Stirbt die Arabellion in Khartum?

Im Sudan hat Militärchef Abdel Fatah Al-Burhan den Ausnahmezustand erklärt und den Regierungsrat aus Militärs und Zivilisten aufgelöst. Wie sich die Situation in Khartum weiterentwickelt, scheint derzeit noch offen. Das sudanesische Experiment, den Militärs friedlich die Macht abzuringen, steht so massiv wie noch nie unter Druck. Eine Analyse von Karim El-Gawhary aus Kairo.

Von Karim El-Gawhary

Es ist der große Showdown im Sudan, der sich seit Monaten zwischen der zivilen Regierung und den mitregierenden Militärs angekündigt hat. Bis jetzt ist noch nicht klar, für wen diese Episode der sudanesischen Geschichte erfolgreich ausgehen wird: für die Putschisten des Militärchefs Abdel Fatah Al-Burhan oder für die Protest- und Demokratiebewegung, die im ganzen Land auf der Straße ihren friedlichen Widerstand mobilisiert hat.

Zunächst hatte sich das Ganze am Montagmorgen noch etwas nebulös angekündigt. Militärs nahmen in Khartum eine Reihe von Ministern und zivilen Politikern fest, darunter auch Premierminister Abdallah Hamdok. Dann, am Mittag, wurde der Militärputsch ganz offiziell verkündet: Al-Burhan erklärte den Ausnahmezustand und löste den Regierungsrat aus Militärs und Zivilisten, dem er selbst vorsteht, ebenso auf, wie das Kabinett. Streitigkeiten unter den Politikern und deren Ambitionen hätten ihn dazu gezwungen, die Nation zu retten, erklärte er in der üblichen Putsch-Rhetorik bei einer aufgezeichneten Fernsehrede.

Zeitgleich mobilisierte Sudans Demokratiebewegung die Massen. Tausende Menschen machten sich auf den Weg zum Hauptquartier des Militärs im Zentrum von Khartum. Auch in vielen anderen Teilen des Landes begannen Demonstrationen.  Die sogenannten „Forces for Freedom and Change” (FFC), ein Zusammenschluss von Berufsverbänden und Demokratiegruppen, riefen die Menschen dazu auf, ihre Revolution zu verteidigen und friedlichen zivilen Ungehorsam zu leisten.

Die Choreografie der Konterrevolution

Es geht um viel. Denn das Machtteilungsabkommen, das die FFCs den Militärs nach dem Sturz des Diktators Omar El-Baschir vor zwei Jahren abgerungen haben, ist einzigartig in der arabischen Welt. Erstmals, so stand es im Abkommen geschrieben, sollte das Militär tatsächlich freiwillig die Macht an eine zivile Regierung übergeben. Innerhalb einer dreijährigen Übergangszeit, sollte ein aus Zivilisten und Militärs bestehender Regierungsrat, ähnlich dem Amt eines Präsidenten, die Weichen stellen, während eine zivile Regierung unter Premier Abdallah Hamdok das politische Tagesgeschäft übernahm.

Ein Demokratie-Aktvist protestiert gegen den Militärputsch im Sudan; Foto: Ashraf Idris/AP Photo/picture-alliance
Nach dem Putsch von Militärchef Abdel Fatah Al-Burhan mobilisierte Sudans Demokratiebewegung die Massen. Tausende Menschen machten sich auf den Weg zum Hauptquartier des Militärs im Zentrum von Khartum. "Der Machtkampf zwischen Militärs und Zivilisten geht im Sudan in die nächste Runde. Dabei haben die Militärs die Waffen, aber die Protestbewegung hat einen politischen Vorteil,“ schreibt Karim El-Gawhary. "Der Putsch schließt ihre Ränge, während sie zuvor im Tagesgeschäft oft zerstritten war. Und je bestimmter und einheitlicher die Protestbewegung auftritt, umso schneller könnten sich auch wieder Risse innerhalb des Militärs auftun, das in Wirklichkeit auch kein einheitlicher Block ist.“

Dieses Konstrukt sollte eigentlich noch bis Ende nächsten Jahres Gültigkeit haben, bevor die Militärs sich dann endgültig aus der Politik hätten zurückziehen und Wahlen organisiert werden sollen.

Doch die Herren mit den Waffen hatten offensichtlich andere Pläne. Seit Monaten torpedieren sie die zivile Regierung, die vor allem mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage kämpft. Schon im September gab es einen gescheiterten Putschversuch. Letzte Woche begann dann ein Sitzstreik von Anhängern einer erneuten Militärherrschaft, sozusagen als Vorbote des jetzigen Putsches.



Sie forderten, die Macht wieder ganz in die Hände des Militärs zu übergeben. Es war so etwas wie die Choreographie der Konterrevolution, bekannt aus dem Drehbuch im benachbarten Ägypten, wo der ehemalige Militärchef Abdel Fattah El-Sisi nach den chaotischen Zeiten, die auf den Sturz des Diktators Hosni Mubarak folgten, mit seinem Militär die Macht übernahm.

Internationaler Widerstand gegen den Putsch

Die Putschisten in Khartum dürften sich der Unterstützung aus dem benachbarten Ägypten aber auch aus den autokratischen Golfstaaten sicher sein, denen das sudanesische Experiment eines Übergangs zur Demokratie von Anfang an ein Dorn im Auge war. Denn sie betrachten das Experiment als eine Gefahr für die eigene Machterhaltung. Ihre Unterstützung dürfte aber weitgehend im Verborgenen stattfinden.

Offen formiert sich aber inzwischen der internationale Widerstand gegen Putsch. "Die Verhaftung von Regierungsbeamten und anderer politischen Führungsfiguren, einschließlich von Premier Hamdok, untergräbt den Übergang des Landes zu einer demokratischen und zivilen Herrschaft. Die Militärführung sollte sofort die Freilassung und die Sicherheit aller verhafteten politischen Akteure gewährleisten und die von Zivilisten geführte Regierung wieder einsetzten“, nahm der Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price in Washington kein Blatt vor den Mund.



Und er wartete bereits mit einer konkreten Maßnahme der US-Regierung auf. "Die USA werden ihre Finanzhilfe in der Höhe von 700 Millionen Dollar an den Sudan einstellen, denn es war beabsichtigt, mit diesen Geldern den Übergang zu einer Demokratie zu unterstützen“, kündigte er an.

 

Statement by HR/VP @JosepBorrellF on the current political situation in Sudan: "The EU condemns the detention of Prime Minister Abdalla Hamdok and other members of the civilian leadership by Sudan’s military forces."



Full statement https://t.co/8Rjeax3VQi

— European External Action Service - EEAS (@eu_eeas) October 25, 2021

 

Auch EU-Chefdiplomat Josep Borell beschreibt in einer Erklärung die Aktion des sudanesischen Militärs als einen Verrat an der Revolution und am Übergang zu einer Demokratie. Er fordert das Militär auf, Gewalt unter allen Umständen zu vermeiden und alle Verhafteten freizulassen. Stephane Dujarric, ein Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, schloss sich in New York dem Votum des EU-Chefdiplomaten an. "Der UN-Generalsekretär verurteilt den laufenden Militärputsch in Khartum auf das Schärfste und alle Aktionen, die den Übergang zur Demokratie und die Stabilität des Landes gefährden“, lies er verlauten.

Der größte Widerstand für Sudans Militärs dürfte allerdings von der eigenen Bevölkerung kommen, die bereits beim Sturz von Omar El-Baschir bis hin zum erkämpften Übergangsabkommen einen langen Protest-Atem bewiesen hat. Auch nach der ersten Nacht mit einem halben Dutzend Toten, die von den Sicherheitskräften bei den Protesten erschossen wurden, ließen die Proteste nicht nach. Auch eine Streikwelle gegen die Putschisten kündigt sich an. Die Angestellten der Zentralbank blieben zum Teil schon am zweiten Tag des Putsches zu Hause. Die Mitarbeiter weiterer staatlicher Institutionen sollen folgen.



Der Machtkampf zwischen Militärs und Zivilisten geht im Sudan in die nächste Runde. Dabei haben die Militärs die Waffen, aber die Protestbewegung hat einen politischen Vorteil. Der Putsch schließt ihre Ränge, während sie zuvor im Tagesgeschäft oft zerstritten war. Und je bestimmter und einheitlicher die Protestbewegung auftritt, umso schneller könnten sich auch wieder Risse innerhalb des Militärs auftun, das in Wirklichkeit auch kein einheitlicher Block ist. Als sicher darf gelten, dass die reichen arabischen Golfstaaten versuchen werden, mit ihrem Geld die Balance in Richtung der erneuten vollen Machtübernahme des Militärs zu verschieben.

Im Moment scheint hier noch alles offen. Das sudanesische Experiment, den Militärs friedlich die Macht abzuringen, steht auf so massiv wie noch nie auf dem Prüfstand. Für alle, die in der weiteren arabischen Welt auf eine Veränderung hoffen, steht viel auf dem Spiel. Seit über zwei Monaten zerbröselt vor ihren Augen Tunesien, das einzige demokratische Experiment, das aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen ist, als der dortige Präsident Kais Saied de facto die Gewaltenteilung aufgehoben hat. Mit dem Sudan droht nun, der zweite arabische Hoffnungsträger auf Veränderung und Demokratisierung verloren zu gehen.

Karim El-Gawhary

© Qantara.de 2021