Angst im Rif

Nach den Attentaten in Madrid kam es in vielen marokkanischen Städten zu Solidaritäts-Kundgebungen mit Spanien. Denn auch in Marokko werden nun Übergriffe auf die in Spanien lebenden Landsleute befürchtet. Lennart Lehmann berichtet aus Marokko.

Nach den Attentaten in Madrid kam es in vielen marokkanischen Städten zu Solidaritätskundgebungen mit Spanien. Denn auch in Marokko werden nun Übergriffe auf die in Spanien lebenden Landsleute befürchtet. Lennart Lehmann berichtet aus Marokko.

Foto: dpa
Straßenszene in Casablanca

​​In Marokko haben die Bombenattentate in Madrid, bei dem über 200 Menschen getötet und mehr als 1.500 verletzt wurden, Befremden und Verunsicherung bei der Bevölkerung ausgelöst. Finden sich sonst immer irgendwelche Subjekte, die einen Anschlag gegen die USA zumindest nicht ungerechtfertigt finden, so wird dieses Attentat durchweg von allen Parteien und Bevölkerungsgruppen verurteilt. Spanien ist ein zu enger Nachbar, um zynische Gefühle aufkommen zu lassen.

Besonders heikel ist, dass gegenwärtig Marokkaner die Hauptverdächtigen Drahtzieher des Attentats sind: Jamal Zougam, 30, Mohamed Bekkali, 31, and Mohamed Chaoui, 34, sowie zwei weitere am Donnerstag verhaftete Männer. Nach 20 weiteren fahndet die Polizei. Zougam, Bekkali und Chaoui stammen aus den im Norden gelegenen Städten Tanger und Tetouan. Die marokkanische Polizei verdächtigt Zougam, auch an dem Bombenattentat von Casablanca im letzten Jahr beteiligt zu sein.

Auch Marokkaner unter den Opfern

Im Maghrebstaat fürchten nun viele, dass Gastarbeiter am anderen Ufer der Straße von Gibraltar Opfer von Racheakten werden könnten. Nach den Attentaten war es in verschiedenen Städten Marokkos zu Solidaritätsveranstaltungen mit Spanien gekommen. In Tanger und Imzouren waren zuvor die Überreste der drei bei dem Attentat auf dem Bahnhof Atocha getöteten Marokkaner, einem 14 jährigen Mädchen und zwei jungen Männern, 24 und 27 Jahre alt, in einem Trauerzug durch die Straßen zur letzten Ruhestätte getragen worden.

„Das waren Terroristen, keine Marokkaner“, brachte ein Bewohner Tangers die Stimmung zum Ausdruck. Andere betonten vehement, dass Terrorismus nichts mit Islam zu tun habe. „Wichtig ist jetzt, nach den Ursachen zu fragen: Wie kommt es, dass Menschen aus den entlegensten Erdteilen sich zu internationalen Terrornetzwerken zusammenschließen.“

König beschwört gute Beziehung zu Spanien

Auch von Regierungsseite wurde an die Bevölkerung Spaniens appelliert, die Terroristen nicht mit Marokkanern gleichzusetzen. König Mohamed VI beschwor in einem öffentlichen Brief an Ministerpräsident Luis Rodriguez Zapatero die engen Verbindungen zwischen Marokko und Spanien.

Die Regierung in Rabat entsandte kurz nach dem Anschlag Polizeikräfte nach Spanien, die bei der Identifizierung und Befragung der Verdächtigen helfen sollen. Nach Hinweisen zu terroristischen Verbindungen der Hauptverdächtigen suchte die Polizei in Tanger und Tetouan in ehemaligen Schulen und Wohngegenden der suspekten Attentäter. Mindestens einer soll gute Kontakte zu Terroristen gehabt haben. Angesichts der anhaltenden Gewalt in Nahost äußerte sich die Regierung „sehr beunruhigt.“ Die Präsenz von Sicherheitskräften wurde allerdings in den Straßen nicht spürbar erhöht.

Tausende wurden verhaftet

Die Medien in Marokko spekulierten ausführlich über mögliche Verbindungen der Verhafteten zum Terrornetzwerk „Al Kaida“ und Zusammenhängen zwischen den Attentaten von Madrid und Casablanca.

Marokkanische Menschenrechtsgruppen warnen nun vor neuen Verhaftungswellen. Seit den Attentaten vom 16. Mai sind Tausende von Menschen verhaftet und verurteilt worden, nicht immer in Einklang mit den internationalen Menschenrechtskonventionen.

Lennart Lehmann

© Qantara.de 2004