Ein neuer Stern am Entwicklungshorizont

Die Idee der Mikrokredite, die vom diesjährigen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus entwickelt wurde, eröffnet vor allem Frauen aus der Dritten Welt Chancen für eine bessere berufliche Zukunft. Elefteriya Yuanidis informiert.

Die Idee der Mikrokredite, die vom diesjährigen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus aus Bangladesh entwickelt wurde, eröffnet vor allem Frauen aus der Dritten Welt Chancen für eine bessere berufliche Zukunft. Elefteriya Yuanidis informiert.

Professor Muhammad Yunus, Gründer der Grameen Bank, erklärt Frauen in einem Dorf in Bangladesch das System der Mikrokreditfinanzierung; Foto: AP
Mikrokredite erfreuen sich in den Trikontländern wachsender Beliebtheit, da sie vor allem Frauen die Tür zu beruflicher Selbständigkeit und Wohlstand öffnen

​​SHARE ist eine Kleinstkreditorganisation für Frauen im indischen Andhra Pradesh. Sie vergibt Kredite zu 50 oder 100 Dollar an ihre Mitglieder. Und das nach einem einfachen System:

"Immer fünf Frauen bekommen zusammen einen Kredit. Wenn die erste zurückzahlt, bekommt die zweite den Kredit, dann die dritte usw.", erklärt Ulrich Lampe von Oikokredit, "so unterstützen sich die Frauen gegenseitig und motivieren einander, sodass das System der Kleinkredite weitergehen kann."

Die ökumenische Entwicklungsgesellschaft Oikokredit ist eine weltweite Genossenschaft, die mit dem Ziel gegründet wurde, Geld an Entwicklungsprojekte zu vergeben. Das allerdings nicht als Spende, sondern als Darlehen. Sie kooperiert eng mit der Grameen-Bank von Professor Muhammad Yunus, und seit 2001 unterstützt sie die Arbeit von SHARE - "Society for Helping Awakening Poor through Education" - mit zwei großen Darlehen in Höhe von zwei Millionen Euro.

Mikrokredite ganz groß

SHARE folgt dem Prinzip der Grameen-Bank: Mehrere Frauen bürgen füreinander, und in einem dreijährigen Rotationsverfahren bekommt jede von ihnen ein Darlehen. Wenn ein Gruppenmitglied das Geld nicht zurückzahlen kann, springen die anderen ein. Die einzelnen Darlehen laufen über ein Jahr und können in 50 kleinsten Raten zurückbezahlt werden.

Die 1989 gegründete Organisation hat inzwischen 19 Zweigstellen eingerichtet und ist in über 700 Dörfern in Indien tätig. 80.000 Bäuerinnen, Lebensmittelhändlerinnen, Töpferinnen oder Bäckerinnen sind mittlerweile durch eine Mikrofinanzierung zu Kleinunternehmerinnen geworden. Die persönlichen Erfolgsgeschichten erzählt Ulrich Lampe gern:

"Eine der Frauen ist Daanama. Sie fing an, Körbe zu flechten, um ihre Familie durchzubringen. Aber um Material zu kaufen, musste sie bei den Geldverleihern zu Wucher-Zinsen leihen, die 50 oder 100 Prozent verlangen. So arbeitete sie eigentlich nur für die Zinsen."

Von SHARE hat Daanama einen Kleinkredit erhalten. Davon kaufte sie Rattan und stellte schöne Körbe her, die sie gut verkaufen konnte. So verdiente sie schnell genug, um das Darlehen zurückzahlen zu können.

Der nächste Schritt war der Kauf eines Büffels. Für eine arme indische Familie ist das ein großer Reichtum, da die Milch täglich einen guten Erlös bringt. Ein zweiter Büffel kam dann dazu und Daanama war in der Lage, ihre kleine Hütte gegen ein Steinhaus mit etwas Land einzutauschen, sodass sie nun auch Gemüse anbauen kann.

Schritte aus der Armut

Heute kann sie ihre Familie von ihrem Einkommen unterhalten und sogar noch etwas Geld für Notzeiten zurücklegen. Auf diese Weise ist es mehr als zwei Drittel der Genossenschafts-Mitglieder von SHARE gelungen, über die Armutsgrenze zu kommen.

Frauen bilden heute die Mehrheit der Mikrofinanz-Kundinnen weltweit. Sie haben meist keine andere Wahl. In vielen Ländern werden sie wirtschaftlich, rechtlich und kulturell benachteiligt.

Sie haben kaum Bildung, und weil sie keinen Besitz haben, gelten sie für die allermeisten Banken als nicht kreditwürdig. Das Mikrofinanzprogramm bietet ihnen die Chance, das Gegenteil zu beweisen.

Petra Euhus, Vorstandsmitglied eines Oikokredit-Förderkreises in Berlin, berichtet, man habe festgestellt, dass Frauen wesentlich zuverlässiger zurückzahlen und eher nachhaltige Projekte beginnen.

Inzwischen existieren in Indien mehr als eine Million Selbsthilfegruppen mit rund 16 Millionen Mitgliedern, größtenteils Frauen. Allein beim indischen Programm der Nationalbank für Landwirtschaft, kurz NABARD genannt, sind neun von zehn Kreditnehmerinnen Frauen. Trotz dieser beeindruckenden Ergebnisse ist nach wie vor umstritten, ob die Mikrokredite die Ärmsten der Armen tatsächlich erreichen.

200 Millionen Menschen werden mittlerweile weltweit mit Mikrokrediten versorgt, nicht nur in Entwicklungsländern und nicht nur aus entwicklungspolitischer Motivation. Die Mikrokredite haben sich inzwischen zu einem Milliardenmarkt mit hohem Renditepotential entwickelt, der immer mehr reguläre Banken interessiert.

Elefteriya Yuanidis

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

Sultana Kamal
Eine Stimme für die Gleichheit
Die Menschenrechtsverteidigerin Sultana Kamal kämpft in Bangladesch gegen familiäre Gewalt und für die Rechte der Frauen. Annette Hartmetz stellt sie vor.

Dossier
Frauen in der islamischen Welt
Immer mehr Frauen erkämpfen sich ihren Platz in der Gesellschaft - in den islamischen Ländern häufig erfolgreicher als im Westen. Manche schließen sich in Verbänden zusammen, andere machen sich einen Namen im Bereich der Kunst oder Politik.

www
Webseite von "Women's World Banking" (engl.)