ernteten sie Widerspruch.

Denn sehr wohl hat diese Gewalt auch systemische Ursachen, und eine davon ist ein Islamverständnis, das Gewalt rechtfertigt, Nichtgläubige als Menschen minderen Rechts begreift, Demokratie und Pluralismus als unmoralisch diffamiert.

Genauso muss nun nach den systemischen Ursachen und Rechtfertigungsmustern dieses Rechtsterrorismus gefragt werden, der nicht weniger ein weltweites Phänomen ist.

Und ja: Dieser Terrorismus hat auch seine Wurzeln in rassistischen Überlegenheitsideologien, im Hass auf den Islam und die Muslime, in der Vorstellung, dass alles, was als fremd angesehen und empfunden wird, nur minderes Existenzrecht hat.

So, wie der Hass auf "den Westen" weit über den Kreis der islamistischen Terroristen hinaus verbreitet ist und den Terror nährt, so ist der Hass auf "den Islam" ein Treibstoff des Terrors.

Beides braucht das klare, scharf vorgetragene und mit aller staatlichen Gewalt durchgesetzte Nein der offenen Gesellschaft.

Matthias Drobinski

© Süddeutsche Zeitung 2019