Blick in die Berberkultur

In dem gerade auf Deutsch erschienenen Roman des marokkanischen Schriftstellers Mohammed Khair-Eddine wird dem Leser die Welt der südmarokkanischen Berber näher gebracht. Mourad Kusserow stellt den Roman vor.

In dem gerade auf Deutsch erschienenen Roman "Es war einmal ein glückliches Paar" des marokkanischen Schriftstellers Mohammed Khair-Eddine wird dem Leser die Welt der südmarokkanischen Berber näher gebracht. Mourad Kusserow stellt den Roman vor.

Mohammed Khair-Eddine, Zeichnung von Aourik
Mohammed Khair-Eddine, Zeichnung von Aourik

​​Sein Name fällt immer, wenn man auf die marokkanische Literatur unserer Tage zu sprechen kommt: Mohammed Khair-Eddine. Dieser marokkanische Rimbaud, 1941 in der südmarokkanischen Berberstadt Tafraout geboren und 1995 in Rabat verstorben, war nicht nur ein kompromissloser Adept der "guérilla linguistique", sondern auch beseelt vom Glauben an eine mystische Autorität der Sprache.

1967 schaffte er mit dem roman-poème "Agadir" seinen literarischen Durchbruch auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, die die französischsprachige maghrebinische Literatur revolutionieren sollten.

Neben seinem lyrischen Œuvre hinterliess Khair-Eddine vor allem ein hochkarätiges Romanwerk, wobei alles, was aus seiner Feder floss, eine brillante Ramifikation des Agadir-Romans ist, in dem er mit einer bilderstürmenden Sprache und explodierenden Bildern die Gewalt des Erdbebens beschreibt, das die mondäne Atlantik-Stadt Agadir Ende Februar 1960 zerstörte.

Gleichzeitig formulierte er seine vehemente Kritik an der herrschenden Oligarchie, die den gesellschaftlichen Umbruch als Freibrief für die Durchsetzung egoistischer Interessen betrachtete; mittels revolutionärer Sprachkraft wollte er seine maghrebinischen Landsleute vor Aberglauben, Intoleranz und Unwissenheit warnen.

Ein altes Ehepaar in den Bergen

Im Mittelpunkt seines letzten Romans, der erst sieben Jahre nach seinem Tode in Frankreich erschien, steht ein "glückliches Paar", das seinen Lebensabend im Angesicht der majestätischen Bergwelt des Djebel Lekest verbringt, in einem paradiesischen Winkel, wo das Wetter und das Blau des Himmels den Rhythmus des Daseins bestimmen und wo von alters her gilt: "Solange die Brunnen voll sind, wird das Dorf leben."

Mit diesem Buch, das voller autobiografischer Reminiszenzen steckt, kehrt Khair-Eddine in die Welt des Antiatlas zurück, die er als Jugendlicher verliess, um in Agadir, Casablanca und dann im französischen Exil seinen Weg zu gehen - letztlich wohl auch auf der Flucht vor sich selbst. -

Der schlichte Alltag des "glücklichen Paars" - Bouchaib und "seine Alte", mit der er schon mehr als drei Jahrzehnte zusammenlebt, obwohl die Ehe kinderlos geblieben ist - wird bestimmt von den alltäglichen Teezeremonien und der Zubereitung der traditionellen Gerichte.

"Und er liebte nur sie, was gewaltig ist in einem Land, in dem man alle Frauen liebt. Er wusste der Liebe einen Sinn zu geben. Andere hätten, sobald sie gesehen hätten, dass sie keine Kinder haben würde, die unfruchtbare Ehefrau verstossen. Er nicht!"

Ein Gedicht in "Tifinagh"

Ein exotisches Reich der Phantasie tut sich dem Leser auf, wenn er den Gesprächen der beiden lauscht. Bouchaib, Berberdichter und Geschichtenerzähler, verbringt seine Tage damit, ein langes Gedicht zu Ehren eines wundertätigen lokalen Marabouts in "Tifinagh", dem Alphabet der Tuareg-Berber, zu verfassen.

Daneben lässt er nicht nur sein bewegtes Leben in den grossen Städten des Nordens Revue passieren, sondern erzählt von der Landung der Amerikaner 1942 in der Nähe von Casablanca und dem blutigen Kampf um die Unabhängigkeit Marokkos, von der Erdbebenkatastrophe in Agadir und dem Exodus der arbeitsfähigen Männer nach Europa - mit all seinen negativen Auswirkungen auf die Berberdörfer im Süden, wo nur Frauen, Kinder und Alte zurückbleiben, die dann der Arroganz und Willkür der neureichen Rückkehrer ausgeliefert sind.

Der Leser wird ins Gespräch des alten Paares mit einbezogen, wenn beide schliesslich feststellen, dass sie in ihrem Dorf glücklich alt geworden sind, obwohl die Moderne in Gestalt von Alkohol und Drogensucht, Tourismus und Geldgier, Autos, Beton und Elektrizität längst Einzug gehalten hat:

"Die Modernität hat das letzte Wort gehabt, leider! Eigentlich ist es nicht das Dorf, das stirbt, nein! Es ist seine Seele."

Khair-Eddine ist kein Schriftsteller der glatten Fügung, auch wenn er in diesem Roman die Welt nicht mehr in Trümmer schlagen will. Trotzdem kippt sein leises, fast lyrisches Erzählen in zornige Enttäuschung über die Rückständigkeit und die Unwissenheit der maghrebinischen Massen um, für die nur die Magie und die Religion existieren: "aber da sie weder das eine noch das andere kennen, taumeln sie und geben Dummheiten zum Besten".

Liebe zur berberischen Heimat

Noch schärfer wird der Ton, wenn er den Berbern ihr Versagen vorwirft, die sich seit 1492, seit dem Rückzug aus dem islamischen Spanien, mit ihrer mystischen Vergangenheit begnügen, ohne sich in ihren Ursprungsländern gegen die Übermacht der arabophonen Kultur zu behaupten.

Auf die Frage: "Aber wo sind denn die Almoraviden, die Almohaden, diese grossen Vorfahren, geblieben?", antwortet er mit einem Zitat des arabischen Historikers Ibn Khaldun: "Wenn eine Wohnstatt oder eine Nation arabisiert wird, verfällt sie, und wenn sie verfallen ist, ist sie nicht mehr bewohnbar." -

Die Liebe zu seiner berberischen Heimat, in seinem gesamten Werk zentral thematisiert, kommt hier noch einmal verstärkt zum Ausdruck. Dass Mohammed Khair-Eddine die Renaissance des Berbertums und die offizielle Anerkennung der amazighischen (berberischen) Kultur und Sprache in Marokko nicht mehr erleben konnte, ist zu bedauern; aber mit diesem postum veröffentlichten Roman, diesem feinsinnigen Gewebe aus Realität und Traum, aus Erinnerung und Mythos, hat er uns die Welt der südmarokkanischen Amazighen - das Wort bedeutet in der Berbersprache "freie Menschen" - wohl ein Stück näher gebracht.

Mourad Kusserow

© Neue Zürcher Zeitung, 10. August 2004

Mohammed Khair-Eddine: Es war einmal ein glückliches Paar. Verlag Donata Kinzelbach, Mainz 2004

Verlag Donata Kinzelbach