Vielfältige Konzepte, fehlende Kohärenz

Um die neue Mittelmeer-Union zum Erfolg zu führen, sind nicht nur die südlichen und östlichen Anrainerstaaten gefragt, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Akteure – sonst droht dem Projekt ein ähnliches Schicksal wie bereits der Euro-Mediterranen Partnerschaft. Eine Analyse von Isabel Schäfer

Mittelmeer-Union; Foto: AP
Im Mittelpunkt des Europäischen Gipfels in Brüssel standen unter anderem auch die kontrovers diskutierten Vorhaben Frankreichs zur Mittelmeer-Union.

​​Im nationalen Alleingang hatte Nicholas Sarkozy im Februar 2007 den Vorschlag einer "Mittelmeer-Union" oder auch "Union für den Mittelmeerraum", ohne Konsultation Brüssels, der EU-Mitgliedstaaten oder der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zur Diskussion gestellt.

In den darauf folgenden Monaten wurden verschiedene Modelle angedacht: eine neu aufgelegte subregionale Kooperation in Anlehnung an den so genannten 5+5 Dialog (Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Malta und Marokko, Tunesien, Algerien, Mauretanien, Libyen), eine Art EU für den Mittelmeerraum, eine aktive Integration der Türkei in die Mittelmeer-Union (als Ersatz für einen EU-Beitritt).

Im Sinn hatte man auch eine Union für alle Mittelmeeranrainer (einschließlich Libyens), aber unter Ausschluss der nordeuropäischen EU-Mitgliedstaaten oder eine Union für alle jetzigen 39 Staaten der mediterranen Partnerschaft, also alle EU-Mitgliedstaaten sowie 12 südliche und östliche Mittelmeeranrainer.

Konzept im Entwicklungsstadium

Das Konzept befindet sich weiterhin im Entwicklungsprozess. Als gesichert gilt nun aber, dass auch die nordeuropäischen EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission an dem Projekt teilnehmen.

Die französische Initiative hat, abgesehen von ihrer undiplomatischen Einführung, zumindest den Verdienst, den Mittelmeerraum wieder verstärkt in den Blickwinkel der europäischen Diplomatie gerückt zu haben. Denn bislang handelte es sich eher um eine inner-europäische Debatte.

Wenn die Idee zu einem tragfähigen, langfristigen Konzept entwickelt werden soll, so müssen nicht nur die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer aktiv in die Ausarbeitung miteinbezogen werden, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Akteure auf beiden Seiten des Mittelmeers.

Sonst droht dem Projekt ein ähnliches Schicksal wie der 1995 ins Leben gerufenen Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP), auch Barcelona-Prozess genannt: eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit, die von den Gesellschaften nicht mitgetragen wird. Die EMP war zwar differenziert konzipiert, hatte in den letzten Jahren aber aufgrund der zu geringen konkreten Ergebnisse an politischer und diplomatischer Unterstützung verloren.

Verhaltene Reaktionen

Bislang haben die meisten der südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer eher verhalten auf das Projekt reagiert. Die Türkei betrachtet die Idee aus verständlichen Gründen skeptisch. Israel sieht seine engen bilateralen Beziehungen zur EU gefährdet.

Karte des Mittelmeerraums; Foto: Nasa/Eric Gaba
Inwieweit die Mittelmeerunion einen Mehrwert gegenüber der
bisherigen EU-Politik unter dem Namen Barcelona-Prozess bietet, ist
fraglich

​​Die Regierungen der Maghrebländer sind durch die Staatsbesuche Sarkozys vor Ort zwar positiv gestimmt, verweisen aber auch auf die bereits existierenden Strukturen der Euro-Mediterranen Partnerschaft.

Bereits die Umbenennung vom "Partner" zum "Nachbarn" im Zuge der Nachbarschaftspolitik wurde von vielen als eine Herabsetzung empfunden. Beobachter und zivilgesellschaftliche Akteure stehen dem Projekt eher skeptisch gegenüber.

Sarkozy als Person erfreut sich aber nicht nur im Maghreb, sondern auch im Mashrek aufgrund seiner Dynamik einer gewissen Beliebtheit. So konnte er auch die ägyptische Regierung nach anfänglicher Skepsis für das Projekt gewinnen. Unter französischer Ratspräsidentschaft soll die Mittelmeer-Union offiziell gegründet werden. Doch die konkreten Ziele und Instrumente sind weiterhin unklar.

"Union der Projekte"

Es sollen vor allem viele Projekte in den Bereichen Wirtschaft, Wasser, Energie, Umwelt und Migration realisiert werden, was zynische Beobachter dazu veranlasst von einer "Union des projets" (Union der Projekte) zu sprechen.

Italien und Spanien haben im Dezember 2007 zugestimmt, doch Angela Merkel verwies auf das Spaltungspotential des Projekts für die inner-europäische Zusammenarbeit und besteht auf Beteiligung aller EU-Mitgliedstaaten.

Viele sehen in dem Projekt vor allem eine Strategie Sarkozys einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern; aber es ist auch Ausdruck neuer Vormachtsstellungsansprüche Frankreichs im Mittelmeerraum, der als klassisches Einflussgebiet wieder neu "besetzt" werden soll.

Mit Blick auf die gemeinsame europäische Außenpolitik bedeutete der französische Vorstoß eine Infragestellung der gemeinsamen außenpolitischen Instrumente der EU.

Migration nach Europa; Foto: AP
Die illegale Einwanderung ist eine der Haupt-Herausforderungen der Mittelmeer-Union

​​Mitte der 90er Jahre war Frankreich einer der größten Verfechter der Euro-Mediterranen Partnerschaft. Deutschland sowie andere nordeuropäische Staaten haben sich nur zögerlich in den Barcelona-Prozess eingebracht. Nun werden ausgerechnet Finnland und Deutschland zu Verteidigern der mühsam in Gang gebrachten euro-mediterranen Strukturen.

Die Mittelmeer-Union soll komplementär zur Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP) und Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) sein. Doch nach den bislang ernüchternden Erfahrungen von EMP und ENP, die seit 2004 komplementär zueinander agieren sollen, ist diese Perspektive nicht viel versprechend.

Hingegen zeichnet sich eine Vervielfältigung und fehlende Kohärenz von Konzepten und Instrumenten ab, und damit auch eine Verwirrung über die einzelnen Ziele, Mechanismen und Ansprechpartner – sowohl in Europa als auch im Süden und in den breiteren Öffentlichkeiten auf beiden Seiten des Mittelmeers.

Neue Perspektiven für den Mittelmeerraum

Nach der Einigung zwischen Berlin und Paris hat der Europäische Rat im März 2008 im Grundsatz einer Union für den Mittelmeerraum zugestimmt. Der neue Name "Barcelona-Prozess: Union für den Mittelmeerraum" soll eine Aufwertung des Barcelona-Prozesses zu einer Union symbolisieren.

Diese umfasst die EU-Mitgliedstaaten und die Mittelmeer-Anrainerstaaten und wird voraussichtlich eine rotierende Präsidentschaft und ein kleines Generalsekretariat haben, nach dem Vorbild der G-8-Treffen.

Die Europäische Kommission wurde aufgefordert, für die im Juli 2008 in Paris stattfindende Gründungskonferenz entsprechende Vorschläge zu erarbeiten. Brüssel soll zwar die Mittelmeer-Union finanzieren, hat sich aber bislang nicht aktiv in die Gestaltung des Projekts eingebracht.

Die erst abwartende, dann zustimmende Haltung der Kommission steht den Ambitionen einer eigenständigen, aktiven europäischen Außenpolitik der EU entgegen.

Die Brüsseler Institutionen hätten hier verstärkt Position beziehen müssen, denn die Herausforderungen im Mittelmeerraum haben sich seit 1995 verändert. Ob das bislang noch vage Konzept der Mittelmeer-Union hierfür die geeignete Antwort ist, wird sich zeigen müssen.

Wichtiger als die Nuancen in den Begrifflichkeiten ist, was sich tatsächlich in der euro-mediterranen Kooperation ändern wird: Ob diese vertieft wird, stagniert oder tatsächlich einen neuen Aufwind erhält.

Isabel Schäfer

© Qantara.de 2008

Isabel Schäfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.

Qantara.de

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