"Eine Ikone arabischer Gegenwartskultur"

Der Libanese Marcel Khalifeh, der vielfach als "Bob Dylan des Nahen Ostens" gesehen wird, gehört zu den wenigen Musikern in dieser Region, die eine politische Botschaft haben, meint Ala Al-Hamarneh. Von der UNESCO wurde Khalifeh kürzlich der Titel "artist for peace" verliehen.

Von Ala Al-Hamarneh

​​Der bekannte palästinensische Lyriker Mahmoud Darwish bezeichnete Khalifeh einmal als "einen Künstler, der für Hoffnung und Menschlichkeit steht, der die spirituellen Ressourcen des Menschen aufzeigt und dessen Ästhetik mit Frieden, Leben und Freiheit untrennbar verbunden ist". Und Edward Said nannte ihn "eine Ikone arabischer Gegenwartskultur". Jetzt ist der libanesische Musiker wieder in den Schlagzeilen der arabischen Medien, nachdem ihm im Juni 2005 als erstem arabischen Künstler von der renommierten internationalen UNESCO der Titel "artist for peace" verliehen wurde.

Khalifeh, der die Programminhalte des arabischen Satellitenfernsehens kürzlich als "neue kulturelle Hurerei arabischer Machart" bezeichnete, hat gerade ein neues Album (Muda'aba, Liebkosung) sowie eine vierstündige autobiographische DVD (Rahala, Reisender) veröffentlicht.

Rationaler "Tarab"?

Marcel Khalifeh hat einmal gesagt, er versuche, "den Tarab rationaler zu machen, weniger instinktiv". Das arabische Wort Tarab bezeichnet eine Art von Trance, in den die Musik den Zuschauer zu versetzen sucht. Weniger in der Musik als vielmehr in den politischen Texten findet man das rationale Element Khalifehs. Seine populärsten Lieder basieren auf Gedichten von Mahmoud Darwish.

In den 70er und 80er Jahren, als im Libanon Bürgerkrieg herrschte, die Bevölkerung sich gegen die Armeesoldaten zur Wehr setzte, die gerade den Südlibanon besetzt hatten, als der Kampf um die Menschenrechte in Israel begann und es zum ersten palästinensischen Aufstand kam, füllten die Texte Darwishs - vermittelt durch die Musik Khalifehs, in der zeitgenössischen arabischen Musikszene eine Leerstelle aus. Bisher war populäre Musik entweder schlicht propagandistisch gewesen oder hatte sich von aktuellen Themen ferngehalten.

Politik und Musik

So wurde Kahlifeh zu einem der wichtigsten, politisch engagierten Musiker seines Landes. Zwar war bereits in den späten 60er Jahren etwa für die Rahbani-Brüder, libanesische Komponisten oder die Sängerin Feiruz der Palästina-Konflikt ein wichtiges Thema gewesen - wie man an ihren legendären Liedern Sanarjiu’ Yoman (Eines Tages kehren wir zurück) oder al-Tiflu fil maghara (Das Kind in der Grotte) hören kann. Später jedoch hatte ihre Musik keinen Bezug mehr zur aktuellen Politik.

Andere Musiker - wie Samih Shuqair, Ahmad Qabour oder Sheikh Imam - waren hingegen durchaus politisch, aber künstlerisch weniger anspruchsvoll als Khalifeh. Oder aber sie waren zu anspruchsvoll: Musiker, die (wie etwa Ziad Rahbani) auf moderne musikalische Formen zurückgriffen, die einem breiten arabischen Publikum gänzlich unbekannt waren, mussten von vornherein damit rechnen, nur ein kleines Publikum zu finden.

Kahlifeh fand hier schon sehr früh einen Mittelweg: Indem er auf volkstümliche Traditionen zurückgriff und innovativ mit ihnen umging, gelang es ihm, mit seiner Musik auch ein breiteres Publikum zu erreichen – und mit seinen Texten. Seine Lieder aus den 70er Jahren, die übersetzt Identitätspapier, Mutter, Rita oder Brücke hießen und in denen es um ein palästinensisches Vaterland und die Einheit der arabischen Gemeinschaft ging, um nationale Identität und Opferbereitschaft, sind heute Klassiker ihres Genres. Und noch immer will das Konzertpublikum sie hören.

Musik für linksliberale Intellektuelle?

In den 90er Jahren nahm Khalifehs künstlerischer Werdegang eine radikale Wendung. Nachdem die panarabische Ideologie ebenso wie die marxistische in eine Krise geraten war, erfuhr in den 90er Jahren ein konservativer und radikaler Islam einen Aufschwung. Khalifeh reagierte darauf musikalisch in einer Art und Weise, die geradezu einer Neudefinition dessen gleichkommt, was arabische Musik sein sollte: So verarbeitete er die Gedichte von Darwish in der Operette Ahmad al-Arabi (Ahmad, der Araber) und schrieb ein Instrumentalkonzert mit dem Titel Jadal (Streitgespräch). Jadal gehört zu den besten Konzertstücken, die Khalifeh jemals komponiert hat. Seine Interpretation traditioneller Oud-Musik erreichte in Hinblick auf ihre Subtilität ein ganz neues Niveau.

Islamistische Fundamentalisten sahen sich prompt dazu veranlasst, ihre Stimme zu erheben. Wegen des Liedes Yusuf ya abi (Ah Vater, ich bin Yusuf). lautete der Vorwurf Gotteslästerung. Obwohl alle Texte von Darwish stammten, griffen die Fundamentalisten lediglich den Sänger an. Zur Folge hatte dies allerdings nur, dass die Popularität Khalifehs weiter zunahm.

Jetzt wurde er auch von den liberalen Zirkeln wahrgenommen, die ihn aufgrund seiner kommunistischen Vergangenheit bisher ignoriert hatten. Die Experimente mit traditioneller Oud-Musik hat Khalifeh nun mit seinen neuen Projekten fortgesetzt, mit Texten und ohne: in seinem Konzert Al-Andalus und in seinem neuen Album Muda'aba .

Neue Horizonte für moderne arabische Musik

Stücke wie Granada und I pass by your Name im Al-Andalus-Konzert oder Chaza auf dem Muda'aba-Album zeigen an, dass dieser Künstler sich in der modernen arabischen Musik ein weiteres Mal neue Horizonte eröffnet hat. Allerdings ist diese neue Art von Musik bei der Jugend und den breiten Massen nicht beliebt. Zu Khalifehs Konzerten kommen seine Altersgenossen, die in den 70er und 80er Jahren, als er seine größten Erfolge feierte, ihre Jugend verbrachten.

Sie wollen Lieder und Balladen hören, die vom Widerstand erzählen; sie kennen und lieben die Texte von Darwish. Kalifehs jüngste musikalische Innovationen werden bisher nur von einem kleinen Zirkel Intellektueller wahrgenommen. Seine kritische Haltung gegenüber der zeitgenössischen arabischen Popmusik, die sich von im Eigentum arabischer Multimilliardäre befindlichen Satellitensendern trendgerecht vermarkten lässt, kommt deshalb nicht von ungefähr. Sie zeugt von dem Wunsch, dass die Massenmedien ernsthafte, alternative Musikgenres außerhalb des Mainstreams stärker unterstützen mögen.

Ala Al-Hamarneh

© Qantara.de 2005