Gleichschalten oder abschalten

War im Zusammenhang mit dem "Arabischen Frühling" noch vor zwei Jahren die These von vermeintlichen Facebook-Revolutionen in aller Munde, so lässt sich heute insbesondere in Ägypten ein Zurück zu alten Mechanismen der autoritären Herrschaftssicherung im Mediensektor feststellen. Von Carola Richter

Von Carola Richter

In dem einen Jahr der Präsidentschaft Mohammed Mursis zeichnete sich eine massive politische und gesellschaftliche Polarisierung ab, die von den Medien nicht nur reflektiert, sondern auch befördert wurde.

Der Gründungsboom von Medien in Ägypten seit 2011 kann zwar einerseits als Ausdruck einer lebhaften politischen Kultur gelesen werden, andererseits war er aber auch Produkt einer vom alten Regime ererbten und kaum veränderten Struktur, die die Polarisierung begünstigte.

Noch unter Mubarak hatte es eine Liberalisierung im ägyptischen Massenmediensektor gegeben. Bereits seit dem Jahr 2000 wurden private Fernseh- und Radiosender lizenziert und seit 2003 sprossen "Al-Masry al-Youm", "Al-Dustur" und andere private Zeitungen am Markt.

Medienblüte und politischer Parallelismus

Im Zusammenspiel mit den zahlreichen Blogs und Foren in sozialen Medien trugen sie dazu bei, dass im Gegensatz zu anderen Ländern der Region wie Libyen oder Tunesien sich eine durchaus pluralistische Medienöffentlichkeit entwickeln konnte. Dies bildete auch den Resonanzboden für eine Breitenmobilisierung durch Aktivisten 2011.

Medien zwischen Zensur und Gleichschaltung in Zeiten der Konfrontation: In Ägypten hat sich das medienpolitische Klima seit der Machtenthebung Mursis dramatisch verschlechtert. Journalisten werden von den Behörden gezielt bedroht oder eingeschüchtert. Reporter ohne Grenzen verurteilt die zunehmende Gewalt gegen Journalisten.

Langfristig erweist sich aber die Persistenz dieser Strukturen für den Transformationsprozess als problematisch. Mit Blick auf Länder wie Italien, wo eine enge Verzahnung von bestimmten Parteien und politischen Eliten mit den Medien besteht, sprechen Kommunikationswissenschaftler von einer starken Ausprägung von "politischem Parallelismus". Politischer Parallelismus lässt sich auch für Ägypten konstatieren, wo jede politische Fraktion von den Muslimbrüdern bis zu den Nasseristen mindestens ein eigenes Medium auf dem Markt positioniert hat und ihre Interpretation der Ereignisse an die Bürger zu bringen versucht.

Verflechtung der Medien mit der Politik

Zu diesen offensichtlich partikularistischen Medien, die als Parteimedien seit Ende der 1970er in Ägypten eine Tradition haben, kommen aber noch privat finanzierte Medien hinzu, die zumeist von Wirtschaftsmagnaten betrieben werden. Häufig sind dabei politische und wirtschaftliche Interessen vermischt, wie bei dem Führer der "Wafd"-Partei, Sayed El-Badawi, der über seine "Hayat-TV"-Gruppe und die eigene Zeitung "Al-Wafd" nicht nur massiv Parteiwerbung macht, sondern auch seine Pharma-Produkte annonciert.

Naguib Sawiris ist Telekommunikationstycoon und Gründer der Partei "Freie Ägypter" in einem, steht als Schatteneminenz hinter dem Sender "OnTV" und hält einen Hauptanteil bei der bedeutendsten ägyptischen Tageszeitung "Al-Masry al-Youm". Insbesondere "Al-Masry al-Youm" hat sich über kritischen Journalismus einen Namen gemacht, dient aber auch als Plattform für Sawiris und anderen Unternehmern. Über einen "reinen" politischen Parallelismus hinaus gibt es in Ägypten also eine zusätzliche Dimension der Verflechtung der Medienstrukturen mit der Politik.

Denn die Wirtschaftsmagnaten haben spezifische Eigeninteressen, die zumindest indirekt politische Wirkungsmacht entfalten. In einem System, in dem die Unternehmereliten unter Mubarak eng mit den politischen Eliten verbandelt waren, hat sich eine Kultur des Loyalismus' gegenüber denjenigen eingebürgert, die die unternehmerischen Handlungsfelder am wenigsten einschränken und die kommerziellen Interessen am besten schützen.

Und auch wenn die Muslimbrüder eigentlich einer neo-liberalen Wirtschaftspolitik nicht entgegenstanden, ist es doch offensichtlich das Militär mit seinen eigenen Wirtschaftsimperien, die das größere Vertrauen der Wirtschaftsmagnaten haben. Ahmad Bahgat, der Mann der hinter der 2001 gegründeten "Dream-TV"-Gruppe steht, hatte bereits enge Beziehungen zu den Söhnen Mubaraks und hat nach 2011 Journalisten, die sich kritisch gegenüber der Armeeführung äußerten, entlassen.

Auch Mohammed al-Amin, dem neben der Zeitung "Al-Watan" der Sender "CBC" gehört, in dem der Satiriker Bassem Youssef mit seiner Show zu Hause ist, gilt als ein Profiteur des Mubarak-Regimes.

Mediale Stimmungsmache gegen die Muslimbrüder

"Auch die finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung für die Anti-Mursi-Unterschriftensammlung der "Tamarod"-Bewegung durch Naguib Sawiris zeugt davon, wie stark Graswurzelmedien für Partikularinteressen instrumentalisiert werden", schreibt Carola Richter.

Wenn die Muslimbrüder behaupten, diese Medien hätten über kritischen Journalismus hinaus massiv Stimmung gegen ihre Herrschaft gemacht, so ist dies durchaus richtig. Auch die finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung für die Anti-Mursi-Unterschriftensammlung der "Tamarod"-Bewegung durch Naguib Sawiris zeugt davon, wie stark zudem Graswurzelmedien für Partikularinteressen instrumentalisiert werden.

Allein, die Muslimbrüder sind nicht unschuldig an der Persistenz und der Verstärkung des Lagerdenkens im ägyptischen Mediensektor. Sie haben mit ihrem Fernsehkanal "Misr25", eigenen Zeitungen und einem Netz aus Online-Portalen ebenfalls partikularistische eigene Medien hervorgebracht, die viel auf Selbstpropaganda und wenig auf Aushandlung setzten.

Durch die offene Parteinahme des von Qatar finanzierten "Al-Jazeera Misr Mubasher" für die Muslimbrüder konnte zudem das Image einer von außen gesteuerten Vereinigung konstruiert werden. Die Reaktionen von Mursi und den Muslimbrüdern auf Kritik ihnen gegenüber in den Medien fielen angesichts dieser empfundenen Dämonisierung denn auch zunehmend hysterisch aus mit der Androhung von Verboten und Übergriffen auf Journalisten.

Dr. Carola Richter ist Juniorprofessorin für Internationale Kommunikation an der Freien Universität Berlin

Sie haben zudem verpasst, die reichweitenstarken Staatsmedien, insbesondere das Fernsehen und die von einem dem Parlament zugehörigen Organ gesteuerten nationalen Zeitungen wie "Al-Ahram" zu reformieren. Auch wenn dies zugegebenermaßen eine Herkulesaufgabe ist, so haben die Muslimbrüder doch lediglich versucht, die Medien durch die Benennung neuer leitender Redakteure in Unterstützer der eigenen Politik zu verwandeln, in der Hoffnung, die Balance der gegensätzlichen Lager zu ihren Gunsten zu verschieben.

Auf dem Weg zur medialen Gleichschaltung

Die Schaffung eines öffentlichen Rundfunks, in dem möglichst viele gesellschaftliche Gruppen repräsentiert sind, wurde nicht angegangen. Stattdessen kann nun die Übergangsregierung mit dem Militär im Hintergrund die politische und ideologische Ausrichtung der Staatsmedien nach ihrem Gusto wieder anpassen.

Die bereits in den Strukturen angelegte und als Medienkultur von den politischen, militärischen und ökonomischen Eliten verinnerlichte Lagerbildung und Verbreitung von Partikularinteressen ist also die Voraussetzung dafür gewesen, dass nach dem Sturz Mursis eine regelrechte Gleichschaltung der Medien durch das Militär erfolgen konnte, ohne dass es nennenswerten Widerstand durch Journalisten und Medienmacher gegeben hätte.

Der externe Medienpluralismus, der eigentlich gesund sein sollte für eine Gesellschaft, hat aufgrund fehlender konsensorientierter Arenen wie beispielsweise einem öffentlichen Rundfunk und einer Überhöhung von Partikularinteressen zu einer autoritären Restauration in Ägypten geführt.

Die Schließung von Fernsehsendern und Zeitungen sowie die Übergriffe gegen ausländische Medien damit zu begründen, gegen die Aufstachelung zu Terrorismus und anti-ägyptische Verschwörungen vorzugehen, gemahnt jedoch sehr an alte Zeiten.

Es ist zu hoffen, dass Journalisten und Medienmacher die Ereignisse kritisch reflektieren und ihre in den Umbrüchen 2011 errungene Schlagkraft zu nutzen, sich von Partikularinteressen emanzipieren und mithin helfen, die Polarisierung durch eine Reform der Medienstrukturen zu überwinden.

Carola Richter

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de