Mehr als 800 iranische Filmschaffende haben eine Erklärung gegen sexuelle Belästigung, Nötigung und Gewalt in ihrer Branche unterzeichnet und damit ein Tabu gebrochen. Die Resonanz ist gewaltig, die Öffentlichkeit ist wachgerüttelt.

MeToo im Iran
Sexuelle Gewalt in der iranischen Filmbranche

Mehr als 800 iranische Filmschaffende haben eine Erklärung gegen sexuelle Belästigung, Nötigung und Gewalt in ihrer Branche unterzeichnet und damit ein Tabu gebrochen. Die Resonanz ist gewaltig, die Öffentlichkeit ist wachgerüttelt. Von Nasrin Bassiri

In der ersten Aprilwoche veröffentlichten iranische Medien Nachrichten über eine Erklärung, die von etwa 300 iranischen Schauspielerinnen, Filmproduzentinnen, Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und anderen in der Filmbranche tätigen Frauen unterzeichnet worden ist. In der "Erklärung der Frauen in der Filmbranche“ sprechen die Frauen von verbaler sexueller Belästigung, unerwünschtem Körperkontakt, erzwungenen sexuellen Handlungen und Nötigung unter Anwendung körperlicher Gewalt und schließlich auch von den Drohungen, über die Vorfälle zu schweigen, um ihre Positionen nicht zu verlieren. Inzwischen haben mehr als 800 Filmschaffende die Erklärung unterschrieben.

In der Erklärung werden sexistisches Verhalten und Gewalt gegen Frauen in diversen Bereichen der Filmbranche als systemisch bezeichnet. Die Unterzeichnerinnen beanstanden, dass es keine vorgezeichneten Wege oder definierten Mechanismen gebe, um mächtige Männer der Filmbranche an sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen zu hindern. Es sei eher umgekehrt: In diesem Arbeitsumfeld erscheinen sexuelle Belästigung und Übergriffe durch eine stillschweigende Übereinkunft als die gängige Norm. Die Täter müssen nicht ernsthaft mit Konsequenzen rechnen.

Deshalb lauten zentrale Forderungen der weiblichen Filmschaffenden: "Wir wollen in einem sicheren und friedlichen Umfeld arbeiten, ohne Unterdrückung und Verdorbenheit.“ Die Unterzeichnerinnen halten es für unabdingbar, eine unabhängige Kommission zur Untersuchung von Vorfällen einzurichten. Sie betonen, es müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich Frauen gegen sexuelle Belästigung, Gewalt und Übergriffe schützen können. Fünf Unterzeichnerinnen wurden ausgewählt, um eine solche Kommission zu gründen.

Prominente Unterzeichnerinnen

Unter ihnen sind namhafte Schauspielerinnen wie Taraneh Alidoosti. Die 38-Jährige hat im Oscar-prämierten Film von Asghar Farhadi "The Salesman“ die Hauptrolle gespielt. Ihr erster Film "Ich bin Taraneh, 15 Jahre alt“ wurde bei den Internationalen Filmfestspielen in Locarno, Thessaloniki und Brisbane als bester Film ausgezeichnet. Alidoosti bezeichnet sich als Feministin. Zweimal stand sie bereits wegen angeblicher "Verbreitung von Lügen und Propaganda gegen die islamische Ordnung“ vor Gericht. Letztlich hielt diese Beschuldigung nicht stand, dennoch wurde sie wegen "Beleidigung der Ordnungskräfte im Dienst“ zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Auf Twitter nimmt sie immer wieder Frauen in Schutz, die sich gegen den Schleierzwang wehren. Alidoosti hat zudem auch literarische Werke wie "The History of Love“ von Nicole Krauss und "Der Traum meiner Mutter“ der Nobelpreisträgerin Alice Munro übersetzt.

Die prominente iranische Schauspieklerin Taraneh Alidoosti; Foto: Iran Journal
Engagierte Feministin: Die prominente Schauspielerin Taraneh Alidoosti ist eine der Unterzeichnerinnen der "Erklärung der Frauen in der Filmbranche“. Die 38-Jährige hat im Oscar-prämierten Film von Asghar Farhadi "The Salesman“ die Hauptrolle gespielt. Ihr erster eigener Film "Ich bin Taraneh, 15 Jahre alt“ wurde bei den Internationalen Filmfestspielen in Locarno, Thessaloniki und Brisbane als bester Film ausgezeichnet. Alidoosti bezeichnet sich als Feministin. Zweimal stand sie bereits wegen angeblicher "Verbreitung von Lügen und Propaganda gegen die islamische Ordnung“ vor Gericht. Letztlich hielt diese Beschuldigung nicht stand, dennoch wurde sie wegen "Beleidigung der Ordnungskräfte im Dienst“ zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Auf Twitter nimmt sie immer wieder Frauen in Schutz, die sich gegen den Schleierzwang wehren.

Zu den weiteren Unterzeichnerinnen gehört auch Niki Karimi. Die 50-Jährige ist ein Superstar im Iran und eine Ikone des iranischen Kinos, als Regisseurin und Produzentin; außerdem arbeitet sie ebenfalls literarische Übersetzerin, unter anderem hat sie zwei Gedichtbänden von Frauen übersetzt. Alidoosti und Karimi standen 2017 und 2018 auf der Foto- und Video-Plattform Buzznet auf der Liste der "30 schönsten Frauen der Welt“ .

Einige Tage vor der Veröffentlichung der Erklärung sprach die Regieassistentin Somaye Mirshamsi über einen Vorfall während eines Drehs. Ein namhafter Schauspieler habe sie sexuell belästigt und bedrängt. Als er keinen Erfolg hatte, habe er mitten im Raum vor ihren Augen uriniert. Am nächsten Morgen habe sie den Vorfall dem Regisseur, der auch Produzent des Films ist, gemeldet und ihn gebeten, die Angelegenheit zu bereinigen. Doch der Regisseur habe nur gesagt: "Mach doch keinen Aufstand!“ Somaye Mirshamsi sprach öffentlich über den Vorfall. Die Berufsvertretungen der Schauspieler und Regieassistenten nahmen sie in Schutz. Sie ist nun Mitunterzeichnerin der "Erklärung der Frauen in der Filmbranche“ und eine der gewählten Sprecherinnen der Initiative.

Der bekannte Schauspieler Babak Karimi ermutigte Mirshamsi mit den Worten: "Was das Kino entehrt und entwürdigt, ist unser Schweigen und Nichtstun. Wir werden entehrt, wenn ein Produzent oder Regisseur zwar Kenntnis von unkorrektem Verhalten hat, aber davon keine Notiz nimmt, sich nicht für sein Team einsetzt, sondern zur Tagesordnung übergeht. Dann ist er Mittäter bzw. Co-Belästiger.“

Das Schicksal von Zohreh Fakoor-Saboor

Das iranische Nachrichtenportal "Club der jungen Reporter“ berichtete vom Tod einer Schauspielerin. Zohreh Fakoor-Saboor, 43, war eine kompetente und gefragte Schauspielerin, die in TV-Serien und Kinofilmen spielte; eine bescheidene Frau, die zwar keine Hauptrollen erhielt, dafür aber bei Charakterrollen glänzte und sowohl bei ihren Kolleginnen und Kollegen als auch bei den Zuschauern beliebt war. Ihr lebloser Körper wurde am 1. März 2022 im Schlafzimmer ihrer Wohnung gefunden. Neben ihr lagen leere Schachteln mit Beruhigungspillen. Die Polizei bezeichnete ihren Tod als verdächtig, auch wenn keine Anzeichen für eine Auseinandersetzung oder für den Einsatz von Gewalt an ihrem Körper festgestellt wurden. Die Leiche wurde autopsiert.
 

 

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