Reform ohne Demokratie?

Bei den Wahlen in Malaysia mussten die moderaten Islamisten eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Indem Premierminister Badawi der Religion wieder mehr Gewicht verlieh, konnte er viele Muslime für sich gewinnen.

Bei den Wahlen in Malaysia musste die Partei der moderaten Islamisten eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Indem Premierminister Abdullah Badawi der Religion wieder mehr Gewicht verlieh, konnte er viele Muslime für sich gewinnen. Charlotte Wiedemann mit einer Wahlnachlese.

Wahlsieger Abdullah Ahmad Badawi, Foto: AP
Wahlsieger Abdullah Ahmad Badawi

​​Der Aufstieg einer politischen Islam-Partei hat in jedem Land spezifische Ursachen - deswegen ist auch ihr Abstieg möglich, mag die Stimmung zwischen Orient und Okzident anderswo noch so konfrontativ sein.

Die Wahlen in Malaysia haben diese einfache Wahrheit ins Bewusstsein zurückgerufen. Die dortige oppositionelle Islam-Partei PAS (Parti Islam Semalaysia), eine vergleichsweise moderate Spielart von Islamisten, verlor gravierend an Einfluss. Malaysias Premierminister Abdullah Badawi, erst seit fünf Monaten im Amt, holte muslimische Wähler in Scharen zur säkular geprägten Regierungspolitik zurück.

Als Malaysias Patriarch Mahathir Mohamad im vergangenen Oktober die Geschäfte nach 22 Amtsjahren an seinen Nachfolger übergab, fragten sich Außenstehende irritiert: Wer ist der Alte, wer ist der Neue? Neben Mahathir, dem erstaunlich agilen 78jährigen, wirkte der bedächtige Abdullah, obwohl 14 Jahre jünger, grau und kraftlos.

Macht der Regierungspartei wieder konsolidiert

Nun verbuchte er einen Erfolg, der alle Prognosen übertrifft. Die Islam-Partei verlor den ölreichen Bundesstaat, den sie vor vier Jahren gewonnen hatte; sie schmolz im nationalen Parlament auf unter zehn Prozent, sogar ihr Vorsitzender verlor dort seinen Sitz.

Die Macht der eben noch krisengeschüttelten "United Malays National Organisation" ist wieder konsolidiert; sie bleibt die dominierende (muslimische) Kraft in einer Koalition mit kleineren indischen und chinesischen Parteien.

Ringen um Wählerstimmen der Muslime

Der so genannte "Kampf um die Köpfe der Muslime" - sie stellen 60 Prozent der Bevölkerung - hatte die malaysische Innenpolitik in den vergangenen Jahren beherrscht, meist als ein polemisches, inhaltsarmes Ringen um den "richtigen Islam" und um begriffliche Hegemonie. Malaysias muslimische Gesellschaft wurde im Laufe dieses Tauziehens kulturell konservativer; auch verschlechterte sich schleichend das Verhältnis zu den Nicht-Muslimen.

Abdullah entschied den Kampf um die Köpfe nun mit einer durchaus widersprüchlichen Linie: Mehr Religiösität zeigen, mehr Sauberkeit in der Politik versprechen - aber keineswegs mehr Demokratie zulassen.

Der Premier als Imam

Mehr Religiosität verkörpert der Premier bereits aufgrund biographischer Daten. Vater und Großvater waren muslimische Gelehrte, er selbst studierte Islamwissenschaft, er spricht Arabisch und tritt gern als Vorbeter auf, wenn er in Dörfern zu Besuch ist.

Der Islam-Partei bot Abdullah also wenig Angriffsfläche, anders als sein Vorgänger Mahathir, dessen säkulares, weltmännisches Auftreten zunehmend als "unislamisch" galt; auch haftete Mahathir an, dass er seinen früheren Vize Anwar Ibrahim skrupellos entmachtete und einem demütigenden Verfahren wegen angeblicher sexueller Verfehlungen auslieferte.

Gegen Vetternwirtschaft und Luxus

In den ersten Amtsmonaten distanzierte sich Abdullah Badawi vorsichtig von einigen Exzessen der Mahathir-Ära. Er schraubte kostspielige Prestigeobjekte herunter, verwarf den Plan eines seit langem umstrittenen Staudamms. Die Polizei, als bestechlich und unfähig verschrien, will er auf den Prüfstand stellen; Regierungsaufträge sollen künftig öffentlich ausgeschrieben werden.

Die Vetternwirtschaft in Politik und Business stößt vielen Malaien auf; vor vier Jahren gewann die Islam-Partei mit dem Anprangern von Korruption und "schmutziger Politik" Zulauf. Populär war folglich auch Abdullahs Kritik am allzu protzigen Lebensstil führender Politiker seiner eigenen Partei.

Ob ersten Signalen nun tatsächlich eine aktive Anti-Korruptionspolitik folgt, muss sich noch erweisen. Nach der Verhaftung dreier Prominenter aus dem Halbschatten zwischen Staat und Wirtschaft zeigte sich indes sogar der regierungskritischste Journalist des Landes beeindruckt: Mahathir könne seine alten Cronies nicht mehr beschützen, freute sich Steven Gan, Herausgeber einer unabhängigen online-Tageszeitung.

Keine demokratischen Reformen geplant

Auf dem Feld der Bürgerrechte steht der Wahlsieger hingegen ganz in der Tradition seines autoritären Vorgängers. Malaysia bleibt ein Staat ohne Versammlungsfreiheit, ohne unabhängige Justiz und mit stark eingeschränkter Pressefreiheit - und die Mehrzahl der Wähler stört das offenkundig nicht.

Abdullah war zuvor Mahathirs Innenminister; so trugen die Anordnungen im Rahmen des berüchtigten "Internal Security Act" (ISA) seine Unterschrift: Das Sicherheitsgesetz - es stammt noch aus der britischen Kolonialzeit - ist eine bewährte Waffe gegen die Opposition; missliebige Aktivisten können bis zu zwei Jahre ohne Urteil interniert werden. Zwölf ISA-Häftlinge sind gegenwärtig im Hungerstreik.

Rückendeckung bekam die Anwendung des Willkürgesetzes durch den internationalen Kampf gegen Terrorismus; vorher von westlichen Menschenrechts-Organisationen kritisiert bekam Malaysia nun Beifall für die Verhaftung jeglicher Radikaler.

Ehemaliger Vize weiterhin in Haft

Keine Versöhnung auch mit Mahathirs prominentestem Opfer: Im Fall Anwar Ibrahim ist eine politische Lösung nicht in Sicht; gerade erst wurde seine Berufung abgelehnt. Anwar, gesundheitlich schwer angeschlagen, sitzt seit fünf Jahren in Einzelhaft - doch die Wähler beginnen ihn zu vergessen.

Eine kleine "Gerechtigkeitspartei", von der Frau des Inhaftierten, Wan Azizah, angeführt, wurde bei den Wahlen parlamentarisch nahezu ausgelöscht. Falls Abdullah Badawi die Hoffnung auf Reformen nicht erfüllt, gibt es keine Opposition mit der Kraft, ihn anzuklagen.

Charlotte Wiedemann

© Qantara.de 2004

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