Ein Solitär

Im Mittelpunkt von "The Desert and the Drum" steht eine junge Frau aus dem heutigen Mauretanien, die mit der Zeit ein politisches Bewusstsein entwickelt. Der Roman erhielt 2017 den "English PEN Translates"-Preis und kommt als erster mauretanischer Roman in die Buchhandlungen. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

Romane aus Mauretanien sind, ganz gleich in welcher Sprache, außerhalb ihres Ursprungslandes schwer zu finden. Nur wenige wurden mit internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet, die in der Regel ein größeres Leserinteresse fördern. Auf der Longlist des "International Prize for Arabic Fiction" stand bisher nie ein Autor aus Mauretanien, auf der Longlist des "Sheikh Zayed Book Award" fand sich 2017 zum ersten Mal ein mauretanischer Roman. Weder den "Grand Prix Littéraire d'Afrique Noir" noch den "Prix des Cinq Continents" erhielt je ein mauretanischer Autor.

Mbarek Ould Beyrouk – der manchmal nur mit seinem Nachnamen Beyrouk genannt wird – ist ein prominenter mauretanischer Zeitungsjournalist, der seinen ersten Roman im Jahr 2006 veröffentlicht hat. Doch erst mit seinem dritten Werk, "The Desert and the Drum" (2015) erhielt er den Genfer "Prix Ahmadou Kourouma" und damit ein breiteres literarisches Forum.

Zwei Zeitebenen

Der kluge, detailgenaue Roman entfaltet sich auf zwei Zeitebenen. Auf der ersten verfolgt man das Schicksal Rayhanas in der heutigen Zeit, die zweite Ebene, die einige Jahre zurückliegt, schildert Rayhana als naiven Teenager. Der Roman springt zwischen den beiden Ebenen hin und her; zum einen soll damit Spannung erzeugt werden, zum anderen kommt es so zu einer Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart, Stadt und Land.

Buchcover Mbarek Ould Beyrouk: "The Desert and the Drum", Verlag: Dedalus Ltd
Die Welt durch Rayhanas Augen: Durch die Heldin des Romans in Mbarek Ould Beyrouks „The Desert and the Drum“ sehen wir die Skurrilität unserer heutigen urbanen Lebensweise mit ganz neuen Augen. Beyrouks Buch ist vor Kurzem auf Englisch im Verlag Dedalus Ltd erschienen.

Gleich zu Beginn des Buches erfahren wir, dass Rayhana aus ihrem Dorf geflohen ist. Sie läuft zu Fuß durch die Wüste und trägt dabei eine gestohlene Trommel, als wäre sie ein Baby. Es gelingt ihr, immer noch mit der Trommel, eine nahegelegene Kleinstadt zu erreichen, doch auf dem Weg dahin versucht ein Mann, sie zu vergewaltigen.

Die andere Zeitachse setzt einige Jahre vor diesen Ereignissen ein. Als Rayhana noch als pfiffiger, offenherziger Teenager in ihrem Dorf lebt, tauchen riesige Lastwagen auf, voll besetzt mit ausländischen Ingenieuren, die in der Nähe des Dorfes ihre Ausrüstung abladen. Danach "schien es, als wären mehrere Sprossen von der Leiter unserer Tagesroutine abgebrochen".

Die Ankunft der Ncaras

Als die Ncaras – die Europäer – in der Nähe von Rayhanas Dorf ihr Lager aufschlagen, drängen sie sich den Dorfbewohnern keineswegs auf. Und doch verändern ihr Lärm und ihre Anwesenheit den Rhythmus des Dorflebens.

Die Schilderung dieser Vorgänge erinnert an andere literarische Werke über die Ankunft der Europäer, wie beispielsweise Chinua Achebes Roman Okonkwo oder Das Alte stürzt (1958); doch auch heute noch kann man Ähnliches beobachten, ganz so, als würde sich die Geschichte im Kreis drehen.

Der einzige Fremde, den wir näher kennenlernen, ist Yahya, ein Mauretanier, der bei den Ncaras arbeitet und hin und wieder ins Dorf kommt, wo er sich mit den halbwüchsigen Jungen und Mädchen anfreundet. Der in der Stadt aufgewachsene Lehrer wettert gegen diese "gemischten" Zusammenkünfte, aber die Dorfbewohner hören nicht auf ihn.

Die Mütter "verhöhnten ihn: 'Wenn du erst einmal eine eigene Tochter hast, kannst du sie ja lebendig begraben, falls dir der Sinn danach steht'."

Mit einem hat der Lehrer jedoch recht: Yahya hat tatsächlich die Absicht, Rayhana zu verführen. Zuerst versucht er es mit Gedichten und Komplimenten. Dann taucht er eines Nachts in ihrem Zelt auf. Er bittet nicht um Erlaubnis, und Rayhana lässt sich von seinem Drängen und ihrem eigenen Begehren mitreißen.

Ihre Beziehung dauert mehrere Wochen, während derer Rayhana auf einen Heiratsantrag wartet. Doch als die ausländischen Ingenieure eines Nachts ihre Zelte abbrechen, verschwindet auch Yahya.

Daraufhin bringt Rayhanas Mutter die Tochter für ein knappes Jahr aus dem Dorf weg. Als die beiden Frauen ohne das inzwischen geborene Baby zurückkommen, verheiratet die Mutter ihre Tochter mit einem der angesehensten Männer des Dorfes. Der Auserwählte ist tatsächlich ein anständiger Mann, der Rayhana anbietet, ihr bei der Suche nach ihrem Kind behilflich zu sein. Doch selbst er sieht in Rayhana nicht die Person, die sie wirklich ist, sondern projiziert seine eigenen Wünsche und Vorstellungen auf sie. Rayhana läuft weg, um allein nach dem Baby zu suchen und stiehlt vorher das wichtigste Symbol des Stammes – eine Trommel.

Freiheit und Mitgefühl am Rand der Gesellschaft

Fast alle Männer, auf die Rayhana trifft, wollen etwas von ihr. Einige, wie Yahya, nutzen ihre Gutgläubigkeit aus, andere versuchen sie in ihre eigenen Erwartungen und Wünsche hineinzuzwängen. Der Einzige, der sie mit Großzügigkeit und Respekt behandelt, ist der schwule Hawa. Nur Menschen wie Hawa, die an den Rändern der Gesellschaft leben, erkennen, wer Rayhana wirklich ist, auch wenn das nicht bedeutet, dass sie sie letztlich retten können.

Das Buch bietet keine einfachen Lösungen und auch keine geradlinige Erzählstruktur. Städtisches Leben ist nicht gleichbedeutend mit Befreiung, und das Dorf ist nicht per se eine verschworene Gemeinschaft.

Rayhana, die in ihrem Dorf der Oberschicht angehört hat, fühlt sich in der Kleinstadt Atar überfordert und missachtet: "Atar und seine Bewohner mochten mich nicht. Sie starrten mich belustigt an, als sei ich vom Himmel gefallen oder aus irgendeinem sonderbaren, fremden Land gekommen."

Rayhanas Freundin Mbaraka dagegen war in ihrem Heimatdorf eine Sklavin und erlebt Atar ganz anders. Die Menschen, sagt sie, sind "anders als die, die ich vorher kannte, aber ich mag die Art, wie sie einen aufnehmen. Woher man kommt, spielt keine Rolle."

Mbaraka ist eine der überzeugendsten Gestalten in der Riege der interessanten Nebenfiguren. Als Sklavin "gehörte" sie Rayhanas Mutter. Doch sie sagt auch: "Es gab keinen Donnerschlag, der Himmel ist nicht eingestürzt; ich habe einfach nur beschlossen, dass ich mir selbst gehören wollte."

Fremd in der Großstadt

In der quirligen mauretanischen Hauptstadt Nouakchott fühlt sich Rayhana noch unbehaglicher. "Die Menschenmasse, die Gesichter und das Geschrei blieben noch Stunden an einem haften, auch wenn man von ihnen weg war, eine Mahlzeit gegessen, Freunde getroffen hatte. Man hatte das Murmeln der Menge immer noch in den Ohren, und ohne es zu merken, fing man an, sich genauso zu benehmen wie sie." Andererseits beneidet sie die Städter darum, dass sie "sich selbst gehören".

Alle Orte haben ihre Schönheitsfehler: Einmal empört sich Rayhana über das schlecht geführte Waisenhaus in der Stadt und erklärt, im Dorf würde so etwas nie passieren. Hawas Neffe Abdou zuckt darauf nur die Schultern "als wolle er sagen 'Da wo du herkommst, haben sie dir dein Kind gestohlen'."

Interessanterweise fühlt sich auch Hawa in der Hauptstadt nicht wohl. Zwar bringt er Rayhana nach Nouakchott zu seiner Schwester, damit sie bei ihr leben kann, aber er selbst bleibt nicht dort. Als schwuler Mann, erklärt er, sei er in Nouakchott zu "sichtbar", anders als in der Kleinstadt Atar.

Der einzige störende Aspekt der ausdrucksstarken und unterhaltsamen Übersetzung sind die Fußnoten des Autors und der Übersetzerin, die den Lesefluss durch oft unnötige Erläuterungen und anthropologische Einschübe unterbrechen.

Ansonsten strotzt der Roman von interessanten Charakteren und grundlegenden Fragestellungen. Und durch Rayhanas Blick sehen wir die Skurrilität unserer heutigen urbanen Lebensweise mit ganz neuen Augen.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2019

Übersetzt aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff