Der furchtbar witzige IS

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" dient vielen Arabern als Inspiration für gehässige Satire und beißenden Spott. Elisabeth Lehmann informiert.

Von Elisabeth Lehmann

Abu Bakr Al-Baghdadi, der selbst ernannte Kalif des Islamischen Staats, streift in der Manier der alten Kalifen durch die Gassen der Stadt, um sich nach dem Wohlbefinden seiner Untertanen zu erkundigen. Er trifft auf einen armen Mann, dessen Schuhe so verschlissen sind, dass seine Zehen rausschauen. Al-Baghdadi, zutiefst betroffen von der Armut, beginnt zu weinen. Berührt von diesem Schicksal will er helfen und schickt am nächsten Morgen einen seiner Anhänger zu dem Mann. Dieser findet ihn am selben Ort, mit denselben verschlissenen Schuhen vor, und erklärt ihm, der Kalif habe ihn gesandt – und hackt dem Mann kurzerhand die Zehen ab.

Es ist ein grausamer Witz, der im Netz die Runde macht. Doch es ist für viele Araber die einzige Möglichkeit, dem IS-Terror zu begegnen, sich von ihm im Geiste zu befreien. Während der Westen den militanten Islamisten lange wie gelähmt gegenüberstand, befeuerten die Gräueltaten die Fantasie und Kreativität vieler Araber.

"Der IS ist so extremistisch, dass er viel mehr Stoff für Satire hergibt als andere Bewegungen", meint der libanesisch-irakische Blogger Karl Sharro. Auf seinem Blog "Karl reMarks" macht er sich seit einigen Wochen lustig über den "Kalifen" und seine Kämpfer. So hat Sharro die Comic-Krieger Abu A und Abu B erfunden.

In einer Folge treffen die beiden Krieger auf Außerirdische, die es wagen, den muslimischen Glauben der Kämpfer in Frage zu stellen, da weder A noch B Arabisch sprechen. Den Islam kennen sie nur aus ein paar Videos im Internet. "Gott vergebe mir, ich hatte nur den Eindruck, du wüsstest nicht so genau Bescheid", entschuldigt sich einer der Außerirdischen bei Abu A. Auf dessen wütende Anmerkung, warum er denn "Gott" sage, entgegnet der Alien, er habe das in Sitcoms aufgeschnappt. Abu A ist daraufhin beruhigt und es entspinnt sich ein munteres Geplänkel, welche Serie denn die Beste sei, "Big Band Theory" oder "Friends".

Islamistische Doppelmoral als Zielscheibe für Satire

Sharro spielt damit auf die kaum existente islamische Vergangenheit vieler IS-Kämpfer und ihre ideologische Doppelzüngigkeit an – und ist dabei nicht alleine: Fast eine Million Klicks hat mittlerweile das Satire-Video der Gruppe "Watan a Watar" aus Ramallah. Darin machen sich die Comedians über ein Propaganda-Video der IS-Milizen lustig. Auto-Fahrer werden angehalten und nach den Regeln des Islam befragt. Wer die Fragen nicht richtig beantwortet, wird erschossen. Das bringt religiöse Punkte für den Einzug ins Paradies.

Zwischendurch schweift einer der Kämpfer ab in süße Erinnerungen an seine Abenteuer auf einer Beiruter Vergnügungsmeile – dort, wo es so viele hübsche Mädchen gebe. Als dann ein Christ des Weges kommt, wittern die Milizen ihre große Chance. Andersgläubige zu töten bringt besonders viele Punkte. Der Christ jedoch erleidet vor Schreck einen Herzinfarkt und fällt tot um. Die panische Reaktion der IS-Kämpfer: "Oh nein! Lieber Christ, steh‘ doch bitte noch einmal kurz für uns auf, damit wir dich erschießen können. Dann kannst du noch einmal sterben."

Der Kalif beim Psychiater

Auch der so genannte Kalif selbst ist immer wieder Zielscheibe des Hohns. Blogger Sharro etwa hat eine Sitzung Al-Baghdadis bei seinem Psychiater "rekonstruiert". Nach dem Ausrufen des Kalifats weiß Al-Baghdadi nun nicht so recht weiter. Es gebe schließlich kein Handbuch für den Aufbau eines Kalifats. Der Psychiater rät ihm, Google zu konsultieren. Al-Baghdadi fragt sich, ob er sich einen großen Turban zulegen solle, vielleicht einen in Mauve oder Pistazie, mit einer Silberspange. Oder ob er damit nicht vielleicht doch zu lächerlich aussehe.

Sharro muss sich wie alle Comedians den Vorwurf anhören, er trivialisiere den IS mit solchen Geschichten. Ganz im Gegenteil, meint der Blogger: "Wir Araber sollten nun Tabus brechen – und keine neuen kreieren! Es wäre eine falsche Art der political correctness, nicht über den IS zu sprechen oder sich über ihn lustig zu machen."

Kultur als Waffe

Doch eines muss auch Sharro zugeben: Er ist weit weg vom Geschehen. "Ich wohne in London. Ich bin nicht direkt betroffen. Und das versetzt mich in eine recht komfortable Lage, um solche Dinge realisieren zu können."Anders ist das etwa bei der Band "The Great Departed" aus Beirut. Der Libanon grenzt unmittelbar an die IS-Gebiete an. In das kleine Land sind bislang Tausende vor den Gräueltaten der Terrormiliz geflüchtet. Dennoch haben "The Great Departed" beschlossen, den IS mit den Waffen zu bekämpfen, die die Fundamentalisten am meisten verachten: Kultur und Musik. Seit Wochen treten sie in Nachtclubs mit ihrem Hit "Madad Baghdadi" auf, in dem sie zu arabischen Klängen den "Triumphator durch göttliche Gesetze" preisen, der "Gottes Jünger führen wird – und zwar in den Abgrund".

Blogger Karl Sharro; Foto: Elisabeth Lehmann
Entwaffnend satirisch: Der libanesisch-irakische Blogger Karl Sharro spielt in seinen Cartoons auf die kaum existente islamische Vergangenheit vieler IS-Kämpfer und ihre ideologische Doppelzüngigkeit an.

Auffällig viele Satiren kommen direkt aus den betroffenen Ländern. Der irakische Sender "Al-Iraqiya" hat dem IS, der im Arabischen "Daisch" genannt wird, einen eigenen Cartoon gewidmet. Der "Daischist" zeigt das Leben eines IS-Kämpfers mit all seinen Tücken. So will zum Beispiel das Verüben von Sprengstoffanschlägen gelernt sein. Der tollpatschige Daischist verletzt dabei seinen Anführer, bevor er ihn aus Versehen erschießt, weil er seine Waffe verkehrt hält. 

Drastische Provokationen gegen den IS

Die Nachricht, der Koch der IS sei unlängst auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen, veranlasste den irakischen Sender "Al-Shahed Al-Mustaqil" zu mutmaßen, ob er sich vielleicht am "Käse des Kalifen" vergiftet habe. In einer albernen Käse-Werbung, angelehnt an das Original der Marke "Kiri", heißt es dann: "Der Käse des Kalifen. Nimm ihn mit, wo auch immer du dich in die Luft jagen willst." Als Seitenhieb auf die moralischen Gebote des IS ist das Euter der "Kiri"-Kuh verpixelt.

Viele Araber wissen sich nicht anders zu helfen, als sich über den IS lustig zu machen oder ihn zu provozieren – und greifen daher auch zu teilweise sehr drastischen Mitteln.

Für eine der provokantesten Aktionen steht wohl bislang die Ägypterin Aliaa Elmahdy. Auf ihrem Facebook-Account veröffentlichte die Feministin ein Nacktbild von sich und einer weiteren Frau, wie sie auf die schwarze Flagge der IS menstruieren und koten. Seit dem kann sich Elmahdy vor Anfeindungen und Morddrohungen kaum noch retten.

Auch diesen Reaktionen begegnet sie im Netz. Sie veröffentlicht die Hass-Nachrichten nahezu täglich. Immerhin gilt sie anderen Usern als Inspiration für gehässige Spitzen gegen die Terrormiliz. Unter der Twitter-Kampagne "#AskIslamicState" hat Nutzer WAEL das provokante Foto von Elmahdy gepostet und mit dem Kommentar versehen: "Sag Hallo zu deinen Jungfrauen".

Elisabeth Lehmann

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