Es ist an der Zeit, der mythisch aufgeladenen Verehrung des Militärs in der arabischen Welt ein Ende zu setzen. Die gesellschaftspolitische Rolle der Armee als Hüterin der Nation muss gegenüber ihrer Funktion als Institution zum Schutz des Landes und seiner Bevölkerung zurücktreten.
Als Erstes gilt es, den Blick der Menschen auf das Militär zu ändern und ihm die Aura des "Heiligen" zu nehmen, in die es sich selbst hüllt. Dazu müssen Diskussionen über die Rolle des Militärs im Staat angestoßen und dessen aufgeblähtes Budget der Kontrolle demokratisch gewählter Parlamente unterworfen werden. Genauso bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Kauf unnötiger Waffensysteme, die meistens gar nicht zum Einsatz gelangen.
Und wenn doch auf sie zurückgegriffen wird, dann nicht selten gegen die eigene Bevölkerung. Vielfach werden die Verträge nur geschlossen, um politische Unterstützung für die herrschenden Regime zu erkaufen oder mit den Waffen zu prahlen. So zum Beispiel in den Golfstaaten, die sich ein Wettrüsten liefern und moderne, teure Waffensysteme erwerben, um sie dann in Abu Dhabi oder Riad zur Schau zu stellen.

Der verheerende Krieg im Jemen beweist jedoch gerade, dass die Armeen beider Länder gar nicht in der Lage sind, diese Waffen zu ihrem Vorteil einzusetzen: Weitaus schlechter ausgerüstete Milizen fügen ihnen Verluste zu, die man angesichts der äußerst ungleichen Bewaffnung der Konfliktparteien für unmöglich gehalten hätte.
Die Armee von ihrem hohen Sockel heben
Der demokratische Transformationsprozess beginnt mit der Findung eines neuen Gleichgewichts im Staat zwischen den politischen und gesellschaftlichen Kräften und dem Militär. Die Armee muss von ihrem hohen Sockel gehoben werden und sich auf ihren eigentlichen Auftrag – den Schutz des Landes – besinnen. Darüber hinaus müssen ihr gesetzlicher Handlungsspielraum im Inland und ihre verfassungsmäßige Rolle in Staat und Gesellschaft präzise definiert werden.
Viele arabische Staaten standen oder stehen immer noch unter dem Joch jener Militärs, die einst an der Spitze eines Putsches standen. Wie in Ägypten und Mauretanien richteten sie sich in manchen Fällen gegen gewählte Regierungen. Und wie in Algerien und dem Sudan entwickelten sich die Regime vielfach zu Oligarchien, in denen opportunistische Eliten und korrupte Geschäftsmänner die Gesellschaft fest im Griff haben, sich bereichern und die Hoffnungen und Träume der Menschen zerstören.
Die Zeit ist reif, um den Platz des Militärs im politischen und gesellschaftlichen Gefüge der arabischen Staaten kritisch zu hinterfragen und seine Stellung vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen in der arabischen Welt neu zu bewerten. Denn in diesen kommt dem Militär eine zentrale Rolle zu. Es kontrolliert nach wie vor das Schicksal der Menschen, die schon seit Jahrzehnten unter seiner Herrschaft leiden. Trotzdem betrachten sie die Armee immer noch als Erlöser und Retter – und darin besteht die eigentliche Tragik!
Ali Anouzla
© Qantara.de 2019
Aus dem Arabischen von Thomas Heyne