Donnerstag, 20. März 2003 14:20

Mein lieber Abbas, nun ist es also endlich so weit: heute nacht hat der Krieg angefangen. Es hieß ja immer: Niemand in Deutschland freut sich auf ihn: Mir ist aufgefallen, daß das nicht stimmt ...

Mein lieber Abbas,

nun ist es also endlich so weit: heute nacht hat der Krieg angefangen. Es hieß ja immer: Niemand in Deutschland freut sich auf ihn: Mir ist aufgefallen, daß das nicht stimmt. Ab dem Moment, als Bush sein 48 Stunden-Ultimatum ausgesprochen hatte, stieg die Börse in Frankfurt zum ersten Mal seit Monaten wieder kräftig an, und hört seither nicht auf zu steigen...

Ich denke die ganze Zeit an den jungen Lyriker, den wir in Beirut getroffen haben, der sich gerade mit seiner Frau am Telefon verabredete, um am Abend im Kino den neuen Bond zu sehen, und der mir sagte: „Hoffentlich kommen die Amis bald und hauen Saddam weg. Und möglichst auch Assad gleich mit. Wenn sie irgendetwas tun, was gegen unsere Interessen geht, dann machen wir eben Krieg gegen sie. Aber zuerst sollen sie endlich kommen und Saddam weghauen...“

Nun sind sie da...

Du erinnerst dich ja an die Stimmung in Deutschland schon vor Monaten: Ein Besucher vom Mars, unvertraut mit den irdischen Zusammenhängen, hätte angenommen, die Bomben würden demnächst auf Berlin und Frankfurt niedergehen, nicht auf Bagdad, so groß war die Panik hier.

Ich gestehe dir, daß ich dieses ganzen, gemessen am erklärten WILLEN der Amerikaner, sinnlosen Geschwätzes müde bin. Man braucht kein Militärhistoriker zu sein, um zu wissen, daß gegenüber einem zielstrebigen Willen (unterstützt von Macht) ein pures Nicht-Wollen kein Gewicht hat.

Wir wissen auch, was einzig fähig wäre, die amerikanische Militär-Politik zu kontrollieren: Eine europäische Militär-Politik, das heißt ein einheitlicher politischer Wille Europas, der genügend Kanonen und Raketen hat, um glaubwürdig und durchsetzungsfähig zu sein – und dazu eine größere politische Kultur als die der USA. Nur gibt es genau diesen Willen nicht, und nicht die visionären Politiker, ihn einmal zu formulieren und zu realisieren.

Ich hätte mehr Respekt vor dem Pazifismus der deutschen Regierung und der deutschen Menschen, wenn ich den Verdacht loswerden könnte, es handelte sich bei ihm um anderes als ein fehlendes politisches Konzept (was die Politiker betrifft) und eine höchst egoistische Feigheit. Ja, Feigheit: Wenn du genau zuhörst, WARUM die Leute hier eigentlich so pazifistisch sind, dann nicht in erster Linie, weil ihnen die Araber leidtun, sondern weil sie nicht möchten, daß Deutschland die islamistischen Terroristen so provoziert, daß es hier zu Anschlägen kommt. Wir haben hier bei uns den Spruch: „Oh heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an“.

Natürlich gibt das niemand zu, aber es ist nun einmal so, daß wir Deutschen nicht das Volk sind, das die Zivilcourage und den Gedanken des „Für eine Überzeugung Geradestehens“ erfunden hat. Das Radio und die Zeitungen sind jetzt natürlich voll mit Krieg, egal was ansonsten das Thema ist. Selbst Kochrezepte sind ohne einen Hinweis auf den Krieg nicht mehr zu hören oder zu lesen.

Mit wieviel mehr Ruhe und Würde habt ihr dem Unvermeidlichen entgegengesehen, die ihr doch viel gefährdeter seid!

Ich denke daran, auf welchem Pulverfaß ihr im Libanon sitzt und hoffe, daß dieser Krieg an euch vorübergeht und nicht früher oder später auf eure kleine Insel übergreift.

Auf bald

Michael