Rabats Verleumdungsmaschinerie 

Mit Zensur und Inhaftierungen versucht das Regime in Marokko, oppositionelle Stimmen mundtot zu machen. Offenbar fürchtet es seine eigene Instabilität angesichts wachsender Kritik in der Bevölkerung.
Mit Zensur und Inhaftierungen versucht das Regime in Marokko, oppositionelle Stimmen mundtot zu machen. Offenbar fürchtet es seine eigene Instabilität angesichts wachsender Kritik in der Bevölkerung.

Mit Zensur und Inhaftierungen versucht das Regime in Marokko, oppositionelle Stimmen mundtot zu machen. Offenbar fürchtet es seine eigene Instabilität angesichts wachsender Kritik in der Bevölkerung. Von Abdellatif El Hamamouchi 

Von Abdellatif EL Hamamouchi

Am 21. November 2022 wurde der Präsident der Anwaltskammer von Rabat und ehemalige Minister für Menschenrechte, Mohamed Ziane, von den marokkanischen Behörden verhaftet. Laut einer Erklärung des Marokkanischen Komitees zur Unterstützung politischer Häftlinge wurde der 80-Jährige Ziane in seiner Kanzlei in Rabat ohne richterlichen Beschluss festgenommen, nachdem 20 Sicherheitsbeamten sein Büro gestürmt hatten. 

 Ein Berufungsgericht in Rabat bestätigte unlängst eine gegen Ziane verhängte dreijährige Haftstrafe  wegen "Verachtung von Amtsträgern und der Justiz“, "Verbreitung falscher Nachrichten und Behauptungen“ und "Beleidigung öffentlicher Organe“.  Dabei stützte sich das Gericht auf Aussagen, die Ziane in Video-Statements gegenüber der Presse abgegeben hatte.



Darin hatte er massive Kritik am Königshaus, den Sicherheitsdiensten, Premierminister Aziz Akhannouch und den für Haushaltsangelegenheiten zuständigen Delegierten von Wirtschafts- und Finanzminister Fouzi Lekjaa geübt. Beiden letztgenannten warf er Korruption und Machtmissbrauch vor

Vor seiner neuerlichen Verhaftung war Ziane bereits vier Jahre lang Zielscheibe einer groß angelegten Diffamierungskampagne, die von staatlich gelenkten Online-Medien in einer konzertierten Aktion betrieben wurde. Eine der Websites, die den Sicherheitsdiensten nahesteht, veröffentlichte ein Sexvideo, das Ziane unbekleidet mit einer Frau in einem Schlafzimmer zeigen soll. Ziane beschuldigte die marokkanischen Geheimdienste, dieses Video fabriziert zu haben, um sein Ansehen in der konservativen marokkanischen Öffentlichkeit gezielt zu diskreditieren. 

 

Morocco: E-flies have been terrorizing human rights defenders and journalists in defense of the "Kingdom’s sacred foundations," against what they consider “traitors of the homeland.”https://t.co/LUPYJlmcKe

— SMEX (@SMEX) February 22, 2022

 

 

 

Kritische Stimmen zum Schweigen bringen

Obwohl Mohamed Ziane gute Kontakte zum 1999 verstorbenen König Hassan II. (dem Vater des jetztigen Herrschers, König Mohammed VI., Anm. der Red.) hatte, machte er in den letzten Jahren mit freimütigen Äußerungen über den marokkanischen Sicherheitsapparat von sich reden. Er wirft dem Regime vor, Dissidenten zu unterdrücken und mundtot zu machen.



Hauptgrund für die jüngsten Repressalien gegen ihn ist wahrscheinlich seine scharfe Kritik an den marokkanischen Behörden, denen er vorwirft, im Jahr 2017 Teilnehmer an den Protesten der "Hirak"-Bewegung“ verhaftet und in 2018 Journalisten mit fingierten Sex-Skandalen hinter Gitter gebracht zu haben. 

Der Parti Marocain Libéral (PLM), deren Vorsitzender Ziane ist, forderte die Auflösung des marokkanischen Auslandsgeheimdienstes (Direction Générale de la Surveillance du Térritoire / DGST) und des Nationalen Sicherheitsdienstes (Direction Générale de la Sûreté Nationale / DGSN). In einer scharfen Erklärung hat die Partei verurteilt, dass Online-Medien Artikel und Fotos aus dem Privatleben marokkanischer Bürgerinnen und Bürger veröffentlichen. Diese Webseiten seien "national und international für ihre Nähe zu den Sicherheitsbehörden bekannt“, heißt es in der Erklärung. 

Ziane zufolge hat sich der Nationale Sicherheitsdienst in eine "politische Polizei“ verwandelt, die Dissidenten überwacht und mit Diffamierungen überzieht, die von der Regierung nahestehenden Zeitungen und Websites verbreitet werden. Dies sei bei einer Reihe von marokkanischen Menschenrechtsaktivisten der Fall gewesen, darunter Maati Monjib, Fouad Abdelmoumni und Khadija Ryadi. Diese Menschen seien zur Zielscheibe  ehrverletzender Artikel geworden, die intime Fotos und Informationen veröffentlichten – ob erfunden oder authentisch. 

Mediale Verleumdungskampagnen

Diese regierungsnahen Medien drohen mit ihren Verleumdungskampagnen den Oppositionellen in der Regel mit der Veröffentlichung von kompromittierendem Bildmaterial, wenn sie ihre Kritik am Königspalast nicht zurücknehmen. So erging es dem Menschenrechtler und Wirtschaftswissenschaftler Fouad Abdelmoumni. Er hatte sich den Drohungen dieser staatsnahen Medien nicht gebeugt, sondern weiterhin den Königshof kritisiert.



Daraufhin wurden mehrere Videoclips veröffentlicht, die ihn angeblich bei sexuellen Handlungen zeigen. Aboubakr Jamaï, Dekan der School of Business and International Relations am Institute for American Universities (IAU College) in Marseille, ist davon überzeugt, dass der autoritäre marokkanische Staat mittlerweile neuartige repressive Methoden einsetzt, um das Privatleben unliebsamer Journalisten und Politiker auszuspionieren. Nach Ansicht von Jamaï trifft die medial gesteuerte Diffamierung nicht nur regierungskritische oder von den Machtzirkeln unabhängige Eliten, sondern erzeugt auch im Umfeld der Behörden eine alles beherrschende Angst. 

 

 

Die "neuartigen Unterdrückungsmethoden“ des marokkanischen Obrigkeitsstaates dokumentierte Human Rights Watch in einem Bericht vom Juli 2022 mit dem Titel "They'll Get You No Matter What, Morocco's Playbook to Crush Dissent“ (dt. Sie bekommen dich immer: Marokkos Strategie zur Unterdrückung unliebsamer Meinungen).  Laut diesem Bericht beruht das repressive System Marokkos auf gezielten Methoden, um "kritische Stimmen und potenzielle Regimegegner einzuschüchtern“. 

Zu diesen Methoden gehören unfaire Gerichtsverfahren und Urteile gegen unabhängige Journalisten. So wie bei Tawfiq Bouachrine, der zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde, Omar Radi, der sechs Jahre Gefängnis bekam und Soulaimane Raissouni, der fünf Jahre absitzen muss. Die drei Journalisten waren zudem Opfer der Verleumdungskampagnen von Zeitungen und Webseiten, die den Sicherheitsdiensten nahestehen. Sie wurden digital überwacht,  heimlich fotografiert und körperlich bedroht. Ihre Angehörigen wurden gezielt ins Visier genommen

Auf dass der Westen wegschaue 

Die Verschlechterung der Menschenrechtslage in Marokko geht einher mit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Rabat und Israel im Rahmen des Abraham-Abkommens unter Vermittlung der USA. Das marokkanische Regime setzt bei seiner Annäherung an Israel offenbar darauf, dass die westlichen Regierungen – und insbesondere die USA – bei Menschenrechtsverletzungen nicht mehr so genau hinschauen. In den regimetreuen Medien wird diese Auffassung mit dem Argument flankiert, der Weg nach Washington führe über Tel Aviv. 

Die regierungskritischen Eliten sind schwach und scheuen weiterhin die direkte Konfrontation mit dem Königshaus und den Sicherheitsdiensten. Angesichts fehlender unabhängiger, nationaler Zeitungen und angesichts der Schwäche der Zivilgesellschaft kann das marokkanische Regime seine repressiven Methoden weiter einsetzen, die Gesellschaft überwachen und unabhängige Stimmen zum Schweigen bringen. 

Allerdings könnte es auch sein, dass das Regime auf diese Weise seine eigene Schwäche und Instabilität verbergen will, die sich in der weit verbreiteten öffentlichen Kritik zeigt. Vor allem junge Menschen haben nach dem jüngsten Anstieg der Inflation und der Normalisierung der Beziehungen Marokkos zu Israel ihre Kritik massiv in den sozialen Medien zum Ausdruck gebracht. 

Abdellatif El Hamamouchi 

© sada | Carnegie Endowment for International Peace 2023 

Aus dem Englischen übersetzt von Gaby Lammers

Abdellatif El Hamamouchi ist ein investigativer Journalist und Politikwissenschaftler aus Marokko. Er ist Mitglied des Zentralbüros der marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte. 

 

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