Innenpolitische Ränkespiele

Der schiitische Theologe und Forscher am Washington Institute, Mehdi Khalaji, analysiert das gegenwärtige politische Tauziehen zwischen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei und Präsident Mahmud Ahmadinedschad.

Revolutionsführer Ali Khamenei (l.) und Präsident Mahmud Ahmadinedschad; Foto: AP
"Die meiste Zeit haben Khamenei und Ahmadinedschad eine frontale Konfrontation vermieden. Dennoch ist ihr Kampf durch ihre Manöver in vielen Regierungsbereichen nicht zu übersehen", schreibt Mehdi Khalaji.

​​Irans Oberster Rechtsgelehrter und Revolutionsführer, Ayatollah Ali Khamenei, war mit dem Status des iranischen Präsidenten noch nie zufrieden – weder während seiner eigenen Amtszeit zwischen 1981 und 1989, noch während der Amtsperioden seiner drei Nachfolger.

Aufgrund der Strukturen im Herzen der Islamischen Republik sind Spannungen zwischen dem Präsidenten und dem Obersten Rechtsgelehrten vorprogrammiert.

Letzterer verfügt über absolute Autorität und kann gegen sämtliche Entscheidungen der Exekutive, Legislative und Judikative ein Veto einlegen. Der Präsident geht aus einer Wahl hervor und bringt seine eigene Agenda und Zielvorstellungen mit.

Begrenzte Handlungsspielräume für den Präsidenten

Während der zweiten Amtszeit Ahmadinedschads rückten die Spannungen zwischen Präsident und Revolutionsführer zwangsläufig in das Licht der Öffentlichkeit. Denn Khamenei war nie bereit, einen Präsidenten mit einer breiten unabhängigen Machtbasis zu tolerieren.

In der Vergangenheit stutzte er die Flügel von Akbar Haschemi Rafsandschani, der starke Verbindungen zu Kaufmannskreisen hatte und die von Mohammad Khatami, einem Reformer, dessen Anhänger aus dem Lager westlich orientierter Akademiker der Mittelschicht kamen.

Obwohl Ahmadinedschad angesichts der Großdemonstrationen im Verlauf seiner Wiederwahl im letzten Jahr vom Obersten Rechtsgelehrten unterstützt wurde, scheint Khamenei nicht zu zaudern, wenn es darum geht, die Macht des Präsidenten zu begrenzen.

 Irans Parlamentspräsident Ali Laridschani; Foto: AP
Neue politischer Gegenwind für Ahamdinedschad: Irans Parlamentspräsident Ali Laridschani gilt als einer der vehementesten Kritiker des Präsidenten.

​​ Tatsächlich hat es den Anschein, als ob die massiven Proteste gegen Ahmadinedschad die Konfrontation der beiden hinauszögerte, da der Revolutionsführer und der Präsident in der Öffentlichkeit vereint zur Verteidigung der Wahl auftraten. Aber Ahmadinedschads radikale islamistische Ansichten und die Unterstützung durch religiöse Iraner aus der unteren Mittelschicht helfen ihm nicht gegen Khamenei.

Die meiste Zeit haben Khamenei und Ahmadinedschad eine frontale Konfrontation vermieden. Dennoch ist ihr Kampf durch ihre Manöver in vielen Regierungsbereichen nicht zu übersehen. So muss sich Ahmadinedschad gegen Parlamentssprecher Ali Laridschani und seinen Bruder Sadegh Laridschani, den Justizchef des Iran, durchsetzen.

Politisch gespalten

Die Brüder Laridschani sind vehemente Kritiker des Präsidenten, dem sie vorwerfen, die Gesetzgebung und wichtige Gerichtsentscheidungen zu ignorieren. Der konservative Block im Parlament ist gespalten zwischen Anhängern Ahmadinedschads und den Verfechtern von mehr parlamentarischer Kontrolle des Präsidenten.

Vor kurzem demonstrierte das Parlament seinen Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik Ahmadinedschads indem man beschloss, den Präsidenten seines traditionellen Postens als Vorsitzender der Generalversammlung der Zentralbank zu entheben. In diesem Fall könnte Ahmadinedschad im Bereich Wirtschaftspolitik nicht mehr intervenieren und dürfte auch den Gouverneur der Bank nicht mehr ernennen.

Allerdings hängt diese Entscheidung von der Zustimmung des Wächterrates ab, wo eine Gruppe von Unterstützern des Präsidenten einen Gegenangriff gestartet hat. Sie möchten, dass der Oberste Rechtsgelehrte dem Präsidenten gestattet, sowohl das Parlament als auch die Justiz zu warnen, wenn er der Meinung ist, dass diese ihre Machtbefugnisse überschreiten. Das käme einer Herabstufung der Brüder Laridschani gleich.

Rede Khameneis vor dem Khomeini-Mausoleum; Foto: dpa
Zuspruch von Teilen der Bevölkerung, politische Unterstützung aus Politik und Wirtschaft: Ali Khamenei hat es bisher verstanden, alle politischen Fäden in der Hand zu halten, ohne zuviel Macht an seine Rivalen abzugeben.

​​Bislang war das Parlament für Ali Khamenei ein wirksames Werkzeug, die Machtbefugnisse des Präsidenten in legitimer Weise einzuschränken und es ist schwer vorstellbar, dass die Brüder Laridschani eine derartige Kampfansage an Ahmadinedschad ohne die Zustimmung des Obersten Rechtsgelehrten vorgebracht hätten. Wenn sie sich durchsetzen, wird der Präsident dort an Autorität verlieren, wo seine Macht bislang am größten ist: in der iranischen Wirtschaft.

Im Gegensatz dazu hat der Präsident keine großartigen Mitbestimmungsrechte im Bereich der Außenpolitik, die der direkten Kontrolle des Revolutionsführers unterliegt. Khamenei ist bekannt dafür, sich mit verschiedenen Parteien zu beraten, aber letztlich trifft er Entscheidungen alleine.

So wies er die iranischen Unterhändler zurück, die während der Atomverhandlungen in Genf im Oktober 2009 einen Kompromiss in Aussicht stellten. Ebenso schwächte er die Machtbefugnisse des Außenministeriums, indem er in wichtigen Bereichen eine Reihe von Sonderbeauftragten installierte.

Wenn es um öffentliche Diplomatie geht, verlässt sich Khamenei auf Ahmadinedschad. Der Präsident kommt viel herum, hält häufig Reden und mobilisiert mit seiner antiamerikanischen und antiwestlichen Rhetorik politische Unterstützung.

Ein Verteidiger des Klerus?

Aber öffentliche Diplomatie ist noch nicht Diplomatie im eigentlichen Sinne. Es ist klar, dass niemand in Ahmadinedschads engstem Kreis – und schon gar nicht der Präsident selbst – das Vertrauen des obersten Führers genießt. Die atomaren Agenden, beispielsweise, befinden sich ausschließlich unter Khameneis Kontrolle.

Schiitischer Klerus in Qom; Foto: Fars/DW
Rückhaltlose Unterstützung für den Revolutionsführer: Schiitischer Klerus in Qom mit Plakaten Khomeinis und Khameneis

​​ Im Bereich der Religionspolitik bedient sich Khamenei nur zögerlich des gleichen Radikalismus Ahmadinedschads. Weithin wird angenommen, dass der Präsident den Einfluss des Klerus beschneiden und die Macht der Revolutionsgarden, seiner wichtigsten Quelle institutioneller Unterstützung, stärken möchte.

So kann sich Khamenei selbst als Verteidiger des Klerus präsentieren, der angesichts weit verbreiteter Zweifel an Khameneis theologischer Qualifikation seit seinem Amtsantritt vor 21 Jahren so seine Position stärkt.

Die Kleriker wissen, dass im Fall einer Schwächung Khameneis Ahmadinedschads Kreise für weit verbreitetes antiklerikales Ressentiment sorgen würden und sie so von der Macht ausschließen können.

Außerdem weiß Ahmadinedschad, dass die Kleriker ohne Khameneis Zügel ihre politischen Netzwerke unter den Konservativen wie den Laridschani-Brüdern nützen würden, um den Präsidenten weiter einzuschränken. Die gegenseitigen Feindseligkeiten zwischen Ahmadinedschad und den Klerikern bieten dem Obersten Rechtsgelehrten das Beste aus beiden Welten.

Die Geschichte der Islamischen Republik lehrt, dass der Machtkampf zwischen Revolutionsführer und niemals abklingt. Außerdem legt sie nahe, dass sich der Oberste Rechtsgelehrte als der Stärkere erweisen wird.

Für die internationale Gemeinschaft ist von Bedeutung, dass dieser interne Kampf die Führung des Iran davon abhält, ihre Außen- und Atompolitik realistisch zu beurteilen. In ihre Machtproben verstrickt, ist die Führung nicht in der Lage, gut informierte und nuancierte Entscheidungen im Umgang mit Außenstehenden zu treffen.

Mehdi Khalaji

© Project Syndicate 2010

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Mehdi Khalaji ist ein im Iran ausgebildeter schiitischer Geistlicher und Senior Fellow am Washington Institute for Near East Policy.

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