Mit dem Segen der Konzerne

Der 26. Januar ist einer der höchsten nationalen Feiertage in Indien. Ehrengast 2020 ist ausgerechnet Brasiliens Staatschef Bolsonaro. Genau wie Narendra Modi betreibt er eine rechts-autoritäre Politik auf Kosten von Minderheiten - und genießt dabei die Gunst der Konzerne. Von Dominik Müller

Von Dominik Müller

Narendra Modis Karriere begann mit einem Blutbad. Er hatte gerade sein Amt als Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat angetreten, als sich 2002 das bisher schlimmste Pogrom des neuen Jahrtausends auf dem Subkontinent ereignete: Niedergebrannte Siedlungen, vergewaltigte Frauen, Massenvertreibung und mehr als 1.000 Tote, mehrheitlich Muslime. Modi, so die Kritik zahlreicher Menschenrechtsorganisationen, habe den hindu-nationalistischen Mob, bestehend aus Mitgliedern der Kaderorganisation RSS, des Weltrates der Hindus (VHP) und sogar einigen hochrangigen Politikern der Regierungspartei BJP, mehrere Tage gewähren lassen.

Ein Jahr später, fast genau zum Jahrestag der Pogrome, lud er zum ersten internationalen Wirtschaftsgipfel "Vibrant Gujarat", "Dynamisches Gujarat" ein. Indische und ausländische Konzernchefs kamen, darunter Shell und General Motors. Seitdem findet er alle zwei Jahre statt.

Bei jedem Gipfel, so heißt es, werden mehr als 10.000 Geschäfte abgeschlossen und dutzende Investoren nach Gujarat geholt, in die zahlreichen Sonderwirtschaftszonen: Hyundai, Ford und Peugeot aus der Autobranche, die deutschen Chemieriesen BASF, Bayer und Lanxess und ihr US-amerikanischer Konkurrent Dupont, der Maschinenbauer Bosch und der Flugzeug- und Zugfabrikant Bombardier.

Das neue Investorenparadies

Mit "Vibrant Gujarat" war es Narendra Modi gelungen, ein neues Bild von sich und dem Bundesstaat Gujarat zu kreieren: ein Investorenparadies. Zweistelliges Wirtschaftswachstum. Nirgends in Indien wurden Kleinbäuern schneller für Sonderwirtschaftzonen enteignet, nirgends Streiks effektiver im Keim erstickt.

Vibrant Gujarat Global Summit 2019; Quelle: vibrantgujarat.com
Schönes neues neoliberales Gujarat: "Indiens Premier Narendra Modi war es mit 'Vibrant Gujarat' gelungen, ein neues Bild von sich und dem Bundesstaat Gujarat zu kreieren: ein Investorenparadies. Zweistelliges Wirtschaftswachstum. Nirgends in Indien wurden Kleinbäuern schneller für Sonderwirtschaftzonen enteignet, nirgends Streiks effektiver im Keim erstickt", schreibt Müller.

Auch Wirtschaftskapitäne wie Ratan Tata, der eines der größten Konzernkonglomerate aufgebaut hat und lange als liberales Aushängeschild des indischen Kapitals galt, setzt heute auf die Hindunationalisten. Narendra Modi zog ihn 2009 auf seine Seite, als er den Großkonzern Tata mit zahlreichen Vergünstigungen dazu bewegte, die Produktionstätte des "Nano", des billigsten Autos der Welt, in Gujarat anzusiedeln. "Man wäre dumm, würde man als Unternehmer nicht nach Gujarat gehen", meinte damals Ratan Tata, bis Ende 2012 Vorstandsvorsitzender des gleichnamigen Megakonzerns aus Indien.

Während Wirtschaftsreformen in Indien unter der früheren Kongress-Regierung, etwa die Privatisierung öffentlichen Eigentums und staatlicher Konzerne, Mehrheitsbeteiligungsrechte für ausländische Investoren und die Reform der Arbeitsgesetze vielen Investoren viel zu langsam voran gingen, wurde das "Modell Gujarat" gelobt: Ende 2013, wenige Monate vor den damaligen Wahlen, aus denen Modi als Premier hervorging, veröffentlichte die US-Bank Goldman Sachs eine Prognose über die Entwicklung der Wirtschaft in Indien.

Schon der Titel "Modi-fying our view" war eine wenig subtile Wahlempfehlung. Modi sei "ein Agent des Wandels, der Indien von einem Leichtgewicht zu einem Marktschwergewicht aufwerten würde. Eine von der BJP geführte Regierung sei "für eine erhöhte Nachfrage nach Investitionen zuträglich".

Eigentlich wurde im Ausland Modis Aufstieg lange für unmöglich gehalten. Die USA und einige europäische Länder betrachteten ihn wegen seiner Rolle bei den Pogromen 2002 als Persona non grata und verweigerten ihm Einreise-Visa. Doch 2012 sprach ihn eine Sonderkommission, eingesetzt vom Höchsten Gericht in Indien, von jeder Verantwortung frei. Dieses Urteil, so befanden Kritiker, sei allerdings "durch die Unterdrückung einer großen Menge belastender Beweise durch die Sonderermittlungskommission zu Stande gekommen", befand etwa die Tageszeitung "Times of India".

Der rehabilitierte "Agent des Wandels"

Nachdem er im September 2013 zum Spitzenkandidaten der "Indischen Volkspartei" (BJP) gekürt wurde, rissen die Besuche von Wirtschafts- und Politikerdelegationen aus dem Ausland bei Modi nicht mehr ab.

Auch der Geschäftsführer der deutsch-indischen Handelskammer, Bernhard Steinrücke, ist von der Unschuld Modis überzeugt, schließlich sei "Indien eine Demokratie und ein Rechtsstaat". Und deshalb seien die Urteile seiner Gerichte auch wegweisend, so der Vertreter der größten deutschen Auslandshandelskammer, die mehr als 1.000 Unternehmen vertritt.

Indiens Premier Narendra Modi und der Medientycoon Mukesh Ambani; Foto: Getty Images/AFP/S. Panthaky
Zu den wichtigsten Förderern von Premier Modi zählt der Medienmogul Mukesh Ambani. Schon wenige Tage nach dem ersten Amtsantritt des Premierministers 2014 hatte Ambani das größte Geschäft abgewickelt, das der indische Mediensektor jemals gesehen hatte: Für umgerechnet 700 Millionen Dollar kaufte Ambani “Network 18” mit seinen Fernsehsendern, Magazinen und Internetseiten, die im zurückliegenden Wahlkampf 2019 offensiv für die BJP und Modi warben.

Nicht weit entfernt von Steinrückes Büro im "Maker Tower", einem der Hochhäuser der beeindruckenden Skyline Mumbais, steht das größte Einfamilienhaus der Welt, mit 27 Stockwerken, 600 Dienstboten und drei Hubschrauberlandeplätzen. Dort lebt ein einer der wichtigsten Modi-Vertrauten und Förderer: Mukesh Ambani und seine Familie. Er ist Multimilliardär und Lenker von Reliance Ltd., dem größten indischen Konglomerat.

Schon wenige Tage nach dem ersten Amtsantritt des Premierministers 2014 hatte Ambani das größte Geschäft abgewickelt, das der indische Mediensektor jemals gesehen hatte: Für umgerechnet 700 Millionen Dollar kaufte Ambani "Network 18" mit seinen Fernsehsendern, Magazinen und Internetseiten, die im zurückliegenden Wahlkampf 2019 offensiv für die BJP und Modi warben.

Macht und Geld

Die Hochzeit von Tochter Isha im Dezember 2018 schien dem Drehbuch einer Bollywood-Schnulze entlehnt. Zur protzigen Inszenierung gehörten auch die Ehrengäste: Unter anderem die Vorsitzende der Demokratischen Partei der Vereinigten Staaten, Hillary Clinton, und Popstar Beyoncé. Auch Narendra Modi war geladen, sagte aber kurzfristig ab. Weniger als ein halbes Jahr vor den Wahlen hätte es weitere Schlagzeilen über die vielleicht doch zu offensichtliche Nähe zwischen Macht und Geld gegeben. 

Nicht nur der Mediensektor setzt auf Modi: Kohle, Bauxit, Zinn und vor allem hochwertiges Eisenerz lagern in mehreren zentralindischen Bundesstaaten in großen Mengen unter der Erde. Erst ein Bruchteil davon wird abgebaut – unter anderem, weil die indigene Bevölkerung Indiens dort in den Wäldern lebt und sich gegen ihre Vertreibung zur Wehr setzt.

Die Regierung deklariert fast jede Form ihres Widerstandes als "maoistisch" und rechtfertigt so tödliche Militär- und Polizeiinterventionen "gegen den Terrorismus". Auf 80 Milliarden schätzt eine Londoner Beratungsfirma das Investitionsvolumen – vorausgesetzt, die militärischen Operationen sind erfolgreich.

Raubbau an der Umwelt im Dienste des Kapitals

Als einer der wichtigsten Förderer von Modi gilt neben Mukesh Ambani der Industrielle Gautam Adani und sein gleichnamiger Konzern. Ein Global Player, der in naher Zukunft die umstrittene Kohlemine Carmichael in Australien in Betrieb nehmen will. Schon während Modi Ministerpräsident in Gujarat war, konnte Adani mit seiner Hilfe im Bundesstaat Großprojekte durchsetzen und z.B. eine Sonderwirtschaftszone mit Containerhafen errichten, auf einer Fläche von 60 Quadratkilometern.

Es ist der größte Hafen Indiens, und in der Sonderwirtschaftszone steht das größte Kohlekraftwerk des Subkontinents. Mangrovenwälder wurden dafür großflächig abgeholzt, die angrenzenden Fischerdörfer klagen über Wasserverschmutzung und Flugasche. Die Vorgängerregierung in Delhi hatte deshalb von Adani umgerechnet 25 Millionen Euro Strafzahlungen gefordert.

Ein Gericht untersagte sogar die weitere Ansiedlung von Unternehmen in der Wirtschaftszone. Im Juli 2014, die Modi-Regierung war kaum an der Macht, da stellte sie Adani ohne weitere Prüfung die lang ersehnte Umwelt-Unbedenklichkeitsbescheinigung aus und stornierte die Forderung.

[embed:render:embedded:node:38549]Aus ihrer hindu-nationalistischen Agenda haben Narendra Modi und seine BJP noch nie einen Hehl gemacht – seit ihrer Wiederwahl im Mai 2019 wollen sie ihre Agenda auch gesetzlich verankern: Zuerst haben sie den Sonderstatus des mehrheitlich muslimischen Kaschmir aufgehoben, dann knapp zwei Millionen Bürgern in Assam die Staatsbürgerschaft aberkannt – vor allem Muslimen. Ein Pilotprojekt, wie Innenminister Amit Shah ankündigte, das auch in anderen Bundesstaaten Anwendung finden könnte.

Im Dezember schließlich wurde ein neues Einbürgerungsgesetz verabschiedet: Es gewährt Migranten aus den Nachbarländern Pakistan, Bangladesch und Afghanistan die indische Staatsbürgerschaft, explizit erwähnt sind Angehörige religiöser Minderheiten wie Christen, Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jaina und Parsen. Das Recht gilt nicht für eingewanderte Muslime.

Seit Wochen protestieren nicht nur Angehörige der muslimischen Minderheit in Indien gegen das diskriminierende Gesetz. Kritiker sehen es als "Angriff auf die indische Verfassung und Demokratie". Am 8. Januar beteiligten sich mehrere Millionen Inder an einem Generalstreik gegen das neue Gesetz, aber auch gegen Regierungsvorhaben, die schon lange auf dem Wunschzettel der Konzerne stehen, nämlich den Verkauf indischer Staatsunternehmen und die Schwächung von Arbeitnehmerrechten.

Dominik Müller

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