Eine politische Doppelstrategie

Marokko hat eine Charmeoffensive gestartet, um sich den subsaharischen Ländern anzunähern. Das Königreich möchte auch der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) beitreten. Doch das gefällt nicht jedem. Von Gwendolin Hilse

Von Gwendolin Hilse

Marokkos König Mohammed VI. macht den Beitritt seines Landes zur Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) zur Chefsache. Anfang des Jahres besuchte er Ghana, die Elfenbeinküste, Guinea und Mali, um für seine Sache zu werben. Im Juni erklärte die ECOWAS auf ihrem Gipfel in Monrovia, dass ein Beitritt prinzipiell möglich sei. Bereits im Januar war Marokko nach 33 Jahren wieder in die Afrikanische Union (AU) eingetreten. In jüngster Vergangenheit hatte der Monarch dutzende bilaterale Handelsverträge mit afrikanischen Ländern abgeschlossen.

In den letzten Jahren gingen 85 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen Marokkos nach Afrika. Mit acht Milliarden US-Dollar an angekündigten Investitionen war das Land 2016 der größte afrikanische Investor auf dem Kontinent. Allein 2,7 Milliarden investierte das Königreich in der Elfenbeinküste. Doch der Handel mit Afrika stockt: nur 1,4 Prozent der marokkanischen Importe und sieben Prozent der Exporte wurden 2015 mit Subsahara-Afrika abgewickelt. Eine Vollmitgliedschaft Marokkos in der ECOWAS würde Zugang zum freien Markt mit ihren 15 Mitgliedern bedeuten.

"Win-win-Situation"

Wirtschaftlich steht einer Mitgliedschaft Marokkos nichts im Wege – das Land steht besser da als die meisten ECOWAS-Mitglieder. Und auch die geographische Lage in Nordafrika ist laut der Verfassung der Wirtschaftsgemeinschaft kein Ausschlusskriterium. Afrika-Experte Christoph Kannengießer sieht eine Win-win-Situation: "Die ECOWAS wird durch ein ökonomisch starkes Land wie Marokko nicht geschwächt und Marokko kann als ECOWAS-Mitglied seine angestrebte Rolle als Brücke zwischen Afrika und Europa intensiver ausspielen."

Westsahrauisches Flüchtlingscamp Smara; Foto: Getty Images/AFP
Problemfall Westsaharakonflikt: Die ECOWAS erkennt die Westsahara als autonomen Staat an, Marokko hingegen sieht den annektierten Teil als rechtmäßige Provinz des Königreichs. Die Westsahara liegt zwischen Marokko und Mauretanien am Atlantik. Marokko erhebt Anspruch auf das Gebiet und kontrolliert es größtenteils, was jedoch international nicht anerkannt wird. Die Befreiungsbewegung Polisario will die Unabhängigkeit für die Westsahara.

Bevor Marokko jedoch formal beitreten könne, müssten zunächst die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen abgewogen werden, so die ECOWAS. Denn das Staatenbündnis zielt neben der wirtschaftlichen auch auf eine politische Integration der Mitglieder ab.

Doch hier gibt es Unstimmigkeiten: Die ECOWAS erkennt die Westsahara als autonomen Staat an, Marokko hingegen sieht den annektierten Teil als rechtmäßige Provinz des Königreichs. Vom Gipfeltreffen, auf dem über den Beitritt Marokkos beraten wurde, blieb der König fern, weil Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ebenfalls eingeladen war. Marokko führe keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, hieß es von Seiten der marokkanischen Regierung.Der Wunsch nach neuen Verbündeten

Marokko gehört der Union des Arabischen Maghreb (UAM) an. Doch durch wirtschaftliche und politische Uneinigkeiten - vor allem zwischen Marokko und Algerien - steht der nordafrikanische Staatenbund praktisch still. Seit 2008 gab es keine größeren Versammlungen der Mitglieder. Bei Marokkos wichtigstem Handelspartner, der Europäischen Union, schwächelt die Wirtschaft. Neue Verbündete und neue Absatzmärkte für marokkanische Produkte müssen her. Die ECOWAS-Staaten mit 350 Millionen Einwohnern sind da ein willkommener Partner.

"Die Marokkaner fahren eine politische Doppelstrategie", meint Kannengießer. Einerseits suche das nordafrikanische Land eine privilegierte Beziehung zu Europa, andererseits verstärke es seine Integration auf dem afrikanischen Kontinent, so der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft.

Die Mitgliedsländer der ECOWAS in Westafrika; Quelle: DW
Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft als attraktiver Partner Marokkos: „Als ECOWAS-Mitglied kann das nordafrikanische Land seine angestrebte Rolle als Brücke zwischen Afrika und Europa intensiver ausspielen", meint Afrika-Experte Christoph Kannengießer.

"Die Marokkaner wissen, dass der afrikanische Kontinent, insbesondere Westafrika, Wachstumsregionen sind. Sie versprechen sich vor allem wirtschaftliche Vorteile, aber auch einen wachsenden politischen Einfluss auf dem Kontinent." Es müsse besprochen werden, ob eine wirtschaftliche Integration zwangsläufig auch zu einer politischen Integration führe.

"Ein Frontalangriff auf Nigeria"

In Nigeria, dem wirtschaftsstärksten Mitgliedsstaat der ECOWAS, regt sich Widerstand gegen einen Beitritt Marokkos. Verschiedene Interessengruppen raten der nigerianischen Regierung, die Aufnahme zu verhindern. Derzeit macht Nigeria mehr als zwei Drittel der Wirtschaftskraft der ECOWAS aus. Marokko wäre wirtschaftlich das zweitstärkste Mitglied - mit einer höheren Wirtschaftsleistung als Ghana, Elfenbeinküste, Senegal und Mali zusammengenommen.

"Ein Beitritt Marokkos in die ECOWAS ist ganz klar ein Frontalangriff auf Nigeria und seine strategische Position in Westafrika", sagt der ehemalige nigerianische Außenminister Bolaji Akinyemi. Die Unterstützer des Aufnahmeantrags von Marokko wollten Nigerias Einfluss in der Region schwächen. Im Falle eines Beitritts solle Nigeria aus der ECOWAS austreten. "Ich denke nicht, dass die ECOWAS das überleben würde." Um die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht zu gefährden, empfiehlt Akinyemi bilaterale Abkommen zwischen Nigeria und Marokko.

"Ich denke, dass am Ende auch in Nigeria der ökonomische Pragmatismus eine große Rolle spielen wird", sagt Kannengießer. "Deshalb finde ich solche Positionen aktuell relevant, aber auch veränderbar." Er sieht mehrere mögliche Ausgänge für das Antragsvorhaben Marokkos: eine Vollmitgliedschaft, einen privilegierten Integrationsstatus oder einen Beobachterstatus als Zwischenlösung. "Vielleicht aber scheitert das Ganze auch an dem Veto Nigerias."

Gwendolin Hilse

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