Kritische Berichterstattung unerwünscht

Die Journalistinnen von Mada Masr (von links nach rechts): Rana Mamdouh, Sara Seif Eddin, Chefredakteurin Lina Attalah und Beesan Kassab vor der Kairoer Staatsanwaltschaft nach ihrer Freilassung auf Kaution.
Die Journalistinnen von Mada Masr (von links nach rechts): Rana Mamdouh, Sara Seif Eddin, Chefredakteurin Lina Attalah und Beesan Kassab vor der Kairoer Staatsanwaltschaft nach ihrer Freilassung auf Kaution.

Wegen offenkundig unerwünschter Berichterstattung haben Ägyptens Behörden den Druck auf Mada Masr erhöht, das letzte, größere unabhängige Nachrichtenportal im Land. Doch die Redaktion will sich nicht unterkriegen lassen. Von Jennifer Holleis

Von Jennifer Holleis

Mada Masr veröffentlichte einen Enthüllungsbericht über Korruption in einer der größten ägyptischen Parteien, dann geriet sie unter juristischen Beschuss: Ägyptens letztes größeres, nicht staatlich kontrolliertes Nachrichtenportal Mada Masr steht unter enormem politischen Druck.

"Wir haben mit Konsequenzen für diesen Artikel gerechnet", sagt Lina Attalah, Chefredakteurin von Mada Masr, im Deutsche Welle-Interview. Dennoch bereue sie nicht, ihn veröffentlicht zu haben. "Es gibt keinen Grund, eine Geschichte nicht zu veröffentlichen, solange die Beweise zu 100 Prozent stichhaltig sind."

Der Ende August veröffentlichte Artikel erörterte "schwerwiegende finanzielle Vergehen" prominenter Mitglieder der ägyptischen "Nation's Future Party". Das Missverhalten, forderte die Zeitung, solle zum Rückzug der Betroffenen aus der Politik führen. Die 2014 gegründete "Nation's Future Party" steht nach Ansicht von Beobachtern dem militärischen Geheimdienst und dem Verteidigungsministerium des Landes nahe.

Verhör bei der Staatsanwaltschaft

Eine Woche nach Veröffentlichung des Artikels wurden Lina Attalah und weitere Kolleginnen von der Kairoer Staatsanwaltschaft verhört. Diese beschuldigte die Journalistinnen der Verleumdung und Diffamierung von Mitgliedern der Partei. Außerdem warf sie ihnen vor, Falschnachrichten veröffentlicht zu haben. Diese störten demnach den öffentlichen Frieden und schadeten dem öffentlichen Interesse.

Zwar kam Lina Attalah nach Zahlung einer Kaution von umgerechnet rund 1020 Euro frei und ihre Kollegen wurden nach Zahlung von jeweils rund 255 Euro wieder entlassen. Unklar ist derzeit allerdings, ob die Staatsanwaltschaft ihren Fall vor Gericht bringen wird.

"Wir hoffen inständig, dass die Justiz die Anklage aus Respekt vor der Arbeit unabhängiger Journalisten fallen lässt", so Attalah gegenüber der Deutschen Welle.

 

— Amnesty MENA (@AmnestyMENA) September 8, 2022

 

Eine solche Entscheidung läge ganz wesentlich auch im öffentlichen Interesse, argumentiert Attalah. "Eine mächtige politische Partei sollte als öffentliche Einrichtung behandelt und in dieser Eigenschaft auch kritisiert werden", so die mehrfach ausgezeichnete Journalistin.

Bürokratische Spielchen

Während des Verhörs kam jedoch ein weiterer Vorwurf zur Sprache, der das Magazin schwer treffen könnte: Attalah wurde vorgeworfen, Mada Masr ohne Lizenz zu betreiben. "Ich habe seit 2018 Anträge auf eine Lizenz gestellt, die aber von den zuständigen Behörden ständig ignoriert wurden", so Attalah gegenüber der Deutschen Welle. Im Ergebnis hängt Mada Masr nun juristisch in der Schwebe.

Verschärft wurde der in Ägypten ohnehin hohe juristische Druck auf Medien auch durch die Einführung des sogenannten "NGO-Gesetzes" im vergangenen Jahr. Durch dieses sind Bürgerrechts- und Nichtregierungsorganisationen verpflichtet, sich bei der Regierung zu registrieren und dem Staat Einblick in ihre Arbeit und Finanzierung zu gewähren.

Außerdem verbietet das Gesetz die Zusammenarbeit mit ausländischen Gruppen oder die Veröffentlichung der Ergebnisse von Meinungsumfragen ohne Genehmigung der Regierung. Untersagt sind zudem alle Handlungen, die angeblich die "nationale Sicherheit" untergraben - ein Gummiparagraph. Denn zu entscheiden, für welche Fälle das zutrifft, ist Sache der Ankläger. Verstoßen sie nach deren Ansicht gegen das Gesetz, müssen Organisationen mit Geldstrafen von bis zu einer Million ägyptischer Pfund rechnen.

"Die Presse zum Schweigen bringen"

Für die internationale Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) sind die Verweigerung der Lizenz und das Verhör der Journalisten von Mada Masr ein Beispiel für den erheblichen Druck, dem Medienschaffende in Ägypten ausgesetzt seien. "Diese Maßnahmen spiegeln den Willen der Regierung, die Presse zum Schweigen zu bringen", sagt Pauline Adès-Mével, Sprecherin von RSF für die Region Nahost/Nordafrika, gegenüber der Deutschen Welle.

Lina Attalah, Chefredakteurin von Mada Masr (Foto: AFP)
Mut und aufrechte Haltung: Lina Attalah, Chefredakteurin von Mada Masr, ist weit davon entfernt, das Handtuch zu werfen. "Derzeit arbeiten wir an unserer Verteidigungsstrategie für den Fall, dass wir vor Gericht gestellt werden", sagt sie. Außerdem werde sie nicht aufhören, die dringend benötigte staatliche Lizenz zu beantragen, auch wenn ihre Anfragen weiterhin ignoriert würden. Vor allem will sie weiterhin kritisch auf die Geschehnisse im Land blicken und Missstände offenlegen. Mada Masr sei ein herausragendes Medium, sagt Timothy E. Kaldas vom Tahrir Institute for Middle East Policy. "Die Redakteure haben es geschafft, sich dem Druck nicht zu beugen. Sie zeigen enormen Mut in der Berichterstattung und sind bereit, die damit verbundenen Risiken auf sich zu nehmen."



Ähnlich sieht es auch das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ). Die Nicht-Regierungsorganisation stufte Ägypten im Jahr 2021 als Land ein, in dem Journalisten weltweit das dritthöchste Risiko eingehen, inhaftiert zu werden. Verschiedene Quellen schätzen zudem, dass in den letzten zehn Jahren bis zu 500 Medien und Websites geschlossen oder verboten wurden.

"Infolge der anhaltenden Razzien und der Unterdrückung des unabhängigen Journalismus hat die ägyptische Presse über die Jahre eine enorme Selbstzensur entwickelt", sagt Timothy E. Kaldas, Policy Fellow beim Tahrir Institute for Middle East Policy in Washington, gegenüber der Deutschen Welle.

Angst und Einschüchterung seien in dem Land am Nil ein hochgradig effektiver und kostengünstiger Mechanismus zur Kontrolle der Presse, so Kaldas weiter.

So überrascht es ihn wenig, dass Mada Masr unter Druck steht. "Angehörige des Regimes greifen Mada Masr kontinuierlich an, da es eines der wenigen Medien ist, dessen Berichterstattung sie nicht kontrollieren. Auch können sie Mada Masr nicht zwingen, die staatliche Propaganda zu reproduzieren, so wie es die meisten ägyptischen Medien zu tun pflegen."

Nachdem die Webseite des 2013 gegründeten Online-Nachrichtenportals gesperrt wurde, ist dieses nur noch über gesicherte, virtuelle private Netzwerke (VPN) oder über gespiegelte Seiten zugänglich, die die Sperrung umgehen. Auf diese Weise kann sich Mada Masr der Kontrolle der Behörden bis zu einem gewissen Grad entziehen.

Das hindert die Behörden nicht, auf andere Weise Druck auf das Magazin auszuüben. So wurde dessen Hauptsitz nach einem kritischen Bericht über den ältesten Sohn des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi im November 2019 gestürmt. Das Team wurde über Stunden festgehalten, vier Journalisten vorübergehend festgenommen.

Attalah selbst wurde 2020 vor dem Kairoer Tora-Gefängnis verhaftet. Dort hatte sie die Mutter des prominenten, seit Jahren mit kurzen Unterbrechungen im Gefängnis sitzenden Regimekritikers Alaa Abdel-Fattah interviewen wollen.

"Enormer Mut"

Mada Masr sei ein herausragendes Medium, sagt Timothy E. Kaldas. "Die Redakteure haben es geschafft, sich dem Druck nicht zu beugen. Sie zeigen enormen Mut in der Berichterstattung und sind bereit, die damit verbundenen Risiken auf sich zu nehmen."

Würde Mada Masr unter dem konstanten Druck aufgeben müssen, wäre dies "ein enormer Verlust sowohl für Ägypten als auch für die internationale Gemeinschaft beim Zugang zu Informationen über Ägypten", betont Kaldas.

Bislang ist Lina Attalah freilich noch weit davon entfernt, das Handtuch zu werfen. "Derzeit arbeiten wir an unserer Verteidigungsstrategie für den Fall, dass wir vor Gericht gestellt werden", sagt sie. Außerdem werde sie nicht aufhören, die dringend benötigte staatliche Lizenz zu beantragen, auch wenn ihre Anfragen weiterhin ignoriert würden.

Vor allem will sie weiterhin kritisch auf die Geschehnisse im Land blicken und Missstände offenlegen: "Wir berichten jeden Tag über die politische Lage, die Wirtschaftskrise und alles andere, was in Ägypten wichtig ist. Wir hoffen einfach, dass diese letzte Razzia nur eine weitere Episode in unserem Überlebenskampf sein wird", so Attalah.

Die Deutsche Welle hat auch die ägyptische Staatsanwaltschaft um Stellungnahme gebeten, bisher jedoch keine Antwort erhalten.

Jennifer Holleis

© Deutsche Welle 2022

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp